1915-01-21-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20177
Zentraljournal: 1915-A.S.-481
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 02/05/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Vereinigung (Ernst Jäckh)

Mitteilungen


Streng vertrauliche Mitteilungen vom 21. Januar 1915.

Der Grosswesir teilte mir heute abend mit, dass der türkische Gesandte in Bukarest ihm telegraphisch eine heutige Unterredung mit einem massgebenden rumänischen Staatsmanne meldete; derselbe versicherte ihm, dass Rumänien unter dem moralischen Eindruck der demnächst beginnen sollenden deutschen Aktion gegen Serbien stünde; wenn diese Aktion schnell und erfolgreich begonnen werde, so sei die feste Hoffnung vorhanden, dass Rumänien eine wohlwollende Neutralität einnehmen werde.

Im Gegensatz hierzu telegraphiert heute der nach Bukarest entsandte türkische Senator Batzarian, welcher durch seine rumänische Abstammung wichtige Beziehungen zu den rumänischen Staatsmännern unterhält, und der jetzt von uns aus den geheimen Auftrag hat, mit einem ihm zur Verfügung gestellten Kapital von einer Million Mark ein grosses rumänisches Zeitungsunternehmen ins Leben zu rufen, dass die Lage in Rumänien hoffnungslos sei und der Krieg Rumäniens an Seite Russlands unausbleiblich erscheine. Batzarian hält infolgedessen die beabsichtigte Gründung für zwecklos und stellt obige Summe dem deutschen Reich wieder zur Verfügung.

Die Äusserungen Batzarians wurden durch den deutschen Gesandten in Bukarest hierher übermittelt. Dieser fügte seinerseits hinzu, dass der den Pessimismus Batzarians keineswegs teile.

Der Unterstaatssekretär Zimmermann des Auswärtigen Amtes teilt in einem Privatbrief dem Herrn Botschafter mit, dass es die vornehmste Sorge des Hauptquartiers sei, Munition usw. nach Konstantinopel zu schaffen. Man dürfe mit Bestimmtheit erwarten dass die im Laufe des Februar einsetzende kombinierte Aktion gegen Serbien den Weg Belgrad-Nisch endgiltig frei mache. Der Unterstaatssekretär bemerkt weiter, dass gegenwärtig von Berlin aus „verheisssungsvolle Verhandlungen mit den rumänischen Banditen“ eingeleitet sind, um in der Zwischenzeit Munition für die deutschen Schiffe und Minen durrchzubekommen. Der Brief des Unterstaatssekretärs bemerkt ferner, dass die militärische Lage Deutschlands eine sehr gute sei; wenn Österreich-Ungarn nur annähernd dieselbe Lage geschaffen hätte, könnten wir sorglos allem entgegensehen.

Auf mein Befragen über das Verhalten der Senussi antwortete mir der Großwesir ausweichend. Er bestätigte, dass die Engländer die Senussi mit Hochdruck bearbeiten, wobei er bemerkte, dass unsere Freunde, die Italiener, dort unten arge Dummheiten begingen. Aus der Art, wie mir der Grossvesir auf meine Frage antwortete, entnahm ich viel früher, dass die Nachrichten über ein Gelingen der englischen Pläne, um die Senussi vom heiligen Krieg auszuschalten, ihre Berechtigung haben.

Der Grossvesir drückte mir sichtlich die Befriedigung aus, dass der Kriegsminister Enver Pascha, von dem er gestern eine Depesche aus Cesarea erhalten habe, bald wieder hier eintrifft. Der Grossvesir versicherte mir, dass von einer Erschütterung der Stellung Envers nicht die Rede sein könne; niemand wünsche ernstlich seinen Fortgang, es gäbe wohl im Komitee kleine Intriguen, die aber nicht soweit gingen, Enver’s Sturz zu wollen. Selbst eine Niederlage im Kaukasus würde hieran nichts ändern, Er, der Grossvesir habe ebenfalls von Zeit zu Zeit mit Enver scharfe Diskussionen, die aber nicht sagen, dass die gegenwärtige Regierung sich seiner wertvollen Mithilfe erledigen würde. Seine Hoheit fügte hinzu, dass ich von seinen Äusserungen jeden Gebrauch machen könne.


Vertrauliche Mitteilungen vom 25. Januar 1915.

Die Spaltung im Kabinett bezw. im Komitee „Einheit und Fortschritt“ wird immer tiefer. Die eine Seite leistet Enver Gefolgschaft, die andere hält sich an Djavid und ist ausgesprochener Gegner einer Politik mit Deutschland und Österreich. Der Kampf der beiden Parteien hat jetzt Formen angenommen, dass man jederzeit eine Katastrophe erwarten kann.

