1915-07-05-DE-002
Deutsch :: de
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1915-07-05-DE-002
Quelle: DE/PA-AA/R 20189
Zentraljournal: 1915-A.S.-3677
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 07/12/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der deutsche Journalist Tyszka (Konstantinopel) an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, Zimmermann

Privatbrief


Constantinopel, den 5. Juli 1915

Journalstr. 14. Han Nikitits.


Hochverehrter Herr Unterstaatsekretär!

„Was Deutschland u. was Österreich der Türkei für ihre Kriegsteilnahme danken müssen, können beide dem wahren Wert nach nicht ermessen. Die Türkei ist sich der Größe ihres Opfers nicht bewußt. Sie war zum Kriege nicht vorbereitet und man hat ihr zur Vorbereitung nicht geholfen, sondern sie sich selbst überlassen.“ So äußerte sich Rhageb Pascha, der frühere Kammerherr Abdul Hamids, der dreißig Jahre mit diesem zusammengearbeitet hatte und das Land kennt wir kaum ein zweiter.

Ich dachte an diese Worte, als ich gestern von Hassan Fehmi Bey, dem Ministerialdirektor Talaat Bey’s Äußerungen hörte, wie sie aus dem Munde eines Türken einem Fremden gegenüber kaum je gekommen sind. Hassan Fehmi Bey ist die rechte Hand Talaat‘s, Mitglied des Konités und der gediegenste u. allgemein geachtetste Mann, den ich hier kennen gelernt habe. Seine Worte verdienen die größte Beachtung u. will ich sie im Interesse der Sache genau wiedergeben:

„Wenn es unmöglich ist - so führte er aus -, die Feinde aus ihren eingegrabenen Stellungen bei Ali Burnu u. Sedul Bahr zu vertreiben u. dies in Folge von Mangel an schweren Geschützen geschieht, wenn andererseits die Gegner schwere Festungsgeschütze gelandet haben, so kann die Lage an den Dardanellen für uns gefährlich werden, ums so mehr, wenn der Feind eine neue Landung an der Bai von Saros vor Buleir vornimmt, so daß der Angriff gegen die türkischen Truppen von zwei Seiten erfolgt.“

Eins steht unbedingt fest, der heutige Aufwand zur Verteidigung der Dardanellen ist das äußerste u. letzte, was die Türkei leisten kann. Zu einer Wiederholung dieser Verteidigung ist das Land unfähig. Es ist einmal geschehen und läßt sich nicht wiederholen. Dazu läßt sich das Volk nicht bewegen.

„Politisch sollte man annehmen, daß Bulgarien, das als Staat allein steht u. seine Gegner in den Griechen, Serben, Montenegrinern u. Rumänen hat, sich mit der Türkei gut stellen müßte, da sie allein ihm Deckung gegen seine Gegner gewähren kann. Daß Bulgarien eine Eisenbahnkonvention mit Rumänien abgeschlossen hat, hat mit dem politischen Verhältnis der beiden Staaten nichts zu tun. Wir sehen die Bulgaren als politische Gegner der Rumänen an. Wir nehmen an, daß falls die Bulgaren die Absicht haben, sich Kompensationen in Thrazien zu holen, sie von den Griechen, Serben u. auch Rumänen angegriffen werden würden, die die Schwäche des Gegners sich zu Nutzen machen wollten.“

„Geschieht dies nicht u. lassen die Balkanstaaten den Bulgaren freie Hand gegen die Türkei u. will Bulgarien einen Landstreifen zur Bahnanlage nach Dedeagatsch haben oder will es gar Kirkilire oder, wie andere meinen, Adrianopel oder sogar die Grenze Enos-Midia mit der Türkei haben, so ist die Lage der Türkei unhaltbar.“

„Die Türkei darf untern keinen Umständen Kompensationen an Bulgarien einräumen. Sie kann es nicht, sonst ist sie unbedingt verloren. Sie verliert allen Halt vor dem Volke. Auch der Verlust Konstantinopels würde die Türkei nicht mehr retten. Sie wäre auch in Anatolien unmöglich, denn das Volk hat dann kein Vertrauen mehr zu ihr. Es wäre der Untergang des türkischen Reiches.“

„Ich wage Talaat Bey kein Wort von Adrianopel zu sprechen, denn Adrianopel ist ja seine Vaterstadt!

Der Türke offenbart sich selten. Das ist der Grund, warum die Welt durch Ereignisse in der Türkei stets überrascht wird. Es handelt sich hier um ein ernstes Wort eines ernsten Mannes, der im vollen Getriebe sich bewegt u. voraussieht, was kein Fremder ahnt u. der Türke meist in sich vergräbt.

Unserm Botschafter, Freiherrn v. Wangenheim, wurde schwer, die Türken zum Losschlagen zu bewegen. Die unterbrochene Verbindung über Serbien mit den Zentralmächten sah er für die Türkei als schwersten Schlag an, er hatte vollkommen recht.

Jetzt heißt es, die Türkei vor ihrem Niedergange zu bewahren, bevor es zu spät ist. Die Rumänen, die den Russen so wesentliche Hilfe trotz ihrer Neutralität geleistet haben, müssen jetzt auch Kriegsmaterial für die Türkei passieren lassen, da die türkische Treue und Aufopferung es wohl um die Verbündeten des osmanischen Reichs verdient haben, daß ihnen die helfende Hand gereicht werde, bevor die Wogen über den allzeit Opferwilligen zusammenschlagen.

Was Sie für die Türkei tun können, werden Sie gewiß tun. Undank werde Sie hier nicht ernten.


In alter Treue und inniger Verehrung Euerer Hochwohlgeboren ganz ergebener

v. Tyszka


Haben Sie die Güte, der hiesigen Botschaft geneigtest mitzuteilen, daß ich an das Auswärtige Amt geschlossen korrespondieren darf.



Copyright © 1995-2024 Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.): www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved