1913-05-28-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 14079
Erste Internetveröffentlichung: April 2012
Edition:
Telegramm-Abgang: 05/28/1913
Praesentatsdatum: 06/19/1913
Zustand: A
Letzte Änderung: 10/15/2017


Das Kommando der Mittelmeerdivision (Trummler) an den Kaiser (Wilhelm II)

Bericht


In See, den 28. 5. 1913

Abschrift

Ganz geheim.

Die Lage in der Provinz Adana und in Alexandretta.

Die Entsendung E. M. Schiffe "Straßburg" und "Dresden" nach dem Mittelmeer gestattet es, vom 12. April ab einen regelmäßigen stationären Dienst vor Alexandretta und Mersina wieder aufzunehmen.

Die Stimmung in der Bevölkerung der Provinz Adana, wo die Gegensätze des muhamedanischen Elements zu der armenischen Bevölkerung fast andauernd zu Reibungen Anlaßgeben, hatte bis dahin zwar keine direkten Befürchtungen für Ruhestörungen ernsterer Art entstehen lassen, dennoch wäre auch ohne die Andeutungen des Admirals Milne zu dieser Zeit ein Zeigen der Flagge wieder wünschenswert geworden.

Befürchtungen über bevorstehende Unruhen gehen in der Türkei fast ständig zu, sie sind während des Krieges häufiger geworden. Irgendein Anlaß wird genutzt, um bestehende Gegensätze momentan zu verschärfen. Oft genug kommen übertriebene Darstellungen der Lokalpresse bald zur Kenntnis einer breiteren Öffentlichkeit und werden von dieser dann ernster aufgenommen, als sie es verdienen.

Mersina und Adana.

Diesmal erschienen E. M. Schiffe jedoch an der Südküste Kleinasiens zu einer Zeit, als eine tiefere Erregung durch das Land ging. Eine scheinbar intensive russische Propaganda hatte während der letzten Monate das Selbstgefühl der Armenier angeregt. Die drohenden großen politischen Verschiebungen in der Türkei hatten die im Ausland arbeitenden armenischen Revolutionskomitees veranlaßt, sich durch Vorbereitungen für die kommenden Ereignisse zu rüsten. So hatte ein in Alexandrien sitzendes armenisches Komitee bereits im März d. J. Waffen angeblich an die Armenier der Provinz Adana verschifft. Dem Dazwischentreten des armenischen Erzbischofs und einiger einflußreicher Armenier soll es zu danken sein, daß diese Waffen alsbald wieder nach Alexandrien zurückgeleitet wurden und somit nicht in die Hände der Armenier von Adana gelangten.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß Admiral Milne von diesen revolutionären Maßnahmen via Egypten Kenntnis hatte, als er Anfang April nachdrücklich meine Aufmerksamkeit auf Alexandretta und Mersina lenkte.

Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß die Tatsache einer organisierten Bewaffnung der Armenier zu ernsten Ruhestörungen Anlaßgeben muß, sobald sie von der muhamedanischen Bevölkerung erkannt wird. Es liegt daher nahe, die Unruhen in und um Adana zu Mitte April, die einer tiefergehenden Massakrefurcht gleichkamen, mit jenen Vorgängen in Zusammenhang zu bringen.

In dem Eingreifen des armenischen Kirchenfürsten ist m. E. nicht nur eine weise Anordnung für die Abwendung einer momentanen Gefahr zu erblicken, es beweist auch seinen starken Einfluß auf die armenische Bevölkerung, auf ihre scheinbar intensive Propaganda und damit auf die politische Entwicklung des Landes überhaupt. Es wird sich daher nicht vermeiden lassen, mit dem armenischen Erzbischof (Katholikos) von Sis, der öfter in Adana residiert, als dem Haupt einer der beiden großen Parteien des Landes, zu rechnen, ihn zu gewinnen und seine Einflüsse auszunutzen. Diesen Gesichtspunkt habe ich im Einvernehmen mit Euerer Majestät Botschafter in Constantinopel sowohl meinen Maßnahmen, als den Direktiven an die Kommandanten E. M. Schiffe zu Grunde gelegt.

E. M. S. "Geier", das mit dem Eintreffen E. M. S. "Goeben" vor Constantinopel am 7. April dort frei wurde, ging am 12. April vor Mersina zu Anker. Der gute Eindruck, den das Erscheinen des Kreuzers hervorrief, geht aus einem Artikel des "Osmanischen Lloyd" hervor; mit Recht betont dieser Artikel, daßseit Dezember v. J. mit dem Fortgang E. M. S. "Hertha" die deutsche Flagge an der Küste der Provinz Adana verschwunden war.

Meinem Befehl entsprechend fuhr der Kommandant E. M. S. "Geier" nach Adana zum offiziellen Besuch des dortigen Walis, der allerdings wegen seiner vorübergehenden Erkrankung nicht selbst empfangen konnte. Von einer Beurlaubung der Besatzung E. M. S. "Geier" nach Mersina und in die Umgebung mußte wegen einer starken Blatternepidemie in der Stadt abgesehen werden.

Hatte das Auftreten E. M. S. "Geier" bereits die Gerüchte, Deutschland interessiere sich nicht mehr für diese Gebiete, zum Schweigen gebracht, so wurden unsere Interessen weiter nachdrücklich betont, als E. M. S. "Straßburg" am 17. April vor Alexandrette mit E. M. S. "Geier" zusammentraf.

Der Kommandant E. M. S. "Straßburg" übernahm als ältester Kommandand die stationären Geschäfte für Mersina und Alexandretta und erhielt auf diesem Wege gleichzeitig meine Befehle für den Dienst E. M. Mittelmeerdivision sowie für den Kriegsfall. Am 19. April ließich E. M. S. "Straßburg" nach Mersina gehen mit dem Auftrage an den Kommandanten, diesmal außer dem offiziellen Besuch beim Wali in Adana auch einen solchen bei dem gerade anwesenden Katolilos von Sis abzustatten. Beiden Würdenträgern sollte gleichzeitig andeutungsweise mitgeteilt werden, daß E. M. S. "Goeben" demnächst nach Mersina kommen würde.

