Beurteilung der militärpolitischen Lage durch die italienische Regierung .
Wohl durch den Bericht des Berliner Militärattachés angeregt, führte der Unterstaatsekretär im Auswärtigen Amt, Herr de Martino, am 22.4. eine Unterredung unter vier Augen mit mir herbei, die etwa eine Stunde dauerte. Er bat mich, ihm die Verhältnisse in den Karpathen zu schildern, was ich auf dem Hintergrund der gesamten Kriegslage tat. Ich setze ihm auseinander, wie sich diese entwickelt hat, und daß wir heute imstande sind, die West- und Ostfronten unserer Festung zu halten, ohne die für die Entscheidung aufgesparten Armeen einzusetzen. Dies würden wir erst nach Klärung der Lage in Italien. Für unsere militärischen Leistungen und innerpolitische Organisation war Herr de Martino voller Bewunderung. Wir würden zweifelsohne ungeschwächt aus dem Kriege hervorgehen und Antwerpen behalten. Sehr skeptisch beurteilte er dagegen die Widerstandskraft unserer Verbündeten, besonders die der Österreicher. Daß die größte Gefahr Italien von den Slaven drohe, gab er mir zu. Desgleichen, daß es irrsinnig wäre, in Österreich und der Türkei den Schutzwall gegen diesen Feind zu zertrümmern und ihm den Weg zum Mittelmeer und zur Adria zu erschließen. Ich gewann jedoch den Eindruck, daß er den Einsturz dieses Walles bereits als fait accompli betrachtet, mit dem sich Italien abfinden müsse. „Wenn wir sicher wären“, sagte er, „daß Österreich sich in Dalmatien behaupten könnte, würden wir die dalmatinischen Inseln niemals fordern; daß sie aber den Slaven in die Hände fallen, können wir nicht zulassen.“ Inwieweit es mir gelungen ist, ihn von der fixen Idee, daß es mit Österreichern und Türken aus ist, zu befreien, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls erblicke ich in dem Umstand, daß sich Herr de Martino in ein derartiges Gespräch mit mir einließ, ein günstige Symptom.
Ich benutze weiter jede Gelegenheit, um hier richtigere Anschauungen über unsere Lage und die unserer Gegner zu verbreiten und insbesondere die dem Italiener angeborene Angst vor den Engländern zu bekämpfen. Letzteres wird durch Auslassungen unserer Presse erschwert, aus denen man hier auf deutsche Bestrebungen, sich den Engländern zu nähern, schließt. Vielleicht könnte die Zensur gegen Artikel aus Geldkreisen, die es nicht abwarten können, wieder mit England in Warenaustausch zu treten, etwas schärfer vorgehen. Sie dürften auch im übrigen Ausland zu einer Verkennung unserer Absichten verführen. Dagegen würde eine nüchterne Darstellung des bisherigen Verlaufs und Ergebnisses des englisch-deutschen Duells aus berufener Feder vorteilhaft wirken. Im Kampf gegen England ist die Zeit unser bester Verbündeter. Das Vereinte Königreich hat nicht mehr die Stehkraft von vor hundert Jahren. Die rücksichtslose Entblößung seiner Mittelmeer- und Asiatischen Besitzungen von vollwertigen Truppen stellt sich immer mehr als ein schwerer Fehler heraus. Das englische Prestige in Ostasien hat einen tödlichen Stoß erlitten. In Indien ist das Gift der Empörung eingedrungen, kann aber diesen Riesenkörper nicht von heute auf morgen durchseuchen. Aus Egypten lauten die Nachrichten glänzend. Das dortige englisch-französische Korps besteht aus creti und pleti. Die eingeborene Bevölkerung wird terrorisiert und dürfte sich beim ersten Anstoß von Außen erheben. Wir müssen nur Geduld haben. Ein Sonderfrieden mit Frankreich oder Rußland wäre ein Sieg, ein Sonderfrieden mit England die Kapitulation und trüge den Keim zu neuen Kriegen in sich.