1916-09-10-DE-004
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Quelle: /PA-AA/R 20099
Zentraljournal: 1916-A-25426
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: A. Nr. 2788
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Erste Sekretär in Konstantinopel (Radowitz) an den geheimen Legationsrat im Auswärtigen Amt

Privatbrief


Therapia, den 10. September 1916

1 Anlage

Lieber Langwerth,

Anbei lasse ich Ihnen Abschrift eines Privatbriefes zugehen, den Dr. Prüfer unter dem 18. August an Dr. Weber gerichtet hat. Die darin enthaltenen Ausführungen scheinen mir die Lage in Palästina und am Sinai, wie sie sich als Ergebnis unserer verschiedenen Kanalunternehmungen nunmehr darstellt, treffend wiederzugeben. Ich habe daher geglaubt, Ihnen von dem Prüfer’schen Brief Kenntnis geben zu sollen. Ich nehme an, daß Sie den sehr interessanten Inhalt dem Militär nicht vorenthalten werden, möchte aber bitten, den Namen des Verfassers dem Militär gegenüber nicht zu nennen, da er sich ja noch im Militärverhältnis befindet.

Dr. Prüfer erzählt gleichzeitig, daß es ihm infolge schwerer Dysenterie zur Zeit nicht gut gehe und daß er sich jetzt nach fast zweijähriger ununterbrochener Tätigkeit in Palästina und in der Wüste am Ende seiner körperlichen Leistungsfähigkeit fühlt. Er möchte zwar nicht während des Krieges um seine Rückberufung bitten, wäre aber dankbar, wenn ihm die Möglichkeit gegeben würde, sich unter anderen günstigeren Verhältnissen zu betätigen.

Da er über egyptische Dinge gut unterrichtet ist, würde sich vielleicht für ihn ein lohnendes Feld der Betätigung in der Schweiz bieten. Es käme ihm hierbei zu statten, daß er den in der Schweiz lebenden türkischen Persönlichkeiten, da er niemals in Konstantinopel dienstlich beschäftigt wurde, völlig unbekannt sein wird.

Jedenfalls sollte ich nicht unterlassen, Sie auf diese Möglichkeit einer Verwendung Prüfer’s hinzuweisen. Da er sich während der 2 Jahre, die er in enger Zusammenarbeit mit Djemal Pascha und Oberst Kress von Kressenstein verlebte, nach allen der Botschaft zugegangenen Nachrichten sehr gut bewährt hat, nehme ich keinen Anstand, seinen Wunsch auf das Wärmste zu befürworten.

Mit vielen herzlichen Grüßen bin ich, wie stets, Ihr aufrichtig ergebener


W Radowitz
Anlage
Jerusalem, den 18. August 1916

Abschrift.

Vertraulich.

Sehr verehrter Herr Dr. Weber,

Nachdem ich vor ein paar Tagen, militärisch beurlaubt, hierher zurückgekehrt bin, möchte ich nicht unterlassen, Ihnen privatbrieflich wenigstens meine Auffassung der durch die letzten kriegerischen Ereignisse hier geschaffenen Lage mitzuteilen.

In den zweiundzwanzig Monaten, während derer ich Gelegenheit hatte, die Entwickelung der Dinge in Syrien und Palästina zu beobachten, haben sich sowohl in politischer wie in militärischer Hinsicht meines Erachtens die Verhältnisse nicht zu unseren Gunsten verändert. Über rein militärische Angelegenheiten muß ich mich natürlich jedes Urteils enthalten. Soviel jedoch mag auch dem Laien erlaubt sein festzustellen, daß wir aus unserer anfänglichen Offensivhaltung gegenüber Anglo-Egypten in eine mir wenigstens nicht allzu viel Vertrauen einflößende Defensivstellung gedrängt worden sind. Dieser Zustand ist meiner unmaßgeblichen Ansicht nach das Ergebnis unserer stets wiederholten Versuche, mit untauglichen Mitteln eine Aufgabe zu lösen, deren Lösung weit über unsere Kräfte ging. Andererseits wurde dadurch nur das wenig wünschenswerte Ziel erreicht, den anfänglich besorgten und entschieden uns überschätzenden Gegner über unsere tatsächliche Ohnmacht aufzuklären. Ein Vergleich der verschiedenen, seit Kriegsbeginn gemachten Unternehmungen gegen die Engländer in Egypten und ihrer militärischen Ergebnisse ist vielleicht in diesem Zusammenhange nicht ohne Interesse. Die gescheiterte Expedition vom Januar-Februar 1915, die später als gewaltsame Erkundung dargestellt wurde, hatte den Zweck, den Suezkanal zu forcieren und, wenn möglich, Egypten zu okkupieren. Die Engländer, die damals noch nicht an die Möglichkeit einer Wüstendurchquerung glaubten, hatten sich darauf beschränkt, den Kanal selbst zu verteidigen und überließen die Sinai-Wüste kampflos den Türken.

