1915-07-02-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20189
Zentraljournal: 1915-A.S.-3790
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 07/19/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 10
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Colmar von der Goltz an das Kriegsministerium

Militärbericht


Konstantinopel, den 2. Juli 1915
Bericht Nr. 10.

Oberstabsarzt Dr. Schacht von der ehemaligen Klein’schen Karoun-Expedition, der aus dem Irakgebiet, wo er an den Kämpfen um Basra teilgenommen hat, hierher zurückgekehrt ist, berichtet über die beträchtliche Stärke der englischen Stellungen dort. Bei Schaibe, einem kleinen Ort 10 km nördlich Subeir (südwestlich Basra) haben sie mit allen Mitteln der Neuzeit - betonierten Schützengräben, Drahthindernissen usw. - ausgestatteten festen Platz geschaffen, der auf dieser Seite den einzigen Zugang zu Basra verschließt. Er ist mit weittragenden modernen Geschützen versehen, so daß, bei dem fehlgeschlagenen türkischen Angriff, die türkische Artillerie überhaupt nicht nahe genug hat herankommen können, um ernsthaften Schaden zu tun. Ein Umgehen und Umfassen ist wegen der Überschwemmungen und der vielen Wasseradern ausgeschlossen - man müsse sich das ganze Land um Basra als ein von der englischen Flotille beherrschtes Seengebiet vorstellen. Angeblich sind sechs Kanonenboote, darunter eines von der Größe eines kleinen Kreuzers, bei Basra versammelt, denen die türkische Regierung nach Wegnahme des letzten türkischen Kanonenbootes, nichts entgegenzusetzen hat. Leichter zugänglich soll Basra von der Ostseite, d.h. von El Mohammeré her sein.

Auch Kourna am Zusammenfluß von Euphrat und Tigris ist ähnlich befestigt wie Schaibe und nicht leicht zu nehmen. Türkische Kräfte stehen beobachtend noch immer bei Nasrié am Euphrat.

Am Tigris sind die englischen Hauptkräfte bei Amara versammelt, der größte Teil der türkischen unter Oberstleutnant Noureddin Bey 250 km weiter stromaufwärts bei Kut-el-Amara.

Die Gesamtstärke der Engländer wird auf zwei Divisionen geschätzt, indessen steht ihnen auch ein Teil der in ihrem Solde befindlichen arabischen Stämme zur Verfügung.

Von türkischer Seite kann im Augenblick nicht Ernsthaftes gegen sie unternommen werden, ehe nicht die Verhältnisse an den Meerengen und auf der Balkanhalbinsel geklärt sind. Auch muß vorher die Verbindung mit Mittel-Europa hergestellt sein, um das nötige Kriegsmaterial, namentlich schwere Artillerie und Munition heranziehen zu können.

Das weite Vordringen der Engländer im Zweistromland ist auch für uns nicht unbedenklich. Stehen sie beim Friedensschlusse noch, wo sie jetzt sind, so rauben sie der Bagdadbahn die weitere Entwickelung nach dem persischen Golf, und sie werden schwer aus dem angemaßten Besitz herauszubringen sein. Auf türkischer Seite tröstet man sich etwas leichtherzig damit, daß das osmanische Reich, dem sein Besitzstand garantiert sei, am Ende des Krieges doch alles Verlorene zurückerhalten müsse. Es wird gut sein, durch unsere diplomatische Vertretung darauf hinweisen zu lassen, daß dies doch nur dann der Fall sein könne, wenn der deutsche Rat bezüglich der Verteidigung auch gehörige Berücksichtigung gefunden habe. Ich halte die baldige Säuberung des ganzen Irakgebietes von der englischen Invasion für äußerst wichtig. Zumal im Hinblick auf einen späteren Feldzug gegen Osten tritt dies hervor, durch den allein der Weltkrieg einer wirklichen Entscheidung entgegengeführt werden kann. Nur wenn England sich in seinem indischen Besitz bedroht fühlt, wird es aufrichtig zu einem dauernden Frieden unter für uns günstigen Bedingungen bereit sein. Bis zum Herbst freilich verhindert noch das Klima ein ernstes Vorgehen größerer Truppenmassen.