Selbst Talaat Bey, der bisher am meisten kaltes Blut gezeigt hat, fängt an, die Ereignisse mit Sorge zu betrachten und scheint an eine gewaltsame Lösung des Konfliktes herangehen zu wollen. So hat er zum Beispiel den Wali von Smyrna Rahmi Bey wegen seiner unkorrekten politischen Haltung ernstlich moniert. Dieser hat zwar darauf geantwortet, dass er jederzeit bereit sei, von seinem Posten zurückzutreten und als einfacher Kriegsfreiwilliger in der Armee Djemal Paschas nach Ägypten zu ziehen, setzt aber nichtsdestoweniger seine Intriguen fort, die dahin zielen, einen politischen Putsch in Smyrna hervorzurufen. Durch dieses Mittel hofft er bei der Regierung den Eindruck zu erwecken, dass die Bevölkerung seines Vilajets ihn nicht ziehen lassen wolle. Die letzten aus Smyrna eingetroffenen Zeitungen geben ein allzu deutliches Bild dieser politischen Schiebungen.

Um ähnlichen Vorkommnissen in der Hauptstadt vorzubeugen, will Talaat Bey den Gouverneur von Pera, Kiani Bey, ein Vetter Djavids, und den Gouverneur von Skutari, Ali Bey (ein treuer Gefolgsmann Djavids) absetzen. Der Erfolg dieser Massnahmen wird nur gering sein, da die Parteigenossen Djavids vornehmlich mit der Verbreitung von schlechten Nachrichten über Deutschland und Österreich arbeiten und im Volk die Idee propagieren, dass durch die Parteinahme des jetzigen Kabinetts für die Zentralmächte der Untergang der Türkei herbeigeführt wird.

Talaat Bey wurde gestern gebeten, in der Presse einige Direktiven zu geben über die publizistische Behandlung der jetzigen politischen Lage in den Balkan-Ländern. Er hat die Pressevertreter gebeten, zur Zeit nichts über die Haltung Rumäniens zu sagen, hat aber deutlich durchblicken lassen, dass man berechtigte Hoffnungen hege für eine Minderung des russischen Einflusses auf dem Balkan, der über kurz oder lang auch eine Schwenkung in der Politik dieser Länder zur Folge haben werde.

Man spricht in letzter Zeit von einer Erholungsreise Djavids. Er selbst gibt vor, gern reisen zu wollen, aber seine politischen Freunde hielten ihn zurück. Man geht wohl in der Annahme nicht fehl, dass aus dieser Reise eine Verbannung werden kann und dass Djavid seine Massnahmen trifft, um die nötigen rückwärtigen Verbindungen offen zu halten. Talaat Bey hat ganz gegen seine sonstige Gewohnheit die ihm nahestehenden Pressevertreter auf kommende schwere Kämpfe hingewiesen und hat dabei an ihre Treue und Loyalität appelliert. Man darf daraus schliessen, dass er in nächster Zeit eine Entscheidung wird herbeiführen wollen (vielleicht ist die abgesagte Reise der 6 Abgeordneten nach dem Kaukasus auch in diesem Sinne zu verstehen).

Eine Kommission, bestehend aus alten und angesehenen türkischen Kaufleuten hat Beweise in der Hand, dass in den Staatsbetrieben (incl. Requisitions-Kommission) ungeheure Unterschleife vorgekommen sind. Es steht fest, dass die höheren Beamten nicht daran beteiligt sind. Hauptsächlich kompromittiert sind die radikalen Elemente des Komitees.


„Köilü“, Smyrna, Donnerstag 5. Rebi I 1333 (= 21.1.1915) N. 1967.

Du gehörst uns!


Wie wir gehört haben, hat unser vaterländischer und opferbereiter Vali, der auch während des Tripoliskrieges trotz der Gefahren aller Art, die sein Leben bedrohten, unter tausendfältigen Mühseligkeiten nach Tripolis gegangen war, seiner überwallenden Vaterlandsliebe nicht widerstehen können und beschlossen, seine Entlassung zu nehmen, um sich an dem heiligen Djihad zu beteiligen und nach Ägypten zu begeben.

Vor allem entbieten wir unserem Vali für die in seiner grossen Seele wurzelnden Gefühle des festen verklärten Glaubens und für das erhabene göttliche Feuer der Begeisterung, aus vollem Herzen hunderttausendmal unsern ehrerbietigen Gruß. Dann aber flehen wir ihn an, mit uns Mitleid zu haben.

