1914-10-29-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R 20172
Zentraljournal: 1914-A.S.-2450
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 11/01/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr.
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Gesandte in Bukarest (Bussche) an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann)

Privatbrief


Bukarest, den 29. Oktober 1914

Abschrift

Der Krieg zieht sich offenbar infolge der größeren Widerstandskraft unserer Gegner und der Schwäche unserer Bundesgenossen sehr in die Länge und es fragt sich, ob wir nicht nochmals versuchen sollten, Rumänien und Italien durch territoriale Zugeständnisse Österreichs zu gewinnen, damit sie auf unsere Seite treten.

Ich hatte heute eine lange Unterredung mit dem langjährigen Freunde des Königs Carol, dem österreichischen Staatsangehörigen Herrn Scekulicz, den auch der jetzige König, wie er mir gestern sagte, außerordentlich schätzt. Herr Scekulicz, der sehr gut unterrichtet ist, meinte, daß man trotz der momentan herrschenden großen Feindseligkeit gegen die Zentralmächte einen völligen Umschwung in der Meinung Rumäniens herbeiführen könnte, wenn Rumänien ein Teil der Bukowina angeboten würde. Dies müsse nicht nur durch Angebot an die rumänische Regierung erfolgen, sondern man müsse den unsicheren Parteigenossen Take Jonescus, Herrn Badarau, der in der Moldau großen Einfluß besitzt, und über dessen Gewinnung ich Ihnen schon schrieb, durch Geld auf unsere Seite ziehen und ihm dadurch ein weiteres Atout in die Hand zu geben, daß er den Erwerb eines Teils der Bukowina in Aussicht stellen könne. Herr Scekulicz, dem ich einwandte, daß Italien dann auch territoriale Wünsche aufs Trentino geltend machen würde, meinte, er würde raten, das steinige, ganz unfruchtbare Trentino Italien zu geben wenn es dadurch veranlaßt werden könnte, mit uns in den Kampf einzutreten. Das Trentino sei ohne Wert für Österreich und nur eine Beschwerung des Dreibundes. Es sei daher eine richtige Politik es aufzugeben, solange es noch Zeit sei.

Es ist mir bekannt, daß über die Frage des Trentino bereits vor und bei Beginn des Krieges verhandelt wurde, daß sie aber am Widerstande des Kaisers Franz Joseph scheiterte. Es kommt bei der Beantwortung der Frage, ob Österreich-Ungarn Opfer bringen müsse, meines Erachtens darauf an, ob wir uns stark genug fühlen, den anscheinend doch unsere Erwartungen übersteigenden Widerstand unserer Gegner ohne anderweite Hilfe zu brechen. Fühlen wir uns nicht stark genug, so müssen wir sehen, ob wir uns nicht Bundesgenossen schaffen können. Vielleicht wird jetzt Österreich-Ungarn, dessen verfehlter Politik wir das Beiseitestehen Italiens und Rumäniens in erster Linie verdanken, geneigt sein zu gewähren, was es vor und bei Beginn des Krieges nicht gewähren wollte.

Für das Trentino und die Bukowina kann sich ein siegreiches Österreich-Ungarn leicht in Polen oder Serbien schadlos halten, während ein geschlagenes Österreich-Ungarn sicherlich ausser der Bukowina und dem Trentino noch einen großen Teil Galiziens und Siebenbürgen verlieren dürfte.

Es wird hier jetzt wieder sehr für den Krieg gegen Österreich-Ungarn geschürt. Das Triumvirat, das sich mit der Agitation befaßt, besteht aus Take Jonescu, Filipescu und dem Finanzminister Costinescu. Ersterer sucht durch Organisation von Strassendemonstrationen und die Presse den König und die Regierung zu beeinflussen, während Costinescu anscheinend durch allerhand Schikanen in der Ein- und Ausfuhr einen Zwischenfall herbeiführen möchte, der zum Bruch führt. Beldiman wird Ihnen sagen, wie unerfreulich die Lage wieder geworden ist. Unser Zurückweichen in Polen und das Nichtvomfleckkommen der Österreicher in Galizien haben die Stimmung wieder verschlechtert.


Mit herzlichem Gruß

[Bussche]

[Antwort Zimmermann vom 3.11.1914 (J.Nr. 22452)]

Abschrift.

Lieber Bussche!

Vielen Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 29. v.M. und Ihre verschiedenen interessanten Mitteilungen.

Das rumänische Problem bleibt nach wie vor ernst, wenn es auch dank der Wendung, welche die Dinge in letzten Wochen genommen haben, nicht mehr zu akuten Sorgen Anlaß geben dürfte. Ich möchte glauben, daß die Erkenntnisse der Schwierigkeiten und Gefahren eines Einfalls in Siebenbürgen und die Angst vor einer Bedrohung durch die türkische Flotte auch diejenigen Elemente, die von einer marktschreierischen Politik und Chantage leben, zu einer nüchterneren Einschätzung der rumänischen Leistungsfähigkeit und besseren Beurteilung der Wirklichkeit dringen werden.

Ich teile durchaus Ihre Ansicht wegen der Zweckmäßigkeit, Take Jonesco für uns zu gewinnen. Ich hatte ursprünglich die Absicht, Herrn Heinrich Riedemann von der Standard Oil Company mit einer dahin gehenden Mission zu betrauen. Da dieser indes die Verhältnisse in Rumänien nicht persönlich kennt, habe ich auf seinen Vorschlag Herrn Stauss gebeten, sich dieser Aufgabe zu unterziehen. Letzterer hat sich hierzu bereit erklärt und will nächster Tage nach Bukarest, um die am 10. d.M. dort stattfindende Generalversammlung der Steaua Romana als Reisevorwand benutzen zu können. Ich darf Sie bitten, ihm die erforderlichen Direktiven geben zu wollen.

Eine Abtretung eines Teils der Bukowina an Rumänien behufs Sicherung seiner Neutralität würden wir bei unserem Bundesgenossen, insbesondere bei der Haltung des Kaisers Franz Joseph in dieser Frage, nicht durchsetzen können. Dahingegen würden wir bereit sein, die Gewähr dafür zu übernehmen - und ich stelle Ihnen anheim, dies ganz vertraulich dem König Ferdinand eventuell auch Herrn Bratianu zu sagen, - daß Rumänien bei Friedensschluß außer Bessarabien einen Teil der Bukowina erhielt, wenn es durch aktive Mithilfe zu unserem Siege über Rußland beiträgt. Italien würde, wie Herr Bollati mir dieser Tage sagte, durch Hergabe des Trentino nicht für ein direktes Eingreifen in den Kampf an unserer Seite zu gewinnen sein.

Die militärische Lage im Osten ist erheblich günstiger, als sie dort nach den kurzen Telegrammen erscheinen dürfte. Wie General Ludendorf mir erzählte, ist der strategische Rückzug aus dem Grund angeordnet worden, weil es in der früheren Stellung an der Weichsel in dem durch langanhaltenden Regen aufgeweichten, wegsamer Zufahrtsstraßen entbehrenden Gelände nicht möglich war, unsere taktische Überlegenheit und die größere Manövrierfähigkeit unserer Truppen auszunutzen. Über die Aussichten im Westen äußerte sich Herr von Falkenhayn sehr zuversichtlich. Er rechnete mit einer nicht zu fernen Besetzung von Dünkirchen und Calais, sowie mit einem sich daran anschließenden energischen Vorgehen gegen England, dessen Sorgenbündel hoffentlich täglich schwerer werden wird.


Schluß m. pr.

[Zimmermann]



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