1916-10-05-DE-004
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Quelle: /PA-AA/R 20102
Zentraljournal: 1916-A-27490
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 10/10/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 612
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der geschäftsführende Erste Sekretär in Konstantinopel (Radowitz) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Therapia, den 5. Oktober 1916

Wenn die Ereignisse in Griechenland sich so weiter entwickeln, wie es nach den bisherigen Nachrichten den Anschein hat, so dürfte in absehbarer Zeit mit dem Eintritt der Griechen in den Krieg zu rechnen sein. Talaat Bey hat zwar dem Herrn Botschafter gegenüber geäußert, er glaube nicht an eine Kriegserklärung Griechenlands an die Türkei, er hat aber nichts darüber gesagt, wie sich die Türkei bei einer Kriegserklärung Griechenlands an uns verhalten wird. Der Militärbevollmächtigte glaubt bestimmt und auch ich neige der Ansicht zu, daß die Türkei in diesem Falle ihrerseits Griechenland den Krieg erklären wird. Die Gelegenheit zur Beschlagnahme griechischen Eigentums und zur Abschiebung unbequemer Elemente ist zu gut, als daß die hiesigen Machthaber sie sich entgehen ließen.

In unserem Interesse läge es, die Kriegserklärung zu verhindern, denn erstens ist zu befürchten, daß die Türken aus der Teilnahme an der Eroberung griechischen Gebiets später wieder ihre jetzt zurückgestellten Ansprüche auf thracische Länderstrecken herleiten werden, zweitens aber stehen sicher scharfe Maßregeln gegen die in der Türkei lebenden Griechen bevor, an denen uns ein großer Teil des Odiums aufgebürdet werden dürfte. Von sonst zuverlässiger Seite höre ich, daß bereits eine Liste von 38000 Griechen der Hauptstadt aufgestellt ist, die deportiert werden sollen. Die Türken haben angeblich bei den Bulgaren angefragt, ob sie in der Lage wären, den Transport dieser Leute nach Griechenland zu übernehmen, was, wie vorauszusehen, abgelehnt worden sei. Kommt es wirklich zum Kriege, so werden sie sich hierauf berufen und damit den Abtransport der Griechen ins Innere rechtfertigen, der dann einen ähnlichen Verlauf nehmen würde, wie die Armenierschübe.

Wir werden aber kaum in der Lage sein, die Türkei an der Kriegserklärung zu verhindern, die sie uns gegenüber mit der Solidarität und dem Hinweis auf ihr Verhalten gegen Rumänien motivieren wird. Wir müssen also mit ziemlicher Bestimmtheit damit rechnen und uns rechtzeitig über unsere Haltung dieser Eventualität gegenüber klar werden, da die Erfahrung gelehrt hat, wie wertlos nachträgliche Vorstellungen bei der Türkischen Regierung sind. Vielleicht ließe sich eine Lösung dadurch herbeiführen, daß wir vorschlügen, unsererseits die wehr- und arbeitsfähigen Griechen zu übernehmen, um sie bei uns zu internieren oder zur Arbeit zu verwenden, und es der Entente anheimstellen, die Weiber, Kinder und Greise durch Schiffe abzuholen und ihrerseits für sie zu sorgen. Wird dieser Vorschlag, sei es von den Türken, sei es von der Entente abgelehnt, so können wir uns wenigstens unserer eigenen und der fremden öffentlichen Meinung gegenüber darauf berufen, daß wir unser möglichstes getan haben, um von den Griechen das Schicksal abzuwenden, das die Armenier betroffen hat.


Radowitz



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