1915-08-30-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20191
Zentraljournal: 1915-A-25566
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 08/30/1915 10:10 AM
Telegramm-Ankunft: 08/31/1915 12:30 PM
Praesentatsdatum: 08/31/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 1160
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Athen (Mirbach) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Athen, den 30. August 1915

Infolge einer hartnäckigen Leberreizung, an welcher ich vor 10 Tagen erkrankte und die erst seit gestern einigermaßen gebessert ist, habe ich Herrn Veniselos soeben erst aufsuchen können.

Der Ministerpräsident hat von jeher die Gewohnheit gehabt - schon mit Rücksicht auf die sprachlichen Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hat - seine Ansichten von bestimmten Fragen in eine kurz gefaßte, vorher genau festgelegte Formel zu kleiden.

Seine heutige Formel bezüglich der allgemeinen Politik Griechenlands lautete: „Neutralité vis à vis de tous les belligérants, spécialement bienveillante envers nos alliés Serbes, et s’accomodant du fait que les Alliés détiennent la domination maritime dans les parages intéressant la Grèce. »

Also eine Neutralität mit starker Betonung des Bundesverhältnisses zu Serbien und mit einer deutlich erkennbaren servilen Verneigung nach England hin.

Weiterhin erging sich Herr Veniselos in Klagen über das Schicksal des Griechentums in der Türkei, welches eine dauernde Quelle der Sorge für ihn bilde. Ich erinnerte ihn an unsere wiederholten erfolgreichen Interventionen und fügte hinzu, ich wünschte, die griechische Presse würde in dieser Beziehung auch einmal der Wahrheit die Ehre geben, statt uns dauern als die Helfeshelfer der Türkei hinzustellen. Herr Veniselos bequemte sich zu dem Geständnis, daß unser Dazwischentreten in einzelnen Fällen wohl gewirkt habe hielt aber eigensinnig daran fest, daß das Ausrottungssystem als solches nicht ernstlich getroffen sei.

Alles in allem habe ich den Eindruck gewonnen, daß Veniselos, wenn er auch jetzt grundsätzlich eine Politik der Neutralität proclamiert, dennoch bei jeder sich bietenden Gelegenheit versuchen wird, entweder

1. das griechisch-serbische Bundesverhältnis oder

2. die Lage des Hellenismus in der Türkei oder

3. das maritime, industrielle und damit ökonomische Abhängigkeitsverhältnis gegenüber England

zum Anlaß zu nehmen, um aus dieser Neutralität heraus zu seinen Ententefreunden abzuschwenken.

In den Fällen ad 2. und 3. wird es dem Ministerpräsidenten kaum glücken, die Krone mit sich fortzureißen. Dagegen wird Herrn Veniselos bezüglich des Falles 1., so wie die Situation sich augenblicklich noch darstellte, vorläufig ein gewisser Prozentsatz Chance zugebilligt werden müssen.


[Mirbach]



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