1915-06-25-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 20188
Zentraljournal: 1915-A.S.-3357
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 06/25/1915
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger an den Generlstabschef (Falkenhayn)

Schreiben



Euer Exzellenz

wollen meine herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche zu dem großartigen Erfolg, den unsere tapferen Armeen unter Ihrer Führung erreicht haben, entgegennehmen. Es wird eine der größten Taten der ganzen modernen Kriegsgeschichte sein, welche unsere Armeen in den letzten Wochen geschaffen haben. Nunmehr aber gestatten Euere Exzellenz mir die Frage: Wie weiter?

Nach meinem Dafürhalten muß nunmehr der Krieg im Osten so glänzend gewonnen werden, daß uns keine Gefahr mehr drohen kann. Zu diesem Zwecke dürfte zuerst notwendig sein, jetzt den längst geplanten Angriff gegen die Nordostecke Serbiens baldigst durchzuführen. Wie ich aus bester Quelle weiß, ist Bulgarien geneigt, einen Gegenstoß gegen Serbien zu führen, sobald unsere Armeen oben angreifen. Eine solch günstige Situation in Bulgarien wie jetzt war noch nie da und wird nicht so leicht wiederkehren. Wenn dieser überaus günstige Moment nicht ausgenützt würde, so entsteht die ernsthafte Gefahr, daß in Bulgarien die Stimmung umschlägt und daß die dortigen maßgebenden Kreise mit Mißtrauen gegen die Zentralmächte erfüllt werden. Dies aber wäre ein großes Unglück für unser Vaterland.

Ew. Exzellenz werden vielleicht sagen, daß es ein Leichtes sei, von der Heimat aus die neuen großen Anstrengungen eines Feldzuges gegen Serbien zu verlangen. Aber es ist meine feste Überzeugung, daß unsere Armee auch dieses gewaltige Werk schaffen wird, weil sie weiß, daß alle die vielen bisherigen Opfer des Krieges vergebens gebracht worden sind, wenn der Balkan sich gegen uns erhebt. Die Nachrichten, daß im Negontiner Kreis ansteckende Krankheiten herrschen, sind nach den mir gewordenen glaubwürdigen Informationen größtenteils Ausstreuungen von serbischer Seite, um vor einem Angreifen abzuschrecken.

Es kommt ein Weiteres hinzu. Der Friede mit Rußland wird und kann erst erzielt werden, wenn die Balkanfrage, voran die serbische Frage, zu unseren Gunsten entschieden ist. Wenn man also einen Frieden mit Rußland will, muß man erst die serbische Frage beseitigen. Auf diplomatischem Wege kann dies nicht geschehen. Das wird uns noch weniger gelingen als den Russen, die sich so viele Mühe gaben. Also bleibt nur der militärische Angriff übrig, der Angriff, der uns die Erhaltung der Türkei sichert und der auch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik nach dem Kriege schafft. Der Angriff gegen Serbien, dem ein kurz befristetes Ultimatum der Zentralmächte einschließlich Bulgariens mit den notwendigen Konzessionen Serbiens vorangehen müßte, ist politisch viel wichtiger und bedeutsamer als jede österreichische Offensive gegen Italien. Hier auf dem Balkan ist der volle Sieg uns so gut wie sicher und die Frucht dieses Sieges ist von welthistorischer Bedeutung. Italien mag nachher an die Reihe kommen.

Nach den mir gewordenen Informationen aus Sofia und Bukarest ist die politische Lage so, daß alle Vorbereitungen für einen Angriff gegen Serbien möglichst schnell zu treffen sind. Die Stimmung ist unter dem Eindruck der gewaltigen Siege in Galizien eine gute, aber sie lößt sich nicht voll zu unseren Gunsten aus, weil unsere Gegner noch sagen: „Die Zentralmächte haben vor dem kleinen Serbien Angst.“ Aus diesen politischen Erwägungen heraus komme ich zu der dringendsten Bitte an Ew. Exzellenz, den militärischen Angriff gegen Serbien baldigst anordnen zu wollen. Keine Aktion dürfte mehr zu einem raschen ehrenvollen Frieden beitragen, wie eben diese. Nach meiner Kenntnis der Dinge in Sofia, die sich auf eine Reihe von zuverlässigen Gewährsmännern stützt, wird es nicht zu erzielen sein, vor diesem Angreifen ein förmliches Abkommen, ein Bündnis oder eine Militärkonvention zu erzielen. Wohl aber ist gesichert, daß spätestens eine Woche nach Beginn unserer militärischen Operationen gegen Serbien Bulgarien gleichfalls an Serbien den Krieg erklärt.

Ew.Exzellenz wollen diese Darlegungen entgegennehmen als die Frucht zuverlässiger Informationen und ruhiger Ueberlegung, als ein Resultat, das vorzutragen ich mich für verpflichtet halte.


Mit hochachtungsvoller Begrüßung bin ich Ew.Exzellenz ganz ergebener
[Erzberger]
Mitglied des Reichstages.



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