1915-07-26-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20189
Zentraljournal: 1915-A.s.-3905
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 07/27/1915 a.m.
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts (Botho von Wedel) an den AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler)

Privatbrief


Berlin, den 26. Juli 1915

Lieber Treutler!

Im Hauptquartier da draußen kennt Ihr anscheinend manche hiesigen Vorgänge und Stimmungen nicht, wie das ja auch ganz begreiflich ist. Ich las neulich in einem Telegramm: Der türkische Munitionsmangel müsse geheim gehalten werden. Du lieber Gott! Die Spatzen pfeifen das Lied von der Türken Nibelungennot von den Dächern, bis zum Droschkenkutscher weiß man von unseren fruchtlosen Bemühungen, die Munition durch Rumänien und Bulgarien zu bringen. Alle Leute fragen ängstlich, wie steht es an den Dardanellen? Wieviel Munition ist noch da? Es ist ja ganz natürlich. Die Vielen, die aus Türkei, Bulgarien und Rumänien kommen, erzählen davon, und die Türken verbreiten es absichtlich, um die öffentliche Meinung dafür zu interessieren, daß man ihnen zu Hilfe kommt und das ist ihnen vortrefflich gelungen. Die Feinde kennen den schwachen Punkt ja längst, die feindlichen Zeitungen sprechen ja fortwährend von dem türkischen Munitionsmangel, der für das Schicksal der Dardanellen entscheidend sei. Auch das wissen die Leute hier, namentlich in Parlament und Presse ganz genau, daß der einzigst sichere Weg, die Türkei zu retten und die Lage auf dem Balkan zu unseren Gunsten definitiv zu entscheiden, die Niederringung Serbiens ist. Auch hierfür haben die Türken gut gesorgt, indem sie immer wieder auf diesen Punkt hinweisen und namentlich alle politisch einflußreichen Kreise davon zu überzeugen suchten. Die Türken, die hier herumgewurstelt haben, wie Djavid usw. sind ganz gerissene Kerls und es ist bezeichnend, wie in letzter Zeit das Interesse für die Vorgänge am Balkan hier gestiegen ist, aber auch eine im großen und ganzen richtige Beurteilung der dortigen Lage. Rumänien wird ohne Zwang seine bisherige Lage nicht aufgeben, nicht weil es von der Entente bestochen und gewonnen ist, sondern weil es vor einem noch so sehr geschlagenen Rußland immer noch 10 Mal mehr Respekt hat, als vor einem siegreichen Österreich. Gefahr droht nie von dieser Seite, sondern nur von Rußland. Die Geschichte lehrt, daß Rußland aus jeder Niederlage vor allem gelernt hat und nach kurzer Zeit stärker war als je zuvor. Die Rumänen wollen daher, selbst wenn momentan keine Gefahr wäre, den Bruch mit Rußland der Zukunft wegen vermeiden, umsomehr, als Österreichs Schwäche sich zur Evidenz erwiesen hat, und dieser Nachbar, selbst wenn er dank unserer Hilfe jetzt gut aus der Affäre kommt, in der Zukunft ein schwacher Beschützer für Rumänien gegen den russischen Koloß sein würde. Wenn ich rumänischer Staatsmann sein würde, ich würde ebenso denken und man darf nicht anderen eine Dummheit zumuten, die man selbst nicht begehen werde.

