1919-06-28-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14106
Zentraljournal: 1919-A-18715
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 06/29/1919 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Das Auswärtige Amt an Johannes Lepsius

Schreiben



Berlin, den 28. Juni 1919.

Abschrift.

Hochverehrter Herr Doktor!

Ihr Buch “Deutschland und Armenien” ist bis jetzt noch nicht erschienen. Ich weiß nicht, ob dies auf typographische Schwierigkeiten oder auf eine Anordnung von Ihnen zurückzuführen ist. Ich selbst begrüße die Verzögerung und möchte Sie bitten, zu erwägen, ob die Herausgabe unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht noch länger zurückgestellt werden sollte.

Wie Sie wissen, hat die Entente in dem Prozeß gegen die Mitglieder des Komitees “Einheit und Fortschritt” gewaltsam eingegriffen und die Angeklagten nach Malta schaffen lassen. Es ist jetzt sicher, daß die Aburteilung durch ein interalliiertes Gericht erfolgen wird, das natürlich erst in einigen Wochen oder Monaten zusammentreten kann. Falls Ihr Buch jetzt erschiene, müßten wir also damit rechnen, daß es von unseren Feinden für den Prozeß benutzt werden würde. Der öffentliche Ankläger würde sich sicher die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das eine oder andere kräftige Wort der deutschen Botschafter und Konsuln in seinem Requisitorium zu verwerten. Es ist ein peinlicher Gedanke, daß wir auf diese Weise den Feinden Waffen gegen unsere früheren Freunde liefern. Der Sache der Gerechtigkeit wird dadurch nicht gedient. Es liegt ohnedies genug Material zur Feststellung des wirklichen Herganges vor. Es fragt sich also nur, ob der Zweck der ganzen Publikation es erfordert, daß das Werk zu der Zeit in aller Händen ist, wo die Frage der Verantwortlichkeit für die Armeniermorde richterlich festgestellt werden soll. Ich glaube diese Frage verneinen zu sollen. Aufgabe des interalliierten Gerichts ist die Feststellung der Schuld oder Unschuld der Angeklagten. Es hat nicht darüber zu befinden, ob etwa eine Mitschuld der deutschen Regierung vorliegt. Freilich werden Staatsanwalt und Richter sich die Gelegenheit zu feindseligen Ausfällen gegen Deutschland, deutsche Diplomaten und Offiziere nicht entgehen lassen. Dem sind wir aber auch dann ausgesetzt, wenn das Buch ihnen bekannt ist. In diesem Falle wird ihre natürlich parteiische Kritik an der Haltung Deutschlands, wie sie sich aus dem Buche ergibt, für uns gefährlich, da sie zur Kenntnis der ganzen Welt kommt, während unsere Replik mehr oder minder totgeschwiegen werden würde. Wir müssen uns sagen, daß wir nur einmal wirklich vor der Öffentlichkeit zu Worte kommen. Das geschieht durch das Erscheinen Ihres Buches. Ich würde es für gut halten, wenn diese Veröffentlichung zugleich die Antwort auf die Kritik bildete, die unzweifelhaft in dem Prozeß an der Haltung Deutschlands geübt werden wird.

In Angelegenheiten der Presse und der propagandistischen Wirkung haben Sie, verehrter Herr Doktor, größere Erfahrung wie ich, ich wollte aber nicht unterlassen, Ihnen in dieser Frage, über die Sie natürlich allein zu entscheiden haben, meine Ansicht mitzuteilen.


[Göppert]



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