Während der Vorbereitungen zu der neuen, mit deutscher und österreichisch-ungarischer Hilfe zu unternehmenden Expedition hatten die Engländer allmählich ihre Posten über den Kanal etwa 40 km weit nach Osten vorgeschoben. Ernsthafte Befestigungsanlagen oder stärkere Kräfte jedoch waren auf diesen Posten nirgends vorhanden. Die größeren Brunnenstationen wurden von je ein paar Schwadronen Kavallerie gehalten, die ein ziemlich sorgloses Dasein führten. Der Beweis für diese Sorglosigkeit wurde durch den Überfall von Ugratina, Katia und Duwedar erbracht, bei dem ein ganzes Yeomanry-Regiment völlig vernichtet wurde. So sehr dieser Zug militärisch als Einzelleistung erfreulich war, so wenig günstig waren seine Folgen für die künftige Expedition. Denn von nun an begannen die nervös gewordenen Engländer, ihre Vorstellungen am Kanal auszubauen und mit starken Kräften zu besetzen. Eisenbahnen und Straßen wurden vom Kanal her nach Osten verschoben und eine durch Drahthindernisse verbundene fortlaufende Kette von modern angelegten Stützpunkten wurde geschaffen, hinter denen durch die Fliegeraufklärung sehr beträchtliche Lager festgestellt wurden. In der nur etwa 8 km langen Linie von Mohamdije-Romani-Etmaler standen allein etwa 3500 Zelte. Hinter dieser Linie längs der Straße nach Kantara lagen ebenfalls bedeutende feindliche Lager bei Höhe 21 und Höhe 12. Kantara selbst war fast festungsartig unter Benutzung der Überschwemmungsgebiete ausgebaut. Ähnlich sah es längs der ganzen Kanalfront aus. Mit dieser Sachlage schien mir erreicht, was ich für das Ziel unserer Tätigkeit an der Sinai-Grenze ansah: Die Bindung möglichst starker feindlicher Kräfte, die vom europäischen Kriegsschauplatz ferngehalten werden sollten. Der Feind mußte nach der Zusammenziehung unserer Truppen bei Arisch – einer Division türkischer Infanterie und deutscher und österreich-ungarischer Spezialtruppen – ständig einen Angriff befürchten und hätte demgemaß kaum gewagt, Kräfte abzutranportieren, umso weniger, als er durch Flieger- und Patrouillentätigkeit ständig in Atem gehalten werden konnte. Statt dessen wurde ein Angriff mit allen verfügbaren Kräften unternommen, dessen Schicksal von vornherein feststand. Wäre jedoch selbst der unwahrscheinliche Fall eingetreten, daß Romani und Etmaler von uns genommen worden wären, so hätten wir schon aus Verpflegungsmangel dort uns nicht halten können. Unter allen Umständen also hätte die Expedition mit einem Rückzuge geendet. So trat dieser Rückzug schon nach dem ersten Gefechtstage ein. Daß die nachdrängenden Engländer zweimal, bei Katia und bei Bir el Abd empflindliche Verluste erlitten und zurückgeschlagen wurden, ändert an der Tatsache nichts, daß das Operationsziel, Eroberung der Lager, nicht erreicht wurde. Dagegen wurde erreicht, daß die Engländer ihre Stellungen erheblich weiter, nämlich bis Salmana, vorgeschoben haben und das von den Türken besetzte Sinaigebiet wieder bedeutend kleiner geworden ist. Ferner dürften sich die Engländer nunmehr endgültig darüber klar geworden sein, daß sie von uns wenig für den Kanal zu fürchten haben, nachdem die viel besprochene Pascha-Expedition bereits an ihren Vorstellungen scheiterte. Mit der so erwünschten feindlichen Kräftebindung in Egypten dürfte also in Zukunft wohl nur noch in geringem Umfange zu rechnen sein.

Ich halte es zudem durchaus nicht für ausgeschlossen, daß die Entente nunmehr doch den Zeitpunkt für gekommen erachtet, gegen Syrien und Palästina vorzugehen. Auch militärischerseits scheint der Angriffsgeist der Engländer nicht mehr ganz so niedrig bewertet zu werden wie zuvor; denn El Arisch und die Vorstellung von Biz Mezar werden in Eile befestigt. Ich könnte mir sehr wohl denken, daß ein kombinierter Angriff von Engländern und Franzosen derart gedacht sei, daß die Engländer von Land und See gleichzeitig gegen die türkische Stellung bei Mezar-Arisch vorgehen, während die Franzosen vom Meere her irgendwo zwischen Tul Karm und Ramleh auf die kaum 20 km von der Wüste abliegende Bahn nach Birseba vorstoßen und damit die Verpflegung der Truppen in der Wüste zur Unmöglichkeit machen. Bei der minderwertigen Qualität der für den Küstenschutz vorhandenen arabischen Truppen scheint mir ein solches Unternehmen keineswegs aussichtslos. Vor einigen Tagen haben übrigens französische Kriegsfahrzeuge ein Zirkular an die Kommandanten der Küstenstädte abgegeben, worin sie aufgefordert werden, bei etwaigen Kriegshandlungen von französischer Seite nicht aus den Städten schießen zu lassen, da sonst diese Städte nicht mehr als offene angesehen werden könnten.