Der Kommandant E. M. S. "Straßburg" berichtet über die Ausführung seines Auftrages, der auch die Andeutung armenischer Schutzinteressen dem Katolikos gegenüber enthielt, das Folgende:

"E. M. stellvertretenden Konsul in Adana, Anders, setzte ich sofort von meiner bevorstehenden Ankunft in Adana telegraphisch in Kenntnis. Ich traf hier am Sonntag gegen 10 h a.m. ein und erfuhr zunächst, daß in Adana völlige Ruhe herrschte. Vor etwa 3 Tagen sei durch einige Jungtürken eine Beunruhigung der Bevölkerung durch Verbreitung des Gerüchts: "es ginge in den nächsten Tagen los", entstanden. Mit den Worten "es ginge los" wären in der Bevölkerung "Massakres" wie 1909 gemeint. Durch die angeblich sofortige Verhaftung der Urheber dieses Gerüchts sei eine Beruhigung der Bevölkerung in und um Adana eingetreten. Ich teilte E. M. Konsul darauf mit, daß ich beabsichtige, dem Wali Emin Bey, dem Militärkommandanten und dem z. Z. in Adana anwesenden Erzbischof (Katolikos) einen Besuch zu machen.

E. M. Konsul setzte zunächst den Besuchen hartnäckigen Widerstand entgegen und erklärte, der Wali sei krank und könne mich nicht empfangen. Ein Stellvertreter sei nicht vorhanden. Von einem Besuch beim Katolikos rate er dringend ab, ein derartiger Besuch würde Aufsehen erregen, die Bevölkerung würde ihm eine türkenfeindliche Bedeutung beilegen, und für den Wali würde es einen Schlag ins Gesicht bedeuten. E. M. Konsul schien besorgt zu sein, daß seine persönlichen guten Beziehungen zum Wali durch meinen Besuch beim Katolikos leiden würden.

Da es E. M. Konsul nicht gelungen war, mich von der Richtigkeit seiner Einwendungen zu überzeugen, bestand ich auf meinen Besuchen.

Auf die schriftliche Mitteilung an den erkrankten Wali von meiner Absicht, ihn zu besuchen, kam sehr bald die Antwort, daß er sehr bedaure, mich krankheitshalber nicht sehen zu können. Sein Vertreter würde mich aber im Konak empfangen. E. M. Konsul begleitete mich zur festgesetzten Stunde zum Konak, wo ich durch eine von der Gendarmerie gestellte Ehrenwache begrüßt wurde.

Bei der türkisch geführten und verdolmetschten Unterhaltung gab ich der Hoffnung Ausdruck, daßdie von der Bevölkerung gefürchteten Unruhen nicht eintreten würden. Der Vertreter des Wali antwortete, er hoffe, daß die Armenier sich ruhig verhalten würden, und zudem wäre in der letzten Zeit soviel Gendarmerie in Adana zusammengezogen, daß der Wali imstande wäre, jeden Aufruhr im Keime zu ersticken. Bei der Verabschiedung ließ ich dem stellvertretenden Wali durch M. E. Konsul mitteilen, daß ich dem z. Z. in Adana anwesenden Erzbischof meine Aufwartung machen würde.

Der Erzbischof empfing mich, umgeben von mehreren Geistlichen. Er war sichtlich erfreut über meinen Besuch und ließ seiner Freude durch einen fließend deutsch sprechenden Geistlichen Ausdruck geben. Er war besorgt wegen Gerüchts von bevorstehenden Unruhen. Ich bat ihn, mich sofort zu benachrichtigen, sobald solche ausbrächen und sagte des weiteren, ich hoffe, daß die Armenier die Türken nicht provozieren würden, denn nur dann wäre es mir möglich, für ihre Interessen einzutreten. Er versprach, daß die Armenier nichts Feindseliges gegen die Türken unternehmen würden und daß er seinen ganzen Einfluß dahin geltend machen würde. Daß es dem Erzbischof und den Notabeln der Armenier Ernst ist mit dem Bestreben, Ruhe zu halten, scheint mir sicher.

E. M. stellvertretender Konsul geht scheinbar in seinem Bestreben, die angebliche Gunst des Wali nicht zu verscherzen, zu weit. Wie er mir später versicherte, ist er zwei Tage nach meinem Besuch beim Katolikos an das Krankenbett des Wali geeilt, um diesem auseinanderzusetzen, daßder Kommandant E. M. S. "Straßburg" auf einem Besuch beim Erzbischof bestanden hätte und er keine Zeit mehr gehabt hätte, dieserhalb bei der Botschaft in Constantinopel anzufragen. Zudem sei mein Besuch lediglich ein Akt der Höflichkeit gewesen. Hierdurch ist nach meiner Ansicht ein beim Wali über den Zweck meines Besuchs beim Erzbischof bestehender Verdacht nur verstärkt worden.

Am 24. April ließ der Erzbischof durch den obenerwähnten deutsch sprechenden Geistlichen Krikoris Balakian seinen Gegenbesuch machen und mir nochmals für meinen Besuch danken.

Im Laufe der Unterhaltung versicherte der Geistliche, mein Besuch beim Katolikos hätte wesentlich zur Beruhigung der armenischen Bevölkerung beigetragen. Er und alle Armenier hofften, daß dauernd deutsche Kriegsschiffe an der südanatolischen Küste bleiben würden. An eine Gesundung der Türkei glaube kein Armenier mehr. Die Aufteilung der Türkei würde kommen. Die türkischen Araber würden sich zunächst von der Türkei frei machen und sich Egypten anschließen. Das Kalifat würde auf den Khediven von Egypten übergehen. Die letzten Unruhen in Beirut vor ca. 23 Wochen wären die sichtbaren Vorboten dieser Bewegung gewesen. Ich glaube, die deutsche Regierung tut gut daran, sich die Freundschaft der Armenier zu erhalten. Kommt es in absehbarer Zeit zu der von vielen prophezeiten Revolution, werden die Armenier, die Reichen des Landes, eine bedeutende Rolle spielen. Man erwartet hier ganz allgemein, daß die deutsche Regierung sich dann ein großes Gebiet sichern wird."

