1918-07-30-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14103
Zentraljournal: 1918-A-32288
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Kaukasus Kampagne
Telegramm-Abgang: 07/30/1918
Telegramm-Ankunft: 07/31/1918 07:55 AM
Praesentatsdatum: 05/31/1918 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 1223
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/15/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Bernstorff) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 1223
Konstantinopel, den 30. Juli 1918

Großwesir und Nessimi Bey entschlossen sich nun endlich, in Kaukasusfrage bestimmte Stellung zu nehmen, nachdem Angelegenheit mehrfach im Ministerrat besprochen worden. Nessimi wollte zunächst immer wieder auf Vergangenheit zurückkommen, den Konflikt von Batum erklären usw. Ich sagte wiederholt, daß hieran doch nichts mehr zu ändern sei und daß wir versuchen müßten, für die Zukunft eine Basis zu finden, auf welcher Einigkeit der Bundesgenossen wiederhergestellt werden könnte.

In der einen Hauptfrage gab türkische Regierung vollkommen nach. Sie ist bereit, jede Rücksicht auf Rußland zu nehmen und darauf zu verzichten, in der bevorstehenden Konferenz bezw. in den abzuschließenden Verträgen die Anerkennung der neu gebildeten Republiken auszusprechen.

Hinsichtlich der armenischen Flüchtlinge will Türkische Regierung sofort mit der Zurückführung in die Heimat beginnen. Großwesir und Nessimi behaupteten, daß sie mit großer Mühe den Widerstand Envers überwunden hätten, der militärische Gründe vorschütze. Letzterer habe auch bestimmt verlangt, daß für den Bezirk Alhilkelek bis nach Abschluß der Konferenz eine Ausnahme gemacht werde. Dort ständen nur neu gebildete schwache türkische Truppen, auf deren Disziplin man sich nicht verlassen könne. Da die Armenier dort vor ihrem Rückzug Greueltaten begonnen hätten, liege Gefahr nahe, daß Türken sich rächen würden.

In Frage der Grenzregulierungen bliebe Türkische Regierung vollkommen intransigent. Wir müßten bedenken, daß es sich um die Grenze der Türkei handele, daß diese also allein von den Verbündeten im Kaukasus vitale Interessen vertrete, und daß ihr Prestige dort unrettbar verloren sei, wenn die Türkei vor den von uns gestützten Kaukasus-Staaten zurückweichen müsse.

Kurz wiederholt, steht Türkische Regierung heute auf dem Standpunkt, daß sie Konferenz möglichst bald beginnen möchte und uns in jeder anderen Beziehung nachgeben will, wenn wir ihr die Grenzregulierung bewilligen.

Unsererseits muß nunmehr eine Entscheidung getroffen werden. Unsere Stellung ist keine leichte, da die Grenzregulierungen bekanntlich Enver Pascha schon einmal zugestanden worden sind. Außerdem glaube ich aus den mir gegenüber getanen Äußerungen des Grafen Burian und des hiesigen bulgarischen Gesandten entnehmen zu dürfen, daß man in Wien und Sofia den Türken die Grenzregulierungen zugestehen möchte, wenn sie die Differenz mit Bulgarien endgültig aus der Welt schaffen. Dies ist auch die persönliche Ansicht des hiesigen österreichisch-ungarischen Geschäftsträgers. Euerer Exzellenz ist bekannt, daß ich diesen Standpunkt von vornherein vertreten habe. Ich tue es auch heute noch und zwar aus folgenden Gründen: Die Türken werden in dem Punkte der Grenzregulierungen m.E. niemals nachgeben. Dagegen dürften sie nach türkischer Gepflogenheit bereit sein, daraus ein Handelsobjekt zu machen. Eine andere Art der Verhandlung kennt der Türke garnicht. Andererseits haben wir m.E. gar kein Mittel, die Türken zu zwingen, nachzugeben. Mit jeder Art von Repressalien ist bereits angeblich gedroht worden. Wenn wir solche Repressalien wirklich ausführen, werden wir unseren Feinden nützen, indem wir die türkische und unsere eigene Kriegführung hindern, und werden wir außerdem schließlich die Türken in die Arme unserer Feinde treiben. Die letztere Möglichkeit halte ich jetzt für durchaus nicht ausgeschlossen, weil die Entente schon beinahe in einen ...1 mit dem gegenwärtigen Rußland geraten ist und auf letzteres daher weniger Gewicht zu legen braucht ...1 auf die Hoffnung, den Vierbund zu sprengen.

Schließlich ist zu bedenken, daß nach Auskunft aller im Kaukasus gewesenen Sachverständigen dort garnicht so große wirtschaftliche Vorteile zu erlangen sind, wie zuerst geglaubt wurde. Aserbeidschan ist der reichste Teil des Kaukasusgebiets und von dort werden wir die Türken schon wegen der Stimmung der Bevölkerung doch nicht verdrängen können. Das arme Georgien kann uns fast nichts bieten und scheint uns auch nicht einmal willkommen zu heißen, während die Armenier uns nie verzeihen werden, daß wir die Verbündeten der Türken sind. Was endlich das Petroleum anlangt, so haben die Grenzregulierungen mit dieser Sache nichts zu tun. Wie die Dinge liegen, können wir Frage von Baku nur durch freundschaftliche Verhandlungen mit Russen, Türken und den Einwohnern von Aserbeidschan zu günstiger Erledigung führen.

Wenn Euere Exzellenz eine Einigung mit der Türkei auf obiger Basis für ausgeschlossen erachten, so bleibt m.E. nur übrig, mehr Truppen nach Armenien und Georgien zu schicken. Falls wir uns nicht mit den Türken einigen wollen, müssen wir im Kaukasus Machtpolitik treiben und vorläufig haben die Türken dort die Macht und nicht wir. Auf die Dauer müßte aber m.E. ein solches Verfahren dazu führen, daß unsere hiesige Bündnis- und traditionelle Orientpolitik in die Brüche geht.


[Bernstorff]

1 Gruppe fehlt.



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