Ganz besonders bestimmend für ein feindliches Vorgehen in Syrien-Palästina könnten die Schwierigkeiten der Türken im Hedschas werden. Bisher sind dort keine Erfolge der Truppen zu verzeichnen gewesen und bei der außerordentlichen Länge der Etappenlinie, von der zum großen Teil auch noch der Sinai-Kriegsschauplatz bedient werden muß, darf man froh sein, wenn Medina gehalten werden kann. Die Engländer sollen in Djedda und an anderen Punkten egyptische und indische mohammedanische Truppen gelandet haben. Wenn dem so ist, so glaube ich nicht, daß mit dem Abfall der Egypter wenigstens zu rechnen wäre. In Egypten wäre die Wiedergewinnung des schon einmal egyptisch gewesenen Hedschas und die Erhebung des Sultans Hussein zum Khalifen nur populär. Mit dem Verluste von Mekka ist der schon früher recht problematische heilige Krieg jedenfalls ganz zur Farce geworden und wird sich höchstens noch gegen Konstantinopel kehren.

Hier würden Franzosen und Engländer jedenfalls bei allen Teilen der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen werden. Die spärlichen Reste von Kriegsbegeisterung, die etwa noch bei Teilen des mohammedanischen Volkes vorhanden waren, sind jetzt endgültig ausgetilgt. Infolge der vollständigen Entwertung des Papiergeldes – das Pfund in Papier gilt 42 Piaster in Jerusalem -, der durch die Requisitionen entstandenen Getreidenot und der Unfähigkeit der Regierung, diesen Übeln zu steuern, ist überall wieder Mutlosigkeit und Mißtrauen an die Stelle der Hoffnungen getreten, die man anfänglich in die von Dschemal Pascha angekündigten Reformen setzte. Mit Phrasen und Pamphleten läßt sich auf die Dauer selbst die geduldigste Bevölkerung über die schamlose Mißwirtschaft der eigenen Regierung nicht hinwegtäuschen. So ist zum Beispiel die Entwertung des Papiergeldes hier zum größten Teile zweifellos auf die Tätigkeit gewisser Regierungsorgane zurückzuführen. Post, Telegraph, Regie, Caisse de la Dette usw. verweigern jede Annahme von Papiergeld, wenn der Betrag nicht genau abgezählt ist. Der Grund ist einfach zu verstehen. Die betreffenden Beamten wechseln ihr eigenes Papiergeld gegen das in der Staatskasse eingenommene Kleingeld zum vollen Kurse ein, während sie dann bei den Wechselern wieder Papiergeld für noch nicht 50% des amtlichen Kurses erstehen. Das Kleingeld, das fast gänzlich aus dem Umlauf verschwunden ist, bewegt sich so in einem Circulus vitiosus zwischen einer Anzahl von Wechslern und Beamten nebst deren Anhang hin und her. Das General-Oberkommando, selbst von einer Clique von zweifelhaften Individuen, Getreide- und Geldwucherern, politischen und geschäftlichen Abenteurern umgeben, ist in hoffnungsloser Ratlosigkeit eingesponnen und hilft sich nur von Zeit zu Zeit durch Vollstreckung drakonischer Urteile.

Zum Schluß möchte ich, sehr verehrter Herr Dr. Weber, Ihnen noch eine persönliche Bitte vortragen, für deren gelegentliche Verbringung an geeigneter Stelle ich Ihnen zu besonderem Danke verpflichtet wäre. Es handelt sich, kurz gesagt, um meinen Wunsch, wenigstens für einige Zeit von hier abberufen zu werden. Nachdem ich jetzt ununterbrochen fast zwei Jahre hier, und davon einen großen Teil in der Wüste verbracht habe, bei einer Tätigkeit, die an die Gesundheit recht große Anforderungen stellte, fühle ich mich jetzt nahezu am Ende meiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Ich leide infolge einer alten Dysenterie unter andauernden Verdauungsbeschwerden, auf Grund deren ich jetzt nach Schluß der Expedition „Pascha“ von meinem Posten als Flugzeugbeobachter bei der Feld-Flieger-Abteilung 300 auf 3 Monate nach Jerusalem beurlaubt bin. Ich glaube jedoch nicht, daß ich hier auch nach Ablauf dieser Zeit wieder voll dienstfähig werde. Es widerstrebt mir nun, jetzt im Kriege um meine Abberufung amtlich zu bitten. Ich wäre Ihnen jedoch sehr dankbar, wenn Sie bei sich bietender Gelegenheit mich für eine andere Verwendung unter gesundheitlich günstigeren Umständen in Vorschlag bringen könnten. Ich darf vielleicht darauf hinweisen, daß ich von allen Deutschen, die die verschiedenen Kanal-Expeditionen mitgemacht haben, der einzige bin, der ununterbrochen hier geblieben ist.

Indem ich Ihnen schon im voraus für Ihre liebenswürdigen Bemühungen danke, verbleibe ich mit den angelegentlichsten Grüßen und Empfehlungen


Ihr ganz ergebener

[Curt Prüfer]




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