Bei meiner Anwesenheit in Mersina kam ich E. M. Reichsvertreter in Adana gegenüber auf sein beabsichtigtes Dazwischentreten bei der Erledigung meines Auftrags an den Kommandanten E. M. S. "Straßburg" zu sprechen. Vizekonsul Anders sah nunmehr ein, daß er sich damals im Irrtum befunden habe. Aus den inzwischen bei E. M. Botschafter eingeholten Instruktionen erkannte er, daß meine Befehle an den Kommandanten E. M. S. "Straßburg" im Einvernehmen mit E. M. Botschafter ergangen waren und daß die durch die Besuche in Adana erzielten Eindrücke durchaus den gewollten Absichten entsprächen.

Bei meinem Eintreffen vor Mersina am 4. Mai fand ich die Lage hier sowohl wie in Adana durchaus beruhigt. Ein unbedeutender Vorfall bei Fundukbunar, einem etwa 8 Wegstunden von Mersina entfernten Ort, mit dem deutschen Botaniker W. Siehe, der durch Bezeichnung seines Hauses mit dem berüchtigten Massakrekreuz geängstigt worden war, fand noch während meiner Anwesenheit einen befriedigenden Abschluß. Siehe gilt als stark nervöser Mann und ist das Opfer eines an sich bedeutungslosen Unfugs einer den Ort Fundukbunar terrorisierenden Bande gewesen. Das türkische Gericht hat den Haupträdelsführer, auch zur Genugtuung der dortigen eingeborenen Bevölkerung, mit einem Jahr Gefängnis bestraft.

Die offiziellen Besuche in Adana.

Ehe ich meine offiziellen Besuche in Adana erledigte, erreichte mich folgendes Telegramm E. M. Botschafter in Constantinopel:

"Besuch der Kommandanten S. M. Schiffe bei Katolikos hat gewisses Aufsehen erregt, was einerseits durchaus der beabsichtigten Wirkung entspricht. Da andererseits politische Gegner von deutscher Annektierung und von verräterischen Absichten zu reden begannen, müssen wir Mittellinie einhalten."

Auch ohne diesen Wink hätte ich Schritte vermieden, die zu übertriebenen Hoffnungen der armenischen Bevölkerung und damit zur Verletzung türkischer Eigenliebe führen oder gar zu weitgehenden politischen Kombinationen Anlaß geben konnten. Es ließ sich indessen nicht vermeiden, daß ich die offiziellen Besuche in Adana beim Wali und Ferik, dem Militätkommandanten sowohl wie bei dem noch anwesenden Katolikos Sahag II, Fürstbischof von Cilicien, wiederholte, wenn die bisher erzielten guten Eindrücke nicht abgeschwächt werden sollten. Ich machte daher von dem Anerbieten des örtlichen Betriebsdirektors der Eisenbahnstrecke MersinaAdana, die zum Konzern der Bagdadbahn gehört, Gebrauch, mir zum 5. Mai einen Sonderzug nach Adana zu stellen. Diese Fahrt war seit langem durch den Euerer Majestät aus meinen früheren Berichten bekannten Generaldirektor der Anatolischen Bahnen, Herrn Günther, in Constantinopel vorbereitet worden. Diesem lag, wie er bereits in Constantinopel mir gegenüber betont hatte, besonders daran, mir in der kurzen verfügbaren Zeit einen möglichst weitgehenden Einblick in das Land und in die deutschen Arbeiten des Eisenbahnbaues und der Baumwollkultur zu gewähren. Außer der genannten Sonderfahrt nach Adana zur Erledigung meiner offiziellen Besuche wurde von vornherein für einen der späteren Tage ein Ausflug bis Dorak verabredet, um von hier aus zu Pferde oder Wagen an die Taurusschlucht und damit an die dortigen Tunnel und Sprengarbeiten der Bagdadbahn zu gelangen.

Meinem Besuche in Adana, die durch E. M. Reichsvertreter vorbereitet waren und zu denen mich mein Stab begleitete, ging auf dem Bahnhof Adana eine Begrüßung durch die maßgebenden Persönlichkeiten der deutschen Kolonie voran.

Der Wali hatte durch Gestellung einer Ehrenwache und durch Vorbereitungen in seinem Konak alles getan, meinem Besuche nach außen die angemessene Bedeutung zu bekunden. Er selbst empfing mich in liebenswürdigster Weise und gab seiner Freude über den Besuch eines so großen Schiffs Euerer Majestät vor Mersina Ausdruck. Er versicherte mich ohne meine Erinnerung, daß das Land völlig beruhigt sei und daß keine Gefahren für die in ihm befindlichen Europäer und ihre Arbeiten beständen.

Meiner Tischeinladung für den 10. Mai, der eine Besichtigung E. M. S. "Goeben" vorangehen sollte, konnte oder wollte er nicht gleich zusagen. Es ist bekannt, daß die türkischen Würdenträger in den Provinzen sich selbst für unbedeutende Maßnahmen zunächst der Einwilligung von Constantinopel versichern. Dieser Mangel an Initiative und Bewegungsfreiheit soll nach den Angaben E. M. Reichsvertreter für den jetzigen Wali von Adana besonders gelten. In der Tat sagte der Wali erst nach einigen Tagen meiner Einladung endgültig zu.

