1914-09-03-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 1914
Zentraljournal: 1914-A.S.-1936
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 09/03/1914 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Die österreichisch-ungarische Botschaft Berlin an das Auswärtige Amt

Schreiben


Berlin, den 3. September 1914.

Abschrift

Der Kaiserlich Deutsche Botschafter in Wien hat am 29. August die erfolgte Ratifizierung des deutsch-türkischen Bündnisvertrages dem Grafen Berchtold angezeigt.

Bei dieser Gelegenheit hat sich Herr von Tschirschky auch darüber erkundigt, welche Schritte das Wiener Cabinett eingeleitet hätte zwecks Anschlusses Oesterreich-Ungarns an diesen Vertrag, bezw. Ausdehnung des letzteren auf den Dreibund.

Graf Berchtold erwiderte dem Herrn Botschafter, daß er nach der ursprünglich erhaltenen Verständigung an Markgrafen Pallavicini den Auftrag ergehen liess, die Bereitwilligkeit des k.u.k. Kabinetts dem Großvesir auszusprechen, dem Vertrage beizutreten und dessen Engagement auch der k.u.k. Regierung zu eigen zu machen. Hierüber sei seither ein Notenaustausch zwischen dem Großvesir und dem k.u.k. Botschafter erfolgt.

Hierbei hat Graf Berchtold Herrn von Tschirschky Erwähnung getan, daß ihn kürzlich Herzog von Avarna gefragt hatte, ob es sich bestätige, daß Deutschland mit der Türkei in ein Vertragsverhältnis getreten sei, was Graf Berchtold evasiv dahin beantwortete, daß seines Wissens blos vertrauensvolle Fühlungnahme zwischen den beiden Kabinetten bestehe.

Da Herr von Jagow Grafen Berchtold seiner Zeit ersuchen liess, vorerst der italienischen Regierung keine Mitteilung vom Abschluß des deutsch-türkischen Vertrages zu machen, glaubte er durch eine ausweichende Antwort dem Wunsche des Berliner Kabinettes Rechnung zu tragen.

Es wirft sich aber für die k.u.k. Regierung nun doch die Frage auf, ob sie nicht dem römischen Kabinett von ihrem accès zum deutsch-türkischen Vertrage streng vertraulich, aber formell Kenntnis geben und ihm den Beitritt freistellen sollte.

In dem am 20. November 1909 zwischen Oesterreich und Italien abgeschlossenen, dem Berliner Kabinett bekannten „Arrangement spécial concernant le Sandschak de Novi Bazar“ hat das Kaiserlich u. Königliche Kabinett eine Bestimmung folgenden Wortlautes aufgenommen:

«Nous sommes convenus, en outre, de ce qui suit: Chacun des deux cabinets s’engage à ne pas contracter un accord quelconque avec une tierce puissance concernant les questions balkaniques sans que l’autre cabinet y participe sur un pied d’égalité absolue, de même, les deux cabinets s’engagent à se communiquer toute proposition qui serait faite à l’un ou à l’autre par une tierce puissance, allant à l’encontre du principe de non-intervention et se rapportant à une modification du statu quo dans les régions des Balkans ou des côtes et des îles ottomanes dans l’Adriatique et de la Mer Egée.»

Diese Textierung liesse zwar bei einer forcierten Interpretation die Verpflichtung zu einer Mitteilung des Accès Oesterreich-Ungarns als diskutierbar erscheinen, Graf Berchtold ist aber der Ansicht, daß die k.u.k. Regierung sich eher an eine loyale Auslegung derselben halten und ihre Verbindlichkeit der italienischen Regierung gegenüber auch auf die Stellungnahme Oesterreich-Ungarns zum deutsch-türkischen Vertrage erstrecken sollten, um Italien jede Möglichkeit zu benehmen, die k.u.k. Regierung der Nichteinhaltung einer vertragsartigen Verpflichtung zu beschuldigen.

Allerdings muß diese Frage vor allem vom Gesichtspunkte des realen politischen Interesses Österreich-Ungarns und Deutschlands beurteilt werden. Die Mitteilung des Beitrittes Österreich-Ungarns zum deutsch-türkischen Vertrage müßte - mit Rücksicht auf das bestehende Bundesverhältnis zu Italien - wohl deutscherseits durch die Bekanntgabe des Abschlusses des Vertrages mit ebenfalls gleichzeitiger Anheimstellung des Beitrittes sekundiert werden. Über die Opportunität dieser Demarchen und über den Zeitpunkt an dem sie richtiger Weise zu erfolgen hätten, wünscht die k.u.k. Regierung mit der kaiserl. Deutschen Regierung in einen Gedankenaustausch zu treten.

