1909-05-18-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 13186
Zentraljournal: 1909-A-09298
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 05/29/1909 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J.No. 729/K.No. 39
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Vizekonsul in Jaffa (Rößler) an den Reichskanzler (Bülow)

Bericht



J.No. 729 / K.No. 39
Euerer Durchlaucht berichte ich gehorsamst über eine Reihe von Vorkommnissen, aus welchen hervorgeht, dass im Bezirk Jaffa die Lage noch nicht geklärt ist, sondern Unruhe und Gährung durch die Bevölkerung und das Militär geht.

Zunächst ist festgestellt, dass der geheime Befehl der reaktionären Regierung betreffend die Niedermetzelung von Christen an den Kommandanten der hiesigen Truppen, den Oberst Hilmi adressiert war. Hilmi ist Anhänger des alten Regimes. Aus welchem Grund er den Befehl nicht ausgeführt hat, ist nicht ganz aufgeklärt. Am wahrscheinlichsten ist, dass er noch weitere Nachrichten abwarten sollte, die dann nicht eintrafen, weil inzwischen das alte Regime in Konstantinopel gestürzt war. Die Jungtürken haben den ersten Anlass benützt, ihn aus Jaffa zu entfernen. Als nämlich am 27. April Nachrichten über den Thronwechsel hier eintrafen, ordnete der Kaimakam die Ausschmückung des Regierungsgebäudes und der Kaserne an, noch ehe die offizielle Mitteilung über die Thronbesteigung Mehmeds V vorlag. Hilmi wollte sich darauf die Ausschmückung der Kaserne verbitten, musste sie sich aber gefallen lassen und wenige Tage darauf auf Geheiss der Jungtürken, deren Haupt sein nächster Untergebener, der Oberstleutnant Hamdi Bey ist, Jaffa verlassen. Ich hatte die Nachricht über den Befehl zum Massaker aus einwandfreier Quelle, sie ist aber ausserdem vom Kaimakam, wie ich vorausnehmen darf, am 15. d.M. dem Kommandanten S.M.S. “Hamburg“ bei dem offiziellen Besuch in meiner Gegenwart aus freien Stücken ausdrücklich bestätigt worden.

Trotzdem die Gefahr zunächst vorübergegangen ist, fühlt sich aber nicht nur die christliche Bevölkerung sondern auch Behörden und Jungtürken noch unsicher. In der ersten Maiwoche wurde von zwei Mitgliedern einer muhammedanischen Großgrundbesitzerfamilie, die eine Reihe von Erpressungen nach Art mittelalterlicher Raubritter an arabischen Christen verübt haben, auch der arabische Agent der englische Khedivial Line geschädigt worden. Das Komitee beschloß, hauptsächlich auf Drängen des englischen Vizekonsuls, die Täter zu verhaften. Der Kaimakam war unschlüssig und fragte mich vertraulich um Rat, was er tun solle, indem er hinzusetzte, dass er aus Anlass der Verhaftung den Ausbruch von Unruhen befürchtete. Ich erwiderte ihm, jeder Schritt zur Wiederherstellung der Autorität der Regierung sei meiner Meinung nach so wichtig, dass die Verhaftung trotz der damit verbundenen Gefahr vorgenommen werden solle. Glaube er aber, dass die ihm zur Verfügung stehenden Kräfte nicht reichten, so solle er bis zur Ankunft eines europäischen Kriegsschiffes warten, die Reaktionäre würden sich dann sicher ruhig verhalten. Die Verhaftung wurde am 9. Mai ausgeführt, am 10. Mai traf der italienische Kreuzer Piemonte vor Jaffa ein.

Der 9. Mai gab den einheimischen Christen noch zu weiteren Befürchtungen Anlass. Es wurde bekannt, dass sich in Ramleh eine muhammedanische Vereinigung gebildet hat, wahrscheinlich mit dem Zweck, die Bevölkerung gegen die Christen aufzuhetzen. Die Vorsteher der beiden christlichen Gemeinden dortselbst, der griechisch-orthodoxen und der römisch-katholischen, richteten eine Eingabe an den Kaimakam, in der sie ihn um Massregeln zum Schutz der Christen ersuchten, und beantragten, die Vereinigung aufzulösen und ihre Führer zu verwarnen. Es hat sich herausgestellt, dass der Gründer der frühere Ortsvorsteher von Ramleh Taufik Bey gewesen ist. Er ist nach Jaffa vorgeladen und verwarnt worden, auch sind einige Gensdarmen in Ramleh stationiert worden.