Dem Besuch beim Wali ließ ich zunächst den beim Ferik, dem Militärkommandanten, folgen, der in einem benachbarten Konak wohnt und eifersüchtig darüber wacht, daß ihn von den Fremden dieselben Aufmerksamkeiten erwiesen werden wie dem Zivilgouverneur. Auch für ihn sprach ich dieselbe Tischeinladung aus wie für den Wali, deren Zusage zunächst aufgeschoben und später ausgesprochen wurde.

Bei dem abschließenden Besuch des Katolikos empfing mich dieser in Gegenwart einer Anzahl von Geistlichen in bezeichnend zeremoniöser, würdiger Weise. Hier vermied ich es absichtlich, das Gespräch auf die politische Lage des Landes zu lenken. Indessen versicherte mich der Erzbischof von selbst der Friedfertigkeit der armenischen Bevölkerung, er betonte besonders, daß das Erscheinen E. M. Schiffe die geängstigte Bevölkerung vollends beruhigt habe und "daß er den Segen Gottes für E. M. Marine erbitten wolle."

Ich legte dem Erzbischof, für den ich eine Tischeinladung absichtlich nicht aussprach, nahe, zur Besichtigung E. M. S. "Goeben" nach Mersina zu kommen, was er zusagte.

Der beabsichtigte Ausflug zur Besichtigung der Bagdadbahnarbeiten.

Zu meinem Bedauern stellte sich dem beabsichtigten Ausflug nach Dorak, zu dem ich auch eine Anzahl Offiziere E. M. S. "Goeben" hinzuziehen wollte, dadurch Hindernisse entgegen, daß nicht die notwendigen Pferde und Wagen zur Fahrt von Dorak bis zur Taurusschlucht gestellt werden konnten.

Die deutschen Herren, einschließlich E. M. Reichsvertreter in Adana, schlugen daher als Ersatz die Bereisung einer 100 km langen Strecke bis Mamure diesseits der Bagdscheberge vor, wodurch ein ebenso interessanter Einblick in die deutschen Bahnarbeiten erzielt werden sollte.

Am 7. Mai erreichte mich durch Vermittlung E. M. S. "Dresden" der folgende Funkspruch E. M. Botschafters in Constantinopel:

"Durch den beabsichtigten Ausflug in das Innere könnte infolge Mißdeutung der gute Eindruck vermindert werden, den das Erscheinen des deutschen Kriegsschiffs vor Mersina und der Besuch in Adana hervorgerufen hat, zumal der Großvezier bereits gehört hat, daß Rußland uns weitergehende Pläne unterstellt. Da die Bevölkerung gegenwärtig leicht erregbar ist, gebe ich anheim, von dem Ausflug abzusehen."

Am 9. Mai setzte mich der Chef des Admiralstabs funkentelegraphisch über Port Said davon in Kenntnis, "daß das Auswärtige Amt die Bedenken des Botschafters gegen den Ausflug nach Mamure teile."

Obwohl ich die Bedenken E. M. Botschafters in Constantinopel nicht anzuerkennen vermag, entschloß ich mich, von dem geplanten Ausflug ganz abzusehen. E. M. Reichsvertreter in Adana, der mir die Gründe der Bedenken nicht nennen konnte, war selbst sehr überrascht und gab der Ansicht Ausdruck, daß das Unterlassen der Fahrt jetzt Aufsehen erregen werde, umso mehr als der Wali einen Ehrendienst für mich gestellt und Empfang auf allen bedeutenden Stationen befohlen hätte. Er schlug daher vor, E. M. Botschafter auf telegraphischen Wege von diesen Bedenken abzubringen, was ich jedoch angesichts der zweimal betonten diplomatischen Einwendungen gegen den Ausflug ablehnte. Leider ist es mir dadurch versagt gewesen, einen umfassenden Einblick in die Arbeiten der deutschen Bagdadbahn und der anliegenden Gelände zu gewinnen. Ich habe nur auf meiner Sonderfahrt nach Adana zur Erstattung der offiziellen Besuche die Strecke JenidjeAdana, die bereits im vollen Profil der Bagdadbahn verstärkt ist, sowie die Bahnhofsanlagen in Adana selbst sehen können. Der für mich und E. M. Offiziere entstandene Ausfall wurde besonders von den den deutschen Betrieben vorstehenden Herren bedauert, die sich von einem derartigen Besuch Vorteile für die deutschen Interessen versprachen und Bedenken gegen den geplanten Ausflug nicht verstanden.

Besuche der türkischen Würdenträger von Adana an Bord E. M. S. "Goeben".

Der Katolikos hatte sich für den Nachmittag des 8. Mai zum Besuch E. M. S. "Goeben" angesagt. Er war am gleichen Tage mit der Bahn nach Mersina heruntergekommen. Leider hinderte an diesem Tage starker Seegang jede Bootsverbindung, sodaß der beabsichtigte Besuch auf den Morgen des 9. Mai verschoben werden mußte. Ich ließ dem armenischen Erzbischof sowie den begleitenden Bischöfen und einigen niedrigen Gesitlichen durch den Kommandanten E. M. S. "Goeben" das Schiff zeigen, für das sie alle das größte Interesse zu haben schienen. Der Katolikos ließ es sich nicht nehmen, bei der Besichtigung des Schiffslazaretts angesichts der Kranken eine kurze Andacht abzuhalten. Beim Vonbordgehen äußerte er neben seinem Dank die Hoffnung, daß auch weiterhin deutsche Schiffe an die Küste von Adana kommen mögen und daß Deutschland den Armeniern sein bisheriges Wohlwollen bewahren möge.

Den Wali von Adana sowohl als den Ferik, die beide trotz der ziemlich bewegten See meiner Einladung zum Frühstück Folge leisteten, empfing ich mit den ihnen zustehenden Ehren und ließ ihnen die Hauptteile des Schiffs zeigen. Ich konnte dem Wali, dem ich bereits telegraphisch für seine beabsichtigten Aufmerksamkeiten während des geplanten Ausfluges gedankt habe, bei dieser Gelegenheit auch mündlich meinen Dank für seine guten Absichten zum Ausdruck bringen. Es war bei Lage der Dinge unvermeidlich, daß der Wali die politische Natur der Bedenken gegen den größeren Ausflug in das Innere, die so plötzlich in die Erscheinung traten, durchschaute. Aus der Tatsache, daß er für den Ausflug derartig weitgehende Ehrungen meiner Person angeordnet hatte, muß geschlossen werden, daß er hierzu Weisungen aus Constantinopel eingeholt hatte und daß weder bei ihm, noch beim Großvezier besondere Bedenken entstanden waren.