An der Ostgrenze des osmanischen Reiches hat sich die Lage etwas gebessert. Das auf 30000 Mann verstärkte Korps Halil Bey hat, von Bitlis wieder vorgehend, an der Nordseite des Van-Sees einen Erfolg über Russen und Armenier davongetragen. Die 3. Armee an der kaukasischen Grenze hat mit ihrem linken Flügel gleichfalls einige Fortschritte gemacht.

Am Suezkanal dauert die Ruhe fort.

An den Dardanellen wird auf den bisherigen Kampffeldern bei Ari Burnu und Sedd-ul-Bahr weitergekämpft - von den Verbündeten ohne Aussicht vorwärtszukommen; von den Türken leider noch immer ohne Aussicht, den Gegner ganz vom festen Lande zu vertreiben. Die auch neuerdings noch vermehrten Hauptkräfte der türkischen Feldarmee sind dort gefesselt, was namentlich um Hinblick auf die Vorgänge auf der Balkanhalbinsel unerwünscht ist. Bulgarien und Rumänien würden in ihrer unfreundlichen Haltung nicht länger verharren, wenn jene gegenwärtig bei Adrianopel verfügbar wären.

Es wird hier augenblicklich lebhaft mit Bulgarien verhandelt. Dabei stellt sich heraus, daß Italien Schule gemacht hat. Trotz des bestehenden Bündnisses zwischen Bulgarien und Türkei verlangte Dr. Totschkoff, der bulgarische Unterhändler, von dieser nochmals die Grenzlinie Enos-Midia, dann Kirklissa mit einem weiteren Stücke von Türkisch Thrazien, vorübergehend auch Adrianopel, und erst jetzt nähern sich beide Parteien. Die Grundlage dafür bildet die Bereitwilligkeit der Türkei, an Bulgarien einen Landstreifen abzutreten, der dem letzteren gestattet, auf bulgarischem Boden eine eigene Eisenbahnlinie nach Dedeagatsch anzulegen. Noch nicht einig ist man dagegen über das bulgarische Verlangen, die Maritza auf beiden Ufern zu besitzen und regulieren zu können, was natürlich noch weitere Abtretungen notwendig machen würde. Ich habe in einer Unterredung mit Dr. Totschkoff vorgeschlagen, eine türkisch-bulgarische Gesellschaft zu bilden, die unter der Oberhoheit der beiden Regierungen die Regulierung besorgt und die Benutzung des schiffbar gewordenen Flusses regelt. Ob die Verhandlungen zum Ziele führen, ist noch fraglich; morgen soll eine neue entscheidende Besprechung stattfinden. Der Vorteil für die Türkei wäre zunächst Öffnung der bulgarischen Grenzen für die Durchfuhr von Munition und Kriegsmaterial, die allmählich zur dringenden Notwendigkeit wird. Die auf 820 Geschosse gesteigerte Tagesproduktion genügt noch bei weitem nicht für den Bedarf, und die vorhandenen Vorräte sind, wenn dauernd gefochten wird, mit dem Ablauf des Juli voraussichtlich erschöpft. Es wäre ein wahrhaft tragisches Schicksal, wenn das brave osmanische Volk, das in diesem Kriege einen so erfreulichen Anlauf zur Wiedergeburt genommen hat, endlich doch am Mangel an Schießbedarf scheitern sollte.

Die schwere Operation, die Sultan Mehmet Reschad hat durchmachen müssen und deren glücklicher Verlauf haben gezeigt, daß der Großherr, trotz der Unscheinbarkeit seines Auftretens doch schon ein populärer Mann ist. Die Teilnahme der Bevölkerung ist eine allgemeine.


[Frhr. v.d. Goltz, Generalfeldmarschall]



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