1915-03-03-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 22404
Zentraljournal: 1915-A.H.-819
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 03/03/1915 12:50 AM
Telegramm-Ankunft: 03/03/1915 07:30 AM
Praesentatsdatum: 03/03/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 21
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 20.

Berlin, den 3. März 1915

Der K. Botschafter in Konstantinopel telegraphiert:

„Erstens für Chef Militär-Kabinetts Freiherrn von Lyncker.

Euerer Exzellenz melde, daß hier fortgesetzt militärisch falsche und übereilte Massnahmen getroffen werden, ohne dass ich entgegen Kontrakt und Bündnisvertrag überhaupt gehört werde.

Heute Vormittag meldet Oberstleutnant Schlee, dass Befehl vorbereitet, dass Adrianopel als Festung geräumt werde.

Nachmittag meldet Major Böttrich Eisenbahnabteilung, dass alles vorbereitet werde, um zu meiner Armee gehörige Armeekorps nach Ismid mit Schiffen zurück zu transportieren. Befehle für beide werden zur Ausarbeitung befohlen, ohne dass ich von Enver oder General Bronsart von Schellendorff überhaupt Kenntnis erhalte.

Am 20. Februar ganz unüberlegte Zerreissung 1. und 2. Armee ohne meine Kenntnis vorbereitet und trotz Protestes sofort befohlen.

In allem überaus schädlicher Einfluss des Generals von Bronsart, der entgegen wiederholten genauen Befehlen mir nicht vorträgt, solange Einfluss denkbar.

Bei General von Bronsart direkter bewusster Ungehorsam gegen seinen direkten Vorgesetzten.

Feldmarschall Frhr. von der Goltz hat heute, wie schon wiederholt, mit den mir unterstellten deutschen Dienststellen militärische Massnahmen ohne meine Kenntnis besprochen, was direkt gegen meinen Kontrakt - so heute Zurückziehung 4. Armeekorps.

Melde, dass jetzige Verhältnisse im Interesse deutscher Disziplin unmöglich.

Bei ernst bevorstehenden Ereignissen muss derartige planmässige Untergrabung zuständigen Einflusses Katastrophe für Armee herbeiführen.

Akten, welche alles Vorstehende belegen, folgen mit nächstem Kourier.

Erbitte Meldung an Seine Majestät.

Liman von Sanders, General der Kavallerie.

Zweitens für Chef des Militär-Kabinetts zu heutigem Telegramm Marschall Liman von Sanders.

Befehl zu eventueller Wegnahme einiger Geschütze aus Adrianopel bereits zurückgenommen. Teile vierten Armeekorps sollen vielleicht in Gegend zwischen Dardanellen und Konstantinopel herangezogen werden. Für Erörterung derartiger Projekte höchst hinderlich gespanntes Verhältnis zwischen Marschall Liman von Sanders und Enver Pascha, die im gleichen Gebäude sitzend, nur noch schriftlich verkehren, sowie nahezu unhaltbares Verhältnis zwischen Marschall von Liman und General von Bronsart. Bei Bronsart von Schellendorff keinesfalls bewusster Ungehorsam vorliegend, aber Schwierigkeit seiner Doppelstellung als Stabschef Envers und Angehöriger der Militär-Mission komplizierte Dienstgeschäfte, auch dürfte Limans physische Schwerhörigkeit manchmal Bronsart’sche Meldungen wirkungslos verhallen lassen, da sonst häufige Widersprüche in beiderseitigen Aussagen unerklärlich wären. Feldmarschall Frhr. von der Goltz bespricht militärische Massnahmen mit Enver, Bronsart und anderen Dienststellen in unverbindlicher beratender Weise, wozu er sich verpflichtet hält und neuerdings vom Sultan ausdrücklich bestellt wurde. Limans nervöse Eifersucht und Misstrauen lassen ihn leider oft ungerechtfertigte persönliche Gegnerschaft vermuten. Seitens Botschafters, Feldmarschalls, Admirals Souchon und meinerseits wird alles versucht, diesen neuen Konflikt beizulegen. Erfolg zweifelhaft. Anderweitige Verwendung Bronsats scheitert an Envers Treue zu seinem Stabschef. Protest Envers gegen Eventualität der Abberufung Bronsarts soll bearbeitet vorliegen und dürfte morgen folgen. Leipzig.“

Bitte die Meldungen an Freiherrn von Lyncker weiterzugeben.


[Jagow]



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