1915-11-04-DE-007
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Quelle: DE/PA-AA/R 20194
Zentraljournal: 1915-A.S.-5650
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 11/12/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 408
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Colmar von der Goltz an den Unterstaatsekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann)

Schreiben


Constantinopel, den 4. November 1915

Abschrift.

Geheim!


Hochzuverehrende Exzellenz!

Einige Tage nach dem Eintreffen von Oberst Bopp gedenke ich meine Reise nach Bagdad zunächst mit meinem türkischen Stabe und dem Oberst nebst seinem Adjutanten anzutreten. Ich nehme den Weg über Aleppo, Mossul, dann den Tigris abwärts nach Bagdad. Meine Anwesenheit dort ist sehr erwünscht, und ich wäre gern schon früher gereist, wenn nicht die Notwendigkeit vorläge, mit Oberst Bopp und der hiesigen Botschaft wenigstens die Hauptzüge der Organisation der für Persien bestimmten Mission zu vereinbaren.

Bei Bagdad ist die Lage im Augenblick noch eine bedenkliche. Die sogenannte türkische Irakarmee besteht zwar aus drei Divisionen und einer Kavallerie-Brigade, zählt aber im Ganzen nur etwa 13500 Mann. Die Hälfte davon sind Araber, die sich niemals als große Krieger gezeigt haben, zur Desertion und zum Verlassen der Gefechtslinie neigen, wenn ernsthaft geschossen wird. Der türkische Oberbefehlshaber dieser Armee, die einen Teil der für mich zu bildenden VI. Armee ausmacht, hat seine Kräfte bei Selman Pak, etwa 35 Kilometer südöstlich Bagdad, am Tigris zusammengezogen und sich dort zum Schutze der Stadt verschanzt. Die Engländer stehen auf 50 Kilometer Entfernung bei Azizié gleichfalls am Tigris ihnen gegenüber. Einstweilen rühren sie sich nicht. Sie haben Streitkräfte im Karungebiet und nach anderen Punkten vorgeschoben, Etappenbesatzungen zurückgelassen und können daher gleichfalls nicht mehr sehr stark sein, da ihr ganzes Expeditionskorps angeblich nur aus 25000 Mann bestanden haben soll. Sie sind aber natürlich viel besser ausgerüstet, versorgt und geführt, wie die Truppen der Irakarmee.

Die türkische Regierung hat, die Gefahr der Lage in Mesopotamien erkennend, zwei schwache Divisionen der Kaukasusarmee nach Süden entsendet, sie kommen den Tigris hinab auf Keleks bei Bagdad an. Die ersten Abteilungen werden am 12. November, die letzten zu Ende des Monats dort sein. Von diesem Zeitpunkt ab halte ich den Besitz von Bagdad für gesichert. Der Fall der Stadt würde einen außerordentlichen Eindruck in der ganzen arabischen Welt gemacht haben, denn in ihr gilt Bagdad mehr wie Konstantinopel als Kalifenstadt.

Die beiden erwarteten Divisionen bestehen aus guten auch schon an den Kampf gewöhnten Truppen. Ob sie ausreichen werden, um den Übergang zur Offensive zu gestatten, ist dagegen fraglich, das wird sich erst von Bagdad aus übersehen lassen. Bezugnehmend auf eine Unterredung, die Euere Exzellenz mit meinem Schwiegersohn hatten, füge ich hinzu, daß mir zu meinem Bedauern nicht alle auf der asiatischen Seite stehenden Truppen, ja nicht einmal alle an der an der Ostgrenze gegen Persien und Rußland stehenden türkischen Truppen, sondern nur die in den drei Vilajets Mossul, Bagdad und Basra vorhandenen unterstellt worden sind. Außer der Irakarmee, die nach Eintreffen ihrer Verstärkungen 25 bis 28000 Bewaffnete zählen wird, sind nur noch Gendarmerie, Depottruppen und Grenzkompagnien vorhanden. Der stattliche Titel „VI. Armee“ ist deshalb nach euphonistischen Rücksichten gewählt worden. Ich wurde hier schon mehrfach als eine Art strategischer Vogelscheuche verwendet, so am Bosporus und auch während des kritischen Standes der Verhandlungen mit Bulgarien bei Tschataldja und Adrianopel. Daß ein deutscher Feldmarschall an der Spitze eines schwachen Armeekorps steht, nimmt niemand an, und man wird erheblich stärkere Kräfte hinter mir vermuten, was jedenfalls militärisch von Vorteil ist. Ich habe daher auch keine Schwierigkeiten gemacht, fand überdies das ganze Arrangement durch Oberst v. Lossow’s Vermittlung zwischen den Regierungen festgestellt, als ich aus meinem Hauptquartier Keschan, wo ich die I. Armee kommandierte, hierher abgerufen wurde. Im Hinblick auf das große Ergebnis, welches sich unter glücklichen Umständen vielleicht im Osten erreichen läßt, zögerte ich nicht mit der Annahme, obwohl ich mir sagte, daß dies in meinem Lebensalter ein nicht ungewöhnliches Wagnis sei. Hoffentlich halten meine Kräfte vor, wenn nicht, so werde ich damit doch zufrieden sein, daß ich meine letzten Lebenskräfte für die Sache des Vaterlandes in weiter Ferne habe einsetzen können.