Für Bulgarien ist die Sache noch klarer. Bulgarien ist mit ungenügender Munition und noch geschwächt von den Balkankriegen von uns getrennt. Fiele es Serbien an, so würde Griechenland ihm aller Wahrscheinlichkeit in den Rücken fallen und Griechenland, welches in den Balkankriegen fast garnicht gelitten hat und mindestens ebenso gut wenn nicht besser vorbereitet ist, als Bulgarien, dazu der tatkräftigen Unterstützung der Entente, - auf der See und durch Munitionslieferungen - sicher wäre, ist kein zu unterschätzender Gegner. Daß Rumänien sich gegen Bulgarien wenden würde, glaube ich kaum, aber sicher ist das auch nicht; Bulgarien ist aber auch den Serben, Griechen und der Entente nicht gewachsen; es würde unzweifelhaft unterliegen, schon weil ihm die Munition ausginge, und daß wir zu Hilfe kommen, kann doch kein denkender Mensch in Bulgarien erwarten. Die Bulgaren müßten also geradezu verrückt sein, wenn sie aus ihrer Passivität heraustreten, solange wir auf dem Balkan nicht selbst mitmachen. Sie kommen erst, wenn die Zentralmächte Serbien so ernstlich anpacken, daß der Sieg nicht mehr zweifelhaft ist. Führt sie nicht ihr politisches Interesse auf unsere Seite, so wären sie wohl längst auf dem Wege nach Konstantinopel, da droht ihnen ja kaum Gefahr, von uns gewiß nicht. Über diese Fragen wissen die Leute hier recht gut Bescheid. Wenn man Parlamentarier und Presse-Leute damit zu vertrösten sucht, daß man hoffen könne, die Erfolge gegen Rußland würden Rumänen und Bulgaren für uns gewinnen, so geben sie einem zu verstehen, daß man doch nicht versuchen solle Ihnen einen solchen Bären aufzubinden.

Aber auch mit einem Druck auf Rumänien wäre das Ziel kaum zu erreichen, einmal ist’s gewagt und dann haben wir Bulgarien - worauf es ankommt - noch lange nicht, wenn wir Rumänien gewinnen. Bulgarien ist mit Sicherheit nur zu haben, wenn wir ihm über Serbien die Hand reichen, da nur dann die Sache für Bulgarien sicher ist und es den oben angeführten Gefahren (Griechenland, Entente) trotzen kann. Über all’ diese Dinge sind die Leute hier sehr gut orientiert, dafür haben die Türken gesorgt, daher das allgemeine Verlangen, Serbien zu erledigen. Es herrscht schon jetzt ein wachsender Unwille, weil man glaubt, daß man nicht heran will, auch wenn man in Polen das Ziel erreicht hat. Dieser Unwille richtet sich aber gegen zwei Männer, gegen Bethmann und gegen Falkenhayn. Czapsky, der seine Ohren überall hat, sagt mir noch gestern, es herrsche bei allen Parteien eine starke Verstimmung gegen beide. Man weiß, daß Bethmann möchte, macht ihn aber verantwortlich, daß er nicht durchdringt und findet, daß er die Konsequenz ziehen müßte, und man weiß, daß die Heeresleitung dem Feldzug gegen Serbien widerstrebt. Ich muß sagen, daß ich dieses Widerstreben nicht recht verstehe, denn auf keinem Kriegsschauplatz ist ein so großer und so populärer Erfolg zu erringen wie hier und wenn auch mit Schwierigkeiten zu erringen, doch immer noch leichter als auf anderen Kriegsschauplätzen. Du weißt, daß der Orient, Kleinasien, Bagdadbahn usw. ein Lieblingskind des deutschen Volkes sind; der selige Marschall hat es verstanden, das Interesse des deutschen Volkes für den Orient zu wecken und zu befestigen. Die Leute mögen den Wert des Orients überschätzen, aber tatsächlich bilden sie sich ein, daß dort die Schätze von Tausend und einer Nacht uns winken, und wer ihnen widersprechen wollte, würde wegen fauler Ausrede gesteinigt. Es gibt in diesem Kriege nur zwei populäre Erfolge: die Niederringung Englands und der Sieg im Orient, der uns dort für alle Zeiten zum Herrn der Situation mache soll. Daß wir die Russen und Franzosen schlagen, sieht man in Deutschland als selbstverständlich an. Die Leute denken nun einmal so; sie haben aber in letzter Zeit auch gemerkt, daß wir England mit den U-Booten doch nicht klein kriegen, daher hat sich das Interesse mehr und mehr dem Balkan zugewendet, zumal ja auch England doch nur in Egypten zu fassen ist, da es mit U-Booten nicht geht. Verlieren wir die Partie im Orient - unsere Rolle wäre dann dort ausgespielt - so würde das zu einer ungeheuren Enttäuschung führen, denn die Leute sehen dort den eigentlichen Gewinn, der aus diesem Kriege für Deutschlands Zukunft herausspringen soll. Dazu kommt, daß dann auch die Chance des Friedens mit Rußland ganz schwindet. Rußland wird nicht Frieden schließen, solange es hoffen kann, die Herrschaