1915-07-06-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R 20188
Zentraljournal: 1915-A.S.-3554
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 07/06/1915 12:16 PM
Telegramm-Ankunft: 07/06/1915 02:10 PM
Praesentatsdatum: 07/06/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 193
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Telegraphischer Bericht


Schloß Pleß, den 6. Juli 1915

Für Reichskanzler auf Nr. 799 {A.S. 3460}

General von Falkenhayn bittet mich folgende Antwort an Euere Exzellenz gelangen zu lassen:

Trotz des von politischer Seite so oft gewünschten Auftretens deutscher Truppen an der Donau und trotz der gewaltigen militärischen Schläge, die Rußland erlitten hat, ist es nicht gelungen, die Haltung Rumäniens oder Bulgariens zu unseren Gunsten irgendwie zu ändern. [Anmerkung Zimmermann: „Das haben wir vorausgesehen, sind daher keineswegs überrascht.“] Im Gegenteil scheint mir aus den diplomatischen Berichten hervorzugehen, daß sie eher schlechter als besser geworden ist. Hieran wird, das ist mit Sicherheit anzunehmen, [Anmerkung Zimmermann: „nein, ich nehme das Gegenteil an.“] auch ein „Vorgehen gegen Serbien“ nichts ändern, vielmehr nur ein völliges Niederwerfen Serbiens. [Anmerkung Zimmermann: „Sehr richtig. Zu dieser für den ganzen Ausgang des Krieges entscheidenden Aufgabe müssen aber zwei Reiche, die z.Zt. wohl 8 Millionen Truppen mobil haben, 250000 Mann stellen können.“]

Mit anderen Worten; Bulgarien und Rumänien werden, wie unsere Beziehungen zu ihnen einmal stehen, erst zu haben sein, wenn es gilt Beute zu verteilen.

Zur Niederwerfung Serbiens würden, da auf wesentliche Mitwirkung Österreich-Ungarns, nachdem das Eingreifen Italiens [Anmerkung Zimmermann: „Auch das wäre verhindert worden, wenn das Militär rechtzeitig die serbische Expedition gemacht und dadurch nicht nur Bulgarien sondern auch Rumänien, das sich in diesem Falle von der Außenwelt abgeschnitten gesehen und daher notgedrungen Anschluß an uns gesucht haben würde, für uns gewonnen hätte. Die Schuld an dem Eingreifen Italiens trägt daher nicht die Diplomatie sondern auch das Militär!“] in den Krieg nicht verhindert werden konnte, nicht mehr zu rechnen ist, die Hauptmasse der jetzt auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz kämpfenden deutschen Kräfte und nach unserer …[Gruppe fehlt]… 10-12 Wochen Zeit nötig sein. Während dieser Zeit würde Rußland das in Galizien Verlorene zum Teil wiedergewinnen und dadurch wahrscheinlich Rumänien vielleicht auch Bulgarien auf seine Seite zwingen. Kann andererseits die Türkei die Lage an den Dardanellen auch nur noch die Hälfte der erwähnten Zeit halten, dann wird Niederlage Rußlands aller Wahrscheinlichkeit nach so offenbar sein, daß wir mit Bestimmtheit eine unseren Zwecken günstigere Stellungnahme der beiden Balkanstaaten erwarten dürfen.

Die von Euerer Exzellenz besprochene Operation gegen Serbien kann daher den erhofften Erfolg in keinem Falle haben. Sie wäre ein untaugliches Mittel [Anmerkung Zimmermann: „gänzlich willkürliche und unhaltbare Ansicht.“] zum Zweck.

Was nun die der Türkei hinsichtlich ihrer Haltung nach dem Fall der Meerengen zu erteilenden Ratschläge anbetrifft, so neige ich zu der Ansicht, daß die Männer in Konstantinopel klug genug sind, um dann nur zu tun, was das nützlichere für sie erscheint. Können sie Frieden unter für sie erträglichen Bedingungen erhalten, so werden sie ihn schließen. Ist das nicht der Fall, und das nehme ich an, so werden sie weiter kämpfen. Ob dies in Thrazien oder Kleinasien geschieht, ist eine rein militärische Zweckmäßigkeitsfrage, die nicht von hier aus, sondern nur vom Goldenen Horn beantwortet werden kann, Soweit es überhaupt noch möglich sein wird, die Durchfahrt durch die Meerengen nach dem Fall derselben zu sperren, wird dies ebenso gut von der kleinasiatischen wie von der thrazischen Küste aus geschehen können.

Für Deutschland wäre es unter allen Umständen wünschenswert, daß die Türkei weiter kämpft. Dementsprechend würden also auch die Ratschläge unserer Diplomaten einzurichten sein.

von Falkenhayn.


[Treutler]
[Promemoria des Auswärtigen Amts (Zimmermann) vom 8. Juli 1915]

Der Wunsch, daß deutsche Truppen an der Donau auftreten möchten, ist von den politischen Stellen allerdings wiederholt geäußert worden. Damit war jedoch nicht gemeint, daß einige Divisionen dort die Österreicher vorübergehend im Grenzschutz ablösen sollten, was weder Rumänien noch Bulgarien genügend beeindrucken konnte. Vielmehr sollten deutsche und österreichische Truppen vereint Serbien angreifen mit dem Ziel der endgültigen Niederwerfung dieses Landes. Ein solches Vorgehen würde seine Wirkung auf die Balkanstaaten nicht verfehlt haben.