Wenn unser hochgeehrter, ausgezeichneter Vali in dieser Provinz, die der Schwerpunkt Anatoliens ist, sich herumschlägt, so ist das genau ein Heiliger Krieg. Das Heil und die Zukunft dieses Landes, die Eröffnung seiner Hilfsquellen - wer das fertig bringt und in die Lebensadern des Volkes neues Blut einführt, der tut dassselbe, wie der der das Land gegen den Feind verteidigt.

Das grosse gesegnete Anatolien stützt sich heute auf diese Provinz, die allein die Grösse und Ausdehnung eines Königreiches hat. In dieser Provinz Dienste leisten, bedeutet eine so hervorragende Tat, wie die Rettung des ganzen Vaterlandes.

Du, unser grosser Landsmann und ausgezeichneter Vali, Du gehörst uns. Der grosse Gott hat es Dir auf Deine edle hohe Stirn geschrieben, die Zukunft dieser Provinz und damit die Zukunft des Mutterlandes Anatoliens zu begründen.

Du kannst diese Schrift von Gottes Hand nicht auslöschen und weggehen.

Die Provinz, das Land, das Volk, sie erwarten von Deinen Händen, die nie erlahmen noch erschlaffen, von Deinem fruchtbaren und schöpferischen Verstande, von Deinem belebenden Sinne noch grosse Dienste - Du darfst das Land und seine Bevölkerung nicht allein und verwaist zurücklassen. Dein hoher Geist wird sicherlich von dem Entschluss, Deine Entlassung zu nehmen, zurückkommen.

Grosser Vali, wir hoffen, Du lässt Dich durch die Tränen des Landes und der Bevölkerung rühren und dazu bestimmen, Dich wieder auf dem Throne, den Dir die Erkenntlichkeit und Dankbarkeit der Provinz für Deine ewig dauernden Verdineste errichten, niederzulassen.


* * *

Wie wir hören, haben sich die Mitglieder des Munizipalitätsrates und der Provinzversammlung zusammen mit den angesehendsten Einwohnern zum Herrn Vali Bey begeben und ihm den schmerzlichen Eindruck geschildert, den sein Entschluss auf die Provinz gemacht hat; gleichzeitig flehen sie ihn im Namen der Bevölkerung an, seinen Entschluss rückgängig zu machen.


Streng vertraulich

Türkischer Botschafter in Berlin telegraphiert:

Sein Kollege in Madrid habe ihm mitgeteilt:

Mulai Hafid est l’objet de fortes attentions de la part des Espagnols à Barcelone. Son expulsion a été refusé au Gouvernement Français. Entente entre Moulai Hafid & Gouvernement Espagnol nous permettra soulever fortement tous des tribus contra Français en leur portant coup mortel en Afrique. Il y a quelques combats entre Marocains & Français aux environs de Kofza. Agitation mouvement augmente de jour en jour.

Centaine Officiers Portugais accusés complot contre Gouvernement ont été arrêtés. Situation dans la République voisine est grave.


Streng vertrauliche Mitteilungen vom 29. Januar 1915.

Der österreichische Botschaftsrat, Graf Trautmannsdorf, welcher vom neuen Minister des Äusseren, Herr von Burian, nach Wien berufen wurde, ist heute hierher zurückgekehrt. Trautmannsdorf sagte mir, die Eindrücke, welche er von seinem Chef, sowie überhaupt in Österreich-Ungarn gewonnen habe, seien durchaus zuversichtlich und gehoben. Es habe noch in keiner Epoche des Kriegsverlaufs eine so ausgeprägt gute Stimmung geherrscht wie gegenwärtig; der Vorgänger Burians, Graf Berchtold, sei tatsächlich gegangen, weil er die Nerven verloren hatte und mit dem Gedanken ernstlich zu Rate ging, mit Russland Frieden zu schliessen. Bei Burian sei dies nicht zu erwarten, der bleibe fest. Herr von Burian äusserte sich ausserordentlich günstig über seine eingehende Aussprache im deutschen Hauptquartier, aus dem er zurückgekommen war, als Graf Trautmanndorf ihn sah. Nähere Details teilte er mir nicht mit.