Je weniger aussichtvoll die Lage in Mesopotamien ist, desto eher möchte ich meine Haupttätigkeit nach Persien verlegen. Dies ist indessen nicht angängig, so lange der Feind so nahe bei Bagdad steht, denn er könnte dann sehr leicht auf den Gedanken kommen, im Verein mit Rußland Persien und die Türkei durch einen dazwischen geschobenen Truppenkordon von einander zu trennen, wie es jetzt zwischen Afghanistan und Persien geschehen ist. Zunächst müssen also die Engländer wieder nach Süden zurückgeworfen sein, ehe eine größere Aktion in Persien möglich wird. Die Zeit bis dahin soll aber nicht ungenützt bleiben, ich werde mich sobald als möglich mit unseren zahlreichen dort schon tätigen Emissären in Verbindung setzen, um Gruppenbildung von nationalen Truppen zu fördern und sie, wenn angängig, schon zu größeren Einheiten vereinigen. Sobald als möglich denke ich dann nach Kermanschah zu gehen.

Ich rechne gegenwärtig darauf, daß unsere Offiziere um die Mitte des Dezember bei Bagdad oder Samarra, wo ich zunächst mein Hauptquartier nehme, eintreffen werden. Auf die ersten erheblichen Waffensendungen für Persien kann nicht vor Ende Januar gerechnet werden, denn der Transport erfordert viel Zeit. Bedeutenderes kann also erst bei Annäherung des Frühlings geschehen. Es hat dies auch insofern nicht viel zu sagen, als augenblicklich die persischen Stämme in ihre Winterquartiere übersiedeln und in den nächsten drei Monaten schwer in Bewegung zu setzen sind. Aus diesen Gründen bitte ich, nicht vorzeitig Siegesnachrichten zu erwarten und nicht ungeduldig zu werden, wenn sie ausbleiben.

Über das Weitere kann ich natürlich nur ganz große Umrisse geben. Meine Absicht ist, die Engländer zunächst aus dem ganzen Südwestpersien zu verdrängen, wodurch gleichzeitig ein Druck auf ihre Kräfte in Mesopotamien ausgeübt wird. Dann erst kann es sich um eine Vorgehen über Hamadan nach Norden handeln, wohin, wie Euere Exzellenz wissen, ja jetzt schon einzelne kleinere Abteilungen in Bewegung sind. Der rechte Augenblick, um Teheran zu besetzen, wird noch zu finden sein. Hoffentlich kommt inzwischen der Kaukasus in Bewegung, wozu ich natürlich mitzuhelfen gedenke, soweit es die Kräfte irgend gestatten. Wichtig wird es sein, daß dabei auch die türkische Kaukasusarmee mittut. Sie ist gegenwärtig nach den Abgaben für Bagdad noch immer 50 bis 60000 Mann stark und den gegenüber stehenden Russen eher über- als unterlegen, sie kann also durch einen energischen Vorstoß sehr wirksam eingreifen. Wäre sie meinen Befehlen unterstellt, so würde dies leicht zu machen sein, denn sie besitzt einen tüchtigen deutschen Generalstabchef. Ohne die Unterstellung ist die Gemeinsamkeit der Operationen nur auf dem langwierigen Wege der Vereinbarung über Konstantinopel zu ermöglichen. Vielleicht läßt es sich erreichen, daß sie im entscheidenden Moment unter meinen Oberbefehl gestellt wird, und ich bitte schon jetzt, mich lebhaft zu unterstützen, falls die Frage aufgeworfen wird, denn es hängt sehr viel, wenn nicht alles davon ab.

Hat sich der Kaukasus erhoben, so gewinne ich natürlich sehr viel mehr Freiheit in Persien, als wenn die Russen unbeschäftigt an der Grenze von Azerbeidschan auf der Lauer stehen. Über die nachfolgenden Unternehmungen möchte ich mich jetzt nicht aussprechen, denn die Gefahr, sich in ein wertloses Phantasiegemälde zu verlieren, liegt dabei nahe. Gott schenke uns wenigstens einigen Erfolg, der immerhin dazu beitragen wird, die Lage unseres Vaterlandes zu erleichtern.

pp.

Mit der vorzüglichsten Hochachtung und aufrichtiger Verehrung verbleibe ich, wie immer,

Ihr treu ergebener


[Frhr. v.d. Goltz
Generalsfeldmarschall.]


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