Italienische Kriegsschiffe vor Mersina.

Seit dem 23. April ankerte der italienische Kreuzer "Etruria", von Tobruk kommend, vor Mersina. Die Annahme, daß die Anwesenheit des Kreuzers mit der Ermordung eines beim Bahnbau beschäftigten Italieners in der Nähe von Adana zusammenhänge, bestätigte sich. Angeblich sollte der Kommandant die Bestrafung des Mörders fordern und gleichzeitig die Auslieferung eines minderjährigen Mädchens, namens Geiulia Franzioni, verlangen, das vor längerer Zeit von einem Türken entführt war und auf Anordnung des damaligen Wali, Maamer Bey, islamitisch verheiratet worden ist.

Am 7. Mai wurde "Etruria" durch den italienischen Panzerkreuzer "Amalfi" vor Mersina ersetzt, um sich nach Constantinopel zu begeben.

Wie mich E. M. Botschafter in Constantinopel telegraphisch wissen ließ, verdient das Vorgehen Italiens an der Küste von Adana Beachtung. Leider habe ich nicht feststellen können, ob das Erscheinen des italienischen Schiffes vor Mersina für die Durchsetzung der italienischen Forderungen erfolgreich gewesen ist.

Daß Italien beabsichtigt hatte, Kriegsschiffe nach der kleinasiatischen Küste zu schicken, hatte ich bereits vom italienischen Botschafter in Constantinopel am 18. April erfahren. Er drückte mir gegenüber seine Genugtuung aus, daß E. M. S. "Goeben" auch nach Mersina ginge und fügte hinzu, "wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß sich die Franzosen da unten nicht so breit machen."

An der syrischen Küste habe ich später gehört, daß italienische Offiziere geäußert haben sollen, Italien werde die Inseln, welche es jetzt noch besetzt halte, für sich behalten und wolle auch den Hafen von Mamarice (nördlich von Rhodos) beanspruchen.

Die Lage in Alexandretta.

Am 17. April war gleichzeitig mit E. M. S. "Straßburg" der englische Kreuzer "Black Prince" vor Alexandretta eingetroffen. Er war am 21. April über Mersina und Beirut nach Port Said gegangen, von wo er jedoch Anfang Mai wieder nach Alexandretta zurückkehrte. E. M. S. "Straßburg" traf ihn am 6. Mai, als es zum Kohlennehmen Alexandretta anließ, an. Gesprächsweise äußerte der englische Kommandant auf die Nachricht, daß W. M. S. "Goeben" bereits am 10. Mai vor Alexandretta erscheinen und daß bald darauf E. M. S. "Dresden" eintreffen würde, "Black Prince" sei dann ja hier nicht mehr nötig. Admiral Milne habe die Absicht allgemein ausgesprochen, daß die englischen Schiffe in Alexandretta und Mersina zurückgezogen werden sollten, sobald hinreichen Schutz durch deutsche Schiffe dort gewährleistet sei."

Ich bitte alleruntertänigst auf diesen Zusammenhang hinweisen zu dürfen, weil er den Eindruck früherer englischer Äußerungen verstärkt, wonach England nicht allein das deutsche Interesse an diesem Gebiet anerkennt, sondern auch Wert darauf zu legen scheint, daß es dauernd durch Anwesenheit der Flagge Euerer Majestät bekundet wird.

In der Tat verließ "Black Prince" den Hafen am 11. Mai, also 24 Stunden nach der Ankunft E. M. S. "Goeben".

Die Lage vor Alexandrette war bei meinem Eintreffen ruhig. In einer der vorangehenden Nächte waren zwar mehrfach Raubanfälle auf Angestellte des Bahnpersonals auf der Strecke verübt worden, die nach allgemeiner Ansicht keinen politischen Charakter hatten. Einer dieser Angriffe ist anscheinend von den Räubern seit langem vorbereitet gewesen, weil sie bei einem Aufseher mit Recht beträchtliche Summen von Lohngeldern vermuteten. Es gelang ihnen nach dem Erschießen zweier griechischer Arbeiter und der Verletzung eines Dritten, sich des Geldes zu bemächtigen und zu entfliehen.

Auch während meiner Anwesenheit ist in der Nacht vom 12/13. Mai die Wohnung eines deutschen Ingenieurs in der Nähe von Pajas von Pferdedieben erfolglos angegriffen worden. Die türkischen Behörden haben sofort Maßnahmen zur Ergreifung der Täter getroffen. Auch diesen Vorfall ist indessen eine Politische Bedeutung nicht beizumessen. Indessen neigt man in maßgebenden Kreisen Alexandrettas schon jetzt zu der Ansicht, daß nach Beendigung des Kriegs die vom Kriegsschauplatz in das Land zurückkehrenden Truppen Unruhen hervorrufen könnten.

Die Bevölkerung von Alexandretta neigt ebenfalls zur Verbreitung übertriebener Gerüchte. Vielfach soll während der Anwesenheit E. M. S. "Goeben" die Ansicht gehört worden sein, daß Deutschland Besitz von dem Lande ergreifen werde.

Der Bahnbau schreitet rüstig fort, Bahnhofsgebäude und Bahnhofsanlagen werden demnächst fertiggestellt sein. Mit einer energischen Förderung der beabsichtigten Hafenbauten in Alexandretta kann nach den Aussagen des leitenden Ingenieurs erst im nächsten Frühjahr wieder begonnen werden. Bis dahin hofft man, die Hemmungen, welche in der gesamtpolitischen Lage begründet sind, beseitigen zu können und dann mit einem Projekt zu beginnen, das in der Größe seiner Anlage das bisherige Hafenprojekt übersteigen wird.

