1916-07-08-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14092
Zentraljournal: 1916-A-18208
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Telegramm-Abgang: 07/08/1916
Praesentatsdatum: 07/10/1916 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/27/2012


Zwei Oberlehrer der Deutschen Realschule in Aleppo Martin Niepage und Eduard Graeter an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Privatschreiben



Wernigerode, den 8. Juli 1916.

Ew. Exzellenz.

Um das Leben von fünfzehn Hundert Menschen zu retten, die in grösster Gefahr sind, aber leicht durch tatkräftiges Eingreifen von deutscher Seite gerettet werden können, erlauben sich die Unterzeichneten, zwei Oberlehrer der Deutschen Realschule in Aleppo, Ew. Exzellenz ganz gehorsamst folgende dringende Bitte zu unterbreiten:

Auf unserer Rückreise von Aleppo im Juni dieses Jahres mussten wir zwischen Airan und Enteli, zwei Stationen der im Bau begriffenen Bagdadbahn, ein Stück – etwa 4 Stunden – längs der Strecke zu Fuss gehen. Zur Rechten und zur Linken des Weges sassen Kinder und Frauen, Greisinnen und einzelne Männer, mit Steinklopfen und Erdarbeiten beschäftigt, im Ganzen etwa 1500 Personen, durch deren Hände Arbeit der Bahndamm dort entsteht.

Oberingenieur Horf in Airan, sowie die Ingenieure Sigrist und Köppel in Enteli leiten den Tunnelbau zwischen den genannten Stationen. Diese Herren haben uns auf Befragen gesagt, dass die türkische Regierung die Namen aller dieser Arbeiter, Arbeiterinnen und Kinder bereits in Listen aufgenommen habe, um sie zu deportieren. Das geschieht etwa in einem Monat, sobald die Bagdadbahn erklärt, dass sie zum Bahnbau nicht mehr gebraucht werden.

Deportieren, das bedeutet nach unser aller Erfahrung, die wir während der Kriegszeit in der Türkei gelebt haben, dass die Männer erschlagen werden, die jungen Frauen und Mädchen in Harems kommen, die alten Frauen und die kleinen Kinder solange ohne Nahrung durch die Wüste getrieben werden, bis Alles verendet ist.

Dies ist bereits das Schicksal von Hunderttausenden von Christen, die das Opfer des islamischen Fanatismus geworden sind. Leider hat man der muhammedanischen Bevölkerung glauben gemacht, dass diese systematischen Christenmassakers auf Anordnung des deutschen Bundesgenossen geschehen sind.

Wir selbst sahen in Aleppo im Herbst vorigen Jahres in einem Haus gegenüber der deutschen Realschule einige Wochen lang ein paar Hundert Ueberlebender solcher grosser Deportationstransporte und haben sie in ihrer Sterbestunde gepflegt, den Kindern, - kleine vornehme Mädchen in braunen Sammtkleidern darunter – Tee und eingeweichtes Brot als letztes Labsal gereicht, ehe sie die fiebernden Köpfchen zum Tode umlegten.

Wir wissen, was Armenierdeportation heute in der Türkei heisst. Deshalb flehen wir Ew. Exzellenz an, wenigstens zur Rettung jener 1500 Unglücklichen die Hand zu reichen. Unsere dringende Bitte geht dahin, dass Ew. Exzellenz die Bagdadbahnbaugesellschaft veranlassen, - nötigenfalls unter Gewährung der erforderlichen Mittel – die erwähnten 1500 Menschen, meist ja Frauen und Kinder, für dauernd notwendig zu erklären und mit Erdarbeiten weiter zu beschäftigen und zu verpflegen bis nach Friedensschluss wieder menschenwürdige Zustände in der Türkei eintreten und Lebensgefahr für die Unglücklichen nicht mehr besteht.

Euer Exzellenz ganz gehorsamste


Dr. Martin Niepage, Wernigerode,
Dr. Eduard Graeter, z.Zt. Basel,
Oberlehrer an der Deutschen Realschule zu Aleppo, Syrien.

[Notiz Rosenberg 11.7.]


Ew. pp. durch uns auf das gefl. Schr.[reiben] vom ... - zugleich mit der Bitte um entspr. Verständigung [unleserlich] – erg. unter.[ichtet] worden, daß die Ks. [Kaiserliche] Reg.[ierung] im Verein mit der Ob. Heeresl. [Obersten Heeresleitung] u. der Bagdadbahngesell.[schaft] bereits seit längerer Zeit bemüht ist, die Ausweisung der an der Bagdb. [Bagdadbahn] beschäftigten armenischen Angestellten zu verhindern oder die Rückkehr der schon Ausgewiesenen durchzusetzen.



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