Graf Traumannsdorf versicherte mir, dass die Aktion gegen Serbien vorläufig verschoben sei, der gegenwärtige Plan bewege sich in der Richtung einer grossen und entscheidenden Aktion im Osten Galiziens und der Bukowina. Ungefähr 4 deutsche Korps werden gegenwärtig hinunter transportiert, im Ganzen werden 13 Korps hierbei engagiert sein. Er liess durchblicken, dass Feldmarschall von Hindenburg ebenfalls hinunter käme. Rumänien werde hierdurch gezwungen werden, seine gegenwärtige Politik aufzugeben und sich in irgend einer Form den Centralmächten anzuschliessen. Nach verlässlichen Berichten, welche das Wiener Auswärtige Amt habe, sei bereits jetzt in massgebenden rumänischen Kreisen die Erkenntnis vorhanden, dass die bisher dort geübte Praxis eine entscheidende Revision nötig hat. Erst wenn diese sowohl in Wien wie in Berlin als wichtig und entscheidend gehaltene Aktion durchgeführt ist, werde Serbien an die Reihe kommen. Die Action selbst sei imminent.

Graf Traumannsdorf teilte mir streng vertraulich mit, dass der bulgarische Militärattaché in Petersburg, ein sehr gut informierter und verlässlicher Militär auf Berufung der bulgarischen Regierung in Sofia zur Berichterstattung eingetroffen sei. Seine Auffassung der russischen Lage, über welche er dem König einen ausführlichen Bericht überreichte, sei pessimistisch. Dies ist um so mehr zu bemerken, als genannter Attaché bis Ende Dezember über die Aussichten der beiden Centralmächte wenig Hoffnung äusserte. Sein Bericht hebt hervor, dass nachdem die ersten russischen Treffen gesäubert sind, das gegenwärtige Menschenmaterial wenig Schwierigkeiten zur Überwindung bereiten würde. Er stellt ferner fest den nicht zu ersetzenden Offiziermangel und die auffallenden Lücken an Ausrüstungs- und Bekleidungsgegenständen, ferner die in hohem Grad mangelhafte Verproviantierung. Der österreichische Gesandte in Sofia, welchem der König Ferdinand den obigen Bericht zur Ensicht gab, fügte hinzu, Seine Majestät hüpfte bei dieser Gelegenheit vor Freude.


P.W.

Von den soeben eingetroffenen Feldjägern erfahre ich, dass der Aufmarsch der nach Ungarn geschafften deutschen Truppen vollendet ist. Alle Bahnen funktionieren wieder normal. Der Feldjäger hat seine Reise in 3 Tagen (statt in 9 wie der vorhergehende) gemacht.

Die Berufung des Herrn Burian zum Minister des Auswärtigen bedeutet einen vollkommenen politischen Sieg des ungarischen Ministerpräsidenten, Grafen Tisza, der jetzt der allmächtige Mann in Österreich ist und dem Burian unbedingt Gefolgschaft leistet. Von dieser Neuordnung der Dinge wird auch die Politik Italiens nicht unberührt bleiben. Wie man sagt, trägt Graf Tisza (als Ungar!) keinerlei Bedenken gegen territoriale Abtretungen, wenn die Not der Stunde es verlangen würde, was unter Berchtold ausgeschlossen war. Die Verhandlungen Tisza’s und Burians im deutschen Grossen Hauptquartier sollen vornehmlich diesem Gegenstand gegolten haben.

Exzellenz v.d. Goltz hat von Exzellenz v. Falkenhayn einen Brief erhalten mit der Mitteilung, dass die Aktion gegen Serbiens fürs erste zurückgestellt sei hinter die Operationen gegen den linken Flügel der russischen Armee. Letztere sei so wichtig und vielversprechend, dass man Serbien getrost z.Zt. sich selbst überlassen könne. „Konstantinopel“ könne sich aber darauf verlassen, dass er, v. Falkenhayn, die hiesigen Sorgen und Schwierigkeiten wegen Munitionszufuhr pp. nicht aus dem Auge verliere. Er hoffe, dass die beabsichtigte Aktion schon für uns einen praktischen Erfolg zeitigen werde. (Gemein ist wohl der Umschwung in der Stellungnahme Rumäniens angesichts der deutschen Truppen in der Nähe seiner Grenzen.)


Vertrauliche Mitteilungen vom 30. Januar 1915

Der Kaiserliche Gesandte in Bukarest meldet hierher:

Der rumänische Ministerpräsident Bratianu habe ihm gestern vertraulich mitgeteilt, dass der rumänische Finanzminister, welcher zwecks Anleihe-Verhandlungen sich in London befand, England ergebnislos verlassen habe. Sir Edward Grey stellte als erste Bedingung für den Abschluss einer Anleihe den Eintritt Rumäniens in den Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn - sowie mehrere andere Bedingungen wirtschaftlicher Art. Die rumänische Regierung hat die englischen Forderungen a limine abgelehnt.



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