[Trummler]

Reichsvertreter in Adana gegenüber auf sein beabsichtigtes Dazwischentreten bei der Erledigung meines Auftrags an den Kommandanten E. M. S. "Straßburg" zu sprechen. Vizekonsul Anders sah nunmehr ein, daß er sich damals im Irrtum befunden habe. Aus den inzwischen bei E. M. Botschafter eingeholten Instruktionen erkannte er, daß meine Befehle an den Kommandanten E. M. S. "Straßburg" im Einvernehmen mit E. M. Botschafter ergangen waren und daß die durch die Besuche in Adana erzielten Eindrücke durchaus den gewollten Absichten entsprächen.

Bei meinem Eintreffen vor Mersina am 4. Mai fand ich die Lage hier sowohl wie in Adana durchaus beruhigt. Ein unbedeutender Vorfall bei Fundukbunar, einem etwa 8 Wegstunden von Mersina entfernten Ort, mit dem deutschen Botaniker W. Siehe, der durch Bezeichnung seines Hauses mit dem berüchtigten Massakrekreuz geängstigt worden war, fand noch während meiner Anwesenheit einen befriedigenden Abschluß. Siehe gilt als stark nervöser Mann und ist das Opfer eines an sich bedeutungslosen Unfugs einer den Ort Fundukbunar terrorisierenden Bande gewesen. Das türkische Gericht hat den Haupträdelsführer, auch zur Genugtuung der dortigen eingeborenen Bevölkerung, mit einem Jahr Gefängnis bestraft.

Die offiziellen Besuche in Adana.

Ehe ich meine offiziellen Besuche in Adana erledigte, erreichte mich folgendes Telegramm E. M. Botschafter in Constantinopel:

"Besuch der Kommandanten S. M. Schiffe bei Katolikos hat gewisses Aufsehen erregt, was einerseits durchaus der beabsichtigten Wirkung entspricht. Da andererseits politische Gegner von deutscher Annektierung und von verräterischen Absichten zu reden begannen, müssen wir Mittellinie einhalten."

Auch ohne diesen Wink hätte ich Schritte vermieden, die zu übertriebenen Hoffnungen der armenischen Bevölkerung und damit zur Verletzung türkischer Eigenliebe führen oder gar zu weitgehenden politischen Kombinationen Anlaß geben konnten. Es ließ sich indessen nicht vermeiden, daßich die offiziellen Besuche in Adana beim Wali und Ferik, dem Militätkommandanten sowohl wie bei dem noch anwesenden Katolikos Sahag II, Fürstbischof von Cilicien, wiederholte, wenn die bisher erzielten guten Eindrücke nicht abgeschwächt werden sollten. Ich machte daher von dem Anerbieten des örtlichen Betriebsdirektors der Eisenbahnstrecke Mersina-Adana, die zum Konzern der Bagdadbahn gehört, Gebrauch, mir zum 5. Mai einen Sonderzug nach Adana zu stellen. Diese Fahrt war seit langem durch den Euerer Majestät aus meinen früheren Berichten bekannten Generaldirektor der Anatolischen Bahnen, Herrn Günther, in Constantinopel vorbereitet worden. Diesem lag, wie er bereits in Constantinopel mir gegenüber betont hatte, besonders daran, mir in der kurzen verfügbaren Zeit einen möglichst weitgehenden Einblick in das Land und in die deutschen Arbeiten des Eisenbahnbaues und der Baumwollkultur zu gewähren. Außer der genannten Sonderfahrt nach Adana zur Erledigung meiner offiziellen Besuche wurde von vornherein für einen der späteren Tage ein Ausflug bis Dorak verabredet, um von hier aus zu Pferde oder Wagen an die Taurusschlucht und damit an die dortigen Tunnel und Sprengarbeiten der Bagdadbahn zu gelangen.

Meinem Besuche in Adana, die durch E. M. Reichsvertreter vorbereitet waren und zu denen mich mein Stab begleitete, ging auf dem Bahnhof Adana eine Begrüßung durch die maßgebenden Persönlichkeiten der deutschen Kolonie voran.

Der Wali hatte durch Gestellung einer Ehrenwache und durch Vorbereitungen in seinem Konak alles getan, meinem Besuche nach außen die angemessene Bedeutung zu bekunden. Er selbst empfing mich in liebenswürdigster Weise und gab seiner Freude über den Besuch eines so großen Schiffs Euerer Majestät vor Mersina Ausdruck. Er versicherte mich ohne meine Erinnerung, daß das Land völlig beruhigt sei und daß keine Gefahren für die in ihm befindlichen Europäer und ihre Arbeiten beständen.

Meiner Tischeinladung für den 10. Mai, der eine Besichtigung E. M. S. "Goeben" vorangehen sollte, konnte oder wollte er nicht gleich zusagen. Es ist bekannt, daß die türkischen Würdenträger in den Provinzen sich selbst für unbedeutende Maßnahmen zunächst der Einwilligung von Constantinopel versichern. Dieser Mangel an Initiative und Bewegungsfreiheit soll nach den Angaben E. M. Reichsvertreter für den jetzigen Wali von Adana besonders gelten. In der Tat sagte der Wali erst nach einigen Tagen meiner Einladung endgültig zu.

Dem Besuch beim Wali ließ ich zunächst den beim Ferik, dem Militärkommandanten, folgen, der in einem benachbarten Konak wohnt und eifersüchtig darüber wacht, daß ihn von den Fremden dieselben Aufmerksamkeiten erwiesen werden wie dem Zivilgouverneur. Auch für ihn sprach ich dieselbe Tischeinladung aus wie für den Wali, deren Zusage zunächst aufgeschoben und später ausgesprochen wurde.

