1916-03-10-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. N. 1, ”Armenien”
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Ankunft: 03/21/1916
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 54
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 54

Konstantinopel, 10 März 1916.

Herr Außenminister,

Reisende, die in den letzten Tagen aus Kleinasien hier angekommen sind, erzählen, dass die Verfolgung der Armenier wieder angefangen hat.

Ein Herr aus Ungarn, der vor kurzem aus Bagdad hier ankam und dessen Glaubwürdigkeit durch die hiesige holländische Gesandtschaft bezeugt wird, sagt, dass weite Strecken in Mesopotamien, durch die er hierher gekommen ist, von armenischen Leichen bedeckt sind. Er schätzt die Anzahl der in Mesopotamien umgebrachten Armenier auf über 300 000.

Ich bezweifle jedoch, dass es sich wirklich um von hier befohlene neue Massaker handelt, sondern glaube, dass etwaige erneute Tötungen eine Folge der derzeitigen Deportationen von Armeniern an weit entfernte Orte sind, und sich solche Befehle erübrigen, da die Armenier auf ihrem Weg zwangsläufig von Räubern überfallen, getötet und ausgeplündert werden.

Ein deutscher Pastor, der vor einigen Tagen aus Damaskus ankam, erzählt, dass ein sehr großer Teil der deportierten armenischen Bevölkerung nicht Massakern zum Opfer fällt, sondern einfach an Hunger stirbt, da man sie in Gegende transportiert hat, wo keine Lebensmittel aufzutreiben und sie ihrem Schicksal überlassen sind. Dieser Pastor, der die Umstände vor Ort studiert hat und Zeuge von unglaublichen Gräueln gewesen ist, reist nun nach Berlin, um dort zu berichten.

Was die neuen Armenierverfolgungen hier in Konstantinopel, Skutari, Pera u.s.w. anbelangt, haben sie im Moment nicht die Form von Massenverhaftungen angenommen, aber es findet täglich eine große Anzahl einzelner Verhaftungen und Deportationen von Armeniern aus den besser gestellten und gebildeten Schichten, Ärzten, Rechtsanwälten u.s.w. statt, während nur in einzelnen Fällen die untere Schicht, die keine Bildung hat und ruhig ihre Arbeit verrichtet, belästigt wird.

Nach dem, wie die Armenier behandelt worden sind und weiter behandelt werden, wird überhaupt kaum jemand von ihnen übrig bleiben. Und wenn sich Griechenland der Entente anschließt, befürchte ich, dass es den Griechen in der Türkei ebenso ergehen wird wie den Armeniern.

Wenn es nach dem Willen der Jungtürken geht, wird die Zeit, in der die Araber, Armenier und Griechen die Mehrheit im osmanischen Parlament bildeten, niemals zurückkehren, da sie [die Jungtürken] eingesehen haben, dass eine solche Mehrheit verlangen würde, dass das Kalifat früher oder später durch ein föderatives System ersetzt werde, und dass es dann mit ihrer Macht vorbei wäre. Die Türken haben deshalb das einzige Mittel gewählt, das ihnen zur Bewahrung ihrer Herrschaft zur Verfügung stand, nämlich die vollständige Ausrottung der Völker, die nach der Einführung der Verfassung die größten Entwicklungsmöglichkeiten hatten, und mit welchen sie im friedlichen Kampf ums Dasein nicht konkurrieren können.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster


Wandel



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