Im Übrigen erscheint der Feldzug gegen Serbien nicht nur wegen des Eindrucks auf dem Balkan sondern vor allem wegen der mittelbaren Rückwirkung auf Rußland geboten.

Seit Eintritt der Türkei in den Weltkrieg ist Rußlands Kriegsziel die Herrschaft über Konstantinopel und die Meerengen. Solange die russische Regierung nicht dieses Ziel erreicht oder von seiner Unerreichbarkeit sich überzeugt hat, wird sie keinen Frieden schliessen. Je schwerer die Schläge sind, die Rußland in den Ostseeprovinzen, in Polen und Galizien erleidet, desto krampfhafter werden sich die Machthaber in Petersburg an die Hoffnung klammern, daß ihnen der Fall der Dardanellen Ersatz für das anderweit Verlorene bringen wird. Selbst die Eroberung von Riga, Warschau, Iwangorod würde uns dem Frieden nicht viel näher bringen. Wer Rußland friedensreif machen will, muß ihm die Überzeugung beibringen,, daß Englands und Frankreichs Wille und Macht nicht ausreichen, um die Dardanellen zu bezwingen und dem russischen Verbündeten die Krone von Byzanz zu verschaffen. Erkennt Rußland, daß es auf die Souveränität über die Meerengen verzichten muß, so wird es froh sein, wenigstens die freie Durchfahrt für Kriegs- und Handelsschiffe unter Ausschluß dritter Staaten zu erlangen. Dies ist für Rußland nur mit uns und gegen England erreichbar. Die Türkei hat uns ermächtigt, bei etwaigen Friedensverhandlungen mit Rußland eine entsprechende Konzession in Aussicht zu stellen.

Um den Russen die Hoffnung auf Souveränitätsrechte über die Meerengen zu nehmen, ist es erforderlich,

1) den Nachschub von Kriegsmaterial und Munition für die türkische Armee sicherzustellen,

2) Bulgarien zu uns herüberzuziehen und so die Türkei ein für alle Mal von der bulgarischen Gefahr zu befreien.

Beides ist nur durch die Niederwerfung Serbiens erreichbar. Insbesondere ist Bulgarien auf diese Weise endgültig für uns zu gewinnen. Die Verzögerung der mehrfach angekündigten Aktion gegen Serbien birgt die Gefahr, daß Bulgarien eines Tages den Glauben an die Ernsthaftigkeit unserer Pläne gegen Serbien verlieren könnte. Die Bulgaren wissen, daß Serbien die mazedonischen Gebiete niemals freiwillig hergeben wird. Unsere Zusage wegen Mazedoniens besitzt daher für die Bulgaren nur dann Wert, wenn hinter dieser Zusage der Entschluß steht, Serbien mit Waffengewalt zur Herausgabe Mazedoniens zu zwingen. Je mehr in Sofia der Glaube an das Vorhandensein eines solchen Entschlusses erschüttert wird, desto größer wird dort die Neigung, mit der Entente abzuschließen, mit der Enos-Midia Linie, Kavalla und einem Teil der rumänischen Dobrudscha fürlieb zu nehmen und die Regelung der mazedonischen Frage der Zukunft zu überlassen. Andrerseits ist nach dem Urteil des Militärattachés in Sofia (Militärbericht Nr. 96 vom 2. Juli) heute noch mit Sicherheit anzunehmen, daß Bulgarien, wenn kraftvoll und erfolgreich gegen Serbien vorgegangen wird, nicht erst zur Teilung der Beute auf dem Plan erscheinen, sondern aktiv zur Niederwerfung Serbiens beitragen wird.

Die Hoffnung, daß weitere militärische Erfolge gegen Rußland die Stellungsnahme Rumäniens und Bulgariens in unserem Sinne wesentlich beeinflussen werden, dürfte deswegen trügerisch sein, weil die günstige Wirkung unserer Siege im Norden durch den schlechten Eindruck, den unsere Hilflosigkeit gegenüber Serbien hervorruft, aufgehoben wird.

Nach dem Telegram vom 6. Juli schient General von Falkenhayn einen gewissen Abschluß der jetzt im Gange befindlichen Operationen gegen Rußland in 5 - 6 Wochen zu erwarten. Wenn dann, in der zweiten Hälfte August, auf allen Fronten zur Defensive übergegangen und auf die Inangriffnahme anderer Operationen verzichtet wird, muß es möglich sein, die für Serbien erforderlichen 250000 Mann frei zu machen. Daß eine so spät einsetzende Unternehmung gegen Serbien für die Rettung der Dardanellen noch rechtzeitig kommt, ist zwar keineswegs sicher, darf aber nach den neuesten Nachrichten aus Konstantinopel gehofft werden. Selbst wenn diese Hoffnung trügt, bleibt die Niederwerfung Serbiens notwendig, um Bulgarien zu gewinnen, den in Thrazien bedrängten Türken die Hand zu reichen und wenn möglich Konstantinopel zu befreien.



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