Am 13. d.M. gaben die Jungtürken den hier stehenden Truppen ein Fest und zwar im Garten des Dragomans dieses Vizekonsulats. Bei dieser Gelegenheit äusserte sich ein aus dem Unteroffizierstande hervorgegangener Offizier gegenüber Herrn Murad in der absprechendsten Weise über die Jungtürken, obwohl die gebildeten Offiziere deren Komitee angehören. Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass die Gesinnung jenes früheren Unteroffiziers von anderen Unteroffizieren geteilt wird, so dass die Jungtürken im Falle der Gefahr nicht mit Sicherheit auf die hiesige Garnison zählen können.

Am 13. d.M. wurde ein zur Aufreizung der muhammedanischen Bevölkerung bestimmtes Pamphlet beschlagnahmt, als dessen Verfasser ein Scheich aus Hebron gilt. Er soll in dem Schriftstück erzählt haben, es sei ihm der Prophet Muhammed erschienen und habe ihm offenbart, dass in Cilicien eine Strafe des Himmels an den Christen vollzogen sei. Es seien dabei auch Muslims gefallen, welche gerächt werden müssten.

Es ist kein Zweifel, dass eine Unzufriedenheit durch die Muhammedaner geht. Die Absetzung des Khalifen wird als ein Angriff auf die Religion bezeichnet, sei es dass sie wirklich als solche empfunden wird, obwohl die Bevölkerung noch vor kurzem unter der schwer drückenden Herrschaft Abdul Hamids geseufzt hat, sei es dass diese Auslegung nur als ein Mittel zu politischen Zwecken benützt wird. Das Pamphlet des Scheichs von Hebron scheint mir noch aus einem anderen Grunde bemerkenswert. Während die Reaktion vom 13. April in Konstantinopel von oben her gemacht war, deutet das jetzt beschlagnahmte Schriftstück auf eine Reaktion, die von Volke aus ihren Anfang nimmt.

Der italienische Kreuzer Piemonte hatte am 13. d.M. die Rhede verlassen, so dass die durch das Pamphlet erzeugte Beunruhigung zunächst nicht durch die Anwesenheit eines Kriegschiffes gedämpft war. Um so grösser war daher der Eindruck, als am 15. d.M. S.M. Kreuzer Hamburg vor Jaffa eintraf.

Alsbald nach der Ankunft begab ich mich an Bord, um dem Kommandanten von der Lage Kenntnis zu geben, die zu der Bitte der deutschen Gemeinden des Bezirkes um Schutz geführt hat. Bei dem Besuch, den er in meiner Begleitung im Lauf des Vormittags dem Kaimakam abstattete, liess er über den ernsten Zweck seines Kommens keinen Zweifel, ohne deswegen aber einen unfreundlichen Ton gegenüber dem türkischen Beamten für nötig zu erachten, wie ihn wenige Tage vorher der italienische Kommandant angeschlagen hatte. Er brachte dem Kaimakam auch zur Kenntnis, dass bis auf weiteres ein deutsches Kriegschiff im östlichen Mittelmeer stationiert bleiben würde, welches im Notfalle binnen kürzester Frist vor Jaffa erscheinen könnte.

Der Kommandant stattete am Nachmittag der deutschen Kolonie Sarona und am 16. der deutschen Kolonie Wilhelma einen mehrstündigen Besuch ab. An dem Ausflug nach Wilhelma, woselbst ein Familienfest stattfand, nahmen auf Einladung von der Kolonie ausser einigen Offizieren auch 20 Mann der Besatzung teil, weil die Wilhelmanier den Wunsch ausgesprochen hatten, dass ihren unfreundliche gesinnten arabischen Nachbarn die Bereitschaft deutscher Kriegsmacht vor Augen geführt werde.

Die Deutschen des Bezirks haben das Erscheinen des stolzen Schiffes voller Freude und Dankbarkeit begrüsst, und empfinden es vor allem mit Genugtuung, dass der türkischen Bevölkerung klar gemacht worden ist, die Deutschen werden im Fall der Not von ihrem obersten Kriegherrn nicht im Stich gelassen. Sie haben deshalb ihrer Dankbarkeit durch ein an Seine Majestät den Kaiser von Wilhelma aus abgesandtes Telegramm Ausdruck gegeben.

Die zahlreich beurlaubten, sich tadellos führenden Mannschaften gaben inzwischen der Stadt ihr besonderes Gepräge. Scharen von Eingeborenen hatten sich am Strande versammelt, während von den deutschen Männern und Frauen wer irgend konnte, von der freundlich gewährten Erlaubnis Gebrauch machte, das Schiff zu besichtigen.

Bei der Rückkehr von Wilhelma hatten sich die Aeltesten der Gemeinde Jaffa zu einer kurzen Begrüssung versammelt.

Am Abend des 16. verliess der Kreuzer die Rhede.


Rößler



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