Bei dem abschließenden Besuch des Katolikos empfing mich dieser in Gegenwart einer Anzahl von Geistlichen in bezeichnend zeremoniöser, würdiger Weise. Hier vermied ich es absichtlich, das Gespräch auf die politische Lage des Landes zu lenken. Indessen versicherte mich der Erzbischof von selbst der Friedfertigkeit der armenischen Bevölkerung, er betonte besonders, daß das Erscheinen E. M. Schiffe die geängstigte Bevölkerung vollends beruhigt habe und "daß er den Segen Gottes für E. M. Marine erbitten wolle."

Ich legte dem Erzbischof, für den ich eine Tischeinladung absichtlich nicht aussprach, nahe, zur Besichtigung E. M. S. "Goeben" nach Mersina zu kommen, was er zusagte.

Der beabsichtigte Ausflug zur Besichtigung der Bagdadbahnarbeiten.

Zu meinem Bedauern stellte sich dem beabsichtigten Ausflug nach Dorak, zu dem ich auch eine Anzahl Offiziere E. M. S. "Goeben" hinzuziehen wollte, dadurch Hindernisse entgegen, daß nicht die notwendigen Pferde und Wagen zur Fahrt von Dorak bis zur Taurusschlucht gestellt werden konnten.

Die deutschen Herren, einschließlich E. M. Reichsvertreter in Adana, schlugen daher als Ersatz die Bereisung einer 100 km langen Strecke bis Mamure diesseits der Bagdscheberge vor, wodurch ein ebenso interessanter Einblick in die deutschen Bahnarbeiten erzielt werden sollte.

Am 7. Mai erreichte mich durch Vermittlung E. M. S. "Dresden" der folgende Funkspruch E. M. Botschafters in Constantinopel:

"Durch den beabsichtigten Ausflug in das Innere könnte infolge Mißdeutung der gute Eindruck vermindert werden, den das Erscheinen des deutschen Kriegsschiffs vor Mersina und der Besuch in Adana hervorgerufen hat, zumal der Großvezier bereits gehört hat, daßRußland uns weitergehende Pläne unterstellt. Da die Bevölkerung gegenwärtig leicht erregbar ist, gebe ich anheim, von dem Ausflug abzusehen."

Am 9. Mai setzte mich der Chef des Admiralstabs funkentelegraphisch über Port Said davon in Kenntnis, "daßdas Auswärtige Amt die Bedenken des Botschafters gegen den Ausflug nach Mamure teile."

Obwohl ich die Bedenken E. M. Botschafters in Constantinopel nicht anzuerkennen vermag, entschloß ich mich, von dem geplanten Ausflug ganz abzusehen. E. M. Reichsvertreter in Adana, der mir die Gründe der Bedenken nicht nennen konnte, war selbst sehr überrascht und gab der Ansicht Ausdruck, daßdas Unterlassen der Fahrt jetzt Aufsehen erregen werde, umso mehr als der Wali einen Ehrendienst für mich gestellt und Empfang auf allen bedeutenden Stationen befohlen hätte. Er schlug daher vor, E. M. Botschafter auf telegraphischen Wege von diesen Bedenken abzubringen, was ich jedoch angesichts der zweimal betonten diplomatischen Einwendungen gegen den Ausflug ablehnte. Leider ist es mir dadurch versagt gewesen, einen umfassenden Einblick in die Arbeiten der deutschen Bagdadbahn und der anliegenden Gelände zu gewinnen. Ich habe nur auf meiner Sonderfahrt nach Adana zur Erstattung der offiziellen Besuche die Strecke JenidjeAdana, die bereits im vollen Profil der Bagdadbahn verstärkt ist, sowie die Bahnhofsanlagen in Adana selbst sehen können. Der für mich und E. M. Offiziere entstandene Ausfall wurde besonders von den den deutschen Betrieben vorstehenden Herren bedauert, die sich von einem derartigen Besuch Vorteile für die deutschen Interessen versprachen und Bedenken gegen den geplanten Ausflug nicht verstanden.

Besuche der türkischen Würdenträger von Adana an Bord E. M. S. "Goeben".

Der Katolikos hatte sich für den Nachmittag des 8. Mai zum Besuch E. M. S. "Goeben" angesagt. Er war am gleichen Tage mit der Bahn nach Mersina heruntergekommen. Leider hinderte an diesem Tage starker Seegang jede Bootsverbindung, sodaß der beabsichtigte Besuch auf den Morgen des 9. Mai verschoben werden mußte. Ich ließ dem armenischen Erzbischof sowie den begleitenden Bischöfen und einigen niedrigen Gesitlichen durch den Kommandanten E. M. S. "Goeben" das Schiff zeigen, für das sie alle das größte Interesse zu haben schienen. Der Katolikos ließes sich nicht nehmen, bei der Besichtigung des Schiffslazaretts angesichts der Kranken eine kurze Andacht abzuhalten. Beim Vonbordgehen äußerte er neben seinem Dank die Hoffnung, daß auch weiterhin deutsche Schiffe an die Küste von Adana kommen mögen und daß Deutschland den Armeniern sein bisheriges Wohlwollen bewahren möge.

Den Wali von Adana sowohl als den Ferik, die beide trotz der ziemlich bewegten See meiner Einladung zum Frühstück Folge leisteten, empfing ich mit den ihnen zustehenden Ehren und ließ ihnen die Hauptteile des Schiffs zeigen. Ich konnte dem Wali, dem ich bereits telegraphisch für seine beabsichtigten Aufmerksamkeiten während des geplanten Ausfluges gedankt habe, bei dieser Gelegenheit auch mündlich meinen Dank für seine guten Absichten zum Ausdruck bringen. Es war bei Lage der Dinge unvermeidlich, daß der Wali die politische Natur der Bedenken gegen den größeren Ausflug in das Innere, die so plötzlich in die Erscheinung traten, durchschaute. Aus der Tatsache, daßer für den Ausflug derartig weitgehende Ehrungen meiner Person angeordnet hatte, mußgeschlossen werden, daß er hierzu Weisungen aus Constantinopel eingeholt hatte und daß weder bei ihm, noch beim Großvezier besondere Bedenken entstanden waren.