Hierbei bemerkt Graf Berchtold, daß der k.u.k. Regierung von verschiedenen Seiten Informationen zugekommen sind, denen zufolge Italien sich mit dem Gedanken trüge, falls die Türkei an der Seite Österreich-Ungarns und Deutschlands aktiv in den Krieg eingreifen sollte, seinerseits offen an die Seite der Tripleentente zu treten und womöglich Rumänien zu einem Angriff gegen die Monarchie mitzureißen.

Graf Berchtold hält es nicht für ausgeschlossen, daß Italien solche Velleitäten vielleicht heute noch hat, nimmt aber an, daß im Falle fortschreitender militärischer Erfolge der beiden verbündeten Kaisermächte, Italien seine Neigung zu einem offenen Bruche mit ihnen schließlich verlieren würde.

Von dieser Erwägung ausgehend, schiene es dem Grafen Berchtold nützlich, dem römischen Kabinette bei eventueller Mitteilung des Vertragsabschlusses mit der Türkei Zusicherungen zu machen, welche Italien das Verbleiben in der Neutralität vorteilhaft erscheinen lassen.

Es könnte in Rom darauf hingewiesen werden, daß in der mohammedanischen Welt eine ernste Bewegung wahrnehmbar sei, deren Spitze sich naturgemäß gegen jene Staaten richte, welche islamitische Länder unterworfen haben, also in erster Linie England, Rußland und Frankreich.

Italien habe ein großes Interesse daran, daß diese Bewegung nicht auch auf seinen afrikanischen Besitz übergreife und in Lybien [Libyen] vermehrte Schwierigkeiten verursache.

Das engere Verhältnis, in welches nun die Türkei zu Berlin und Wien getreten sei, würde es diesen beiden Kabinetten ermöglichen, sich wirksam in Constantinopel dafür einzusetzen, daß von dort nichts gegen das ihnen befreundete Italien unternommen, vielmehr den Mohammedanern des lybischen Hinterlandes und namentlich jenen der Cyrenaika Befehl gegeben würde, den Kampf gegen die Italiener auf der ganzen Linie einzustellen. Italien würde dadurch auch einer großen Sorge für die Zukunft enthoben und könnte es weiters für die italienischen Aspirationen im Mittelmeer von größter Tragweite sein, wenn die Stellung Frankreichs und Englands an der nordafrikanischen Küste dauernd erschüttert würde.

Abgesehen hiervon könnte bei dieser Gelegenheit auch den Italienern zu verstehen gegeben werden, daß man auch sonst, falls Italien bis zum Schlusse der gegenwärtigen Krise eine freundschaftliche Haltung beobachtet, gegebenen Falls beim Friedensschlusse seinen Interessen Rechnung tragen werde.

Bei den bekannten Tendenzen Italiens, die Stellung Österreich-Ungarns auf dem Balkan zu schwächen, müßte nach Ansicht des Grafen Berchtold mit großer Vorsicht vorgegangen und besonders der Zeitpunkt, an welchem dem römischen Kabinett die respektiven Mitteilungen zu machen wären, reiflich überlegt werden. Es wäre, wie gesagt, darauf zu achten, daß der italienischen Diplomatie nicht die Möglichkeit gelassen wird, noch im letzten Moment, sei es durch Rumänien, sei es durch England, eine diplomatische Situation herbeizuführen, die auf die Türkei von unerwünschter Wirkung sein könnte. Dem Herrn k.u.k. Minister des Äußern schwebt daher die Idee vor, daß man unmittelbar vor Kriegsausbruch zwischen der Türkei und Rußland, die den Vertragsabschluß betreffenden Mitteilungen nach Rom gelangen zu lassen, ohne natürlich das genaue Datum des Abschlusses bezw. Accès dort bekannt zu geben.

Marginalien des Herrn stellvertretenden Staatssekretärs.

M.v. werden wir den Italienern von dem Vertragsabschluß Mitteilung machen müssen, sie ahnen ihn ohnehin längst. Die Mitteilung sollte aber erst nach dem Kriegsausbruch erfolgen, schon um ital. Machenschaften vorzubeugen. Die von Graf Berchtold sonst in Aussicht genommenen beruhigenden Zusicherungen für Rom erscheinen mir zweckmäßig.


[Zimmermann 3/9.]



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