Italienische Kriegsschiffe vor Mersina.

Seit dem 23. April ankerte der italienische Kreuzer "Etruria", von Tobruk kommend, vor Mersina. Die Annahme, daßdie Anwesenheit des Kreuzers mit der Ermordung eines beim Bahnbau beschäftigten Italieners in der Nähe von Adana zusammenhänge, bestätigte sich. Angeblich sollte der Kommandant die Bestrafung des Mörders fordern und gleichzeitig die Auslieferung eines minderjährigen Mädchens, namens Geiulia Franzioni, verlangen, das vor längerer Zeit von einem Türken entführt war und auf Anordnung des damaligen Wali, Maamer Bey, islamitisch verheiratet worden ist.

Am 7. Mai wurde "Etruria" durch den italienischen Panzerkreuzer "Amalfi" vor Mersina ersetzt, um sich nach Constantinopel zu begeben.

Wie mich E. M. Botschafter in Constantinopel telegraphisch wissen ließ, verdient das Vorgehen Italiens an der Küste von Adana Beachtung. Leider habe ich nicht feststellen können, ob das Erscheinen des italienischen Schiffes vor Mersina für die Durchsetzung der italienischen Forderungen erfolgreich gewesen ist.

Daß Italien beabsichtigt hatte, Kriegsschiffe nach der kleinasiatischen Küste zu schicken, hatte ich bereits vom italienischen Botschafter in Constantinopel am 18. April erfahren. Er drückte mir gegenüber seine Genugtuung aus, daß E. M. S. "Goeben" auch nach Mersina ginge und fügte hinzu, "wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß sich die Franzosen da unten nicht so breit machen."

An der syrischen Küste habe ich später gehört, daß italienische Offiziere geäußert haben sollen, Italien werde die Inseln, welche es jetzt noch besetzt halte, für sich behalten und wolle auch den Hafen von Mamarice (nördlich von Rhodos) beanspruchen.

Die Lage in Alexandretta.

Am 17. April war gleichzeitig mit E. M. S. "Straßburg" der englische Kreuzer "Black Prince" vor Alexandretta eingetroffen. Er war am 21. April über Mersina und Beirut nach Port Said gegangen, von wo er jedoch Anfang Mai wieder nach Alexandretta zurückkehrte. E. M. S. "Straßburg" traf ihn am 6. Mai, als es zum Kohlennehmen Alexandretta anließ, an. Gesprächsweise äußerte der englische Kommandant auf die Nachricht, daß W. M. S. "Goeben" bereits am 10. Mai vor Alexandretta erscheinen und daß bald darauf E. M. S. "Dresden" eintreffen würde, "Black Prince" sei dann ja hier nicht mehr nötig. Admiral Milne habe die Absicht allgemein ausgesprochen, daßdie englischen Schiffe in Alexandretta und Mersina zurückgezogen werden sollten, sobald hinreichen Schutz durch deutsche Schiffe dort gewährleistet sei."

Ich bitte alleruntertänigst auf diesen Zusammenhang hinweisen zu dürfen, weil er den Eindruck früherer englischer Äußerungen verstärkt, wonach England nicht allein das deutsche Interesse an diesem Gebiet anerkennt, sondern auch Wert darauf zu legen scheint, daßes dauernd durch Anwesenheit der Flagge Euerer Majestät bekundet wird.

In der Tat verließ"Black Prince" den Hafen am 11. Mai, also 24 Stunden nach der Ankunft E. M. S. "Goeben".

Die Lage vor Alexandrette war bei meinem Eintreffen ruhig. In einer der vorangehenden Nächte waren zwar mehrfach Raubanfälle auf Angestellte des Bahnpersonals auf der Strecke verübt worden, die nach allgemeiner Ansicht keinen politischen Charakter hatten. Einer dieser Angriffe ist anscheinend von den Räubern seit langem vorbereitet gewesen, weil sie bei einem Aufseher mit Recht beträchtliche Summen von Lohngeldern vermuteten. Es gelang ihnen nach dem Erschießen zweier griechischer Arbeiter und der Verletzung eines Dritten, sich des Geldes zu bemächtigen und zu entfliehen.

Auch während meiner Anwesenheit ist in der Nacht vom 12/13. Mai die Wohnung eines deutschen Ingenieurs in der Nähe von Pajas von Pferdedieben erfolglos angegriffen worden. Die türkischen Behörden haben sofort Maßnahmen zur Ergreifung der Täter getroffen. Auch diesen Vorfall ist indessen eine Politische Bedeutung nicht beizumessen. Indessen neigt man in maßgebenden Kreisen Alexandrettas schon jetzt zu der Ansicht, daßnach Beendigung des Kriegs die vom Kriegsschauplatz in das Land zurückkehrenden Truppen Unruhen hervorrufen könnten.

Die Bevölkerung von Alexandretta neigt ebenfalls zur Verbreitung übertriebener Gerüchte. Vielfach soll während der Anwesenheit E. M. S. "Goeben" die Ansicht gehört worden sein, daßDeutschland Besitz von dem Lande ergreifen werde.

Der Bahnbau schreitet rüstig fort, Bahnhofsgebäude und Bahnhofsanlagen werden demnächst fertiggestellt sein. Mit einer energischen Förderung der beabsichtigten Hafenbauten in Alexandretta kann nach den Aussagen des leitenden Ingenieurs erst im nächsten Frühjahr wieder begonnen werden. Bis dahin hofft man, die Hemmungen, welche in der gesamtpolitischen Lage begründet sind, beseitigen zu können und dann mit einem Projekt zu beginnen, das in der Größe seiner Anlage das bisherige Hafenprojekt übersteigen wird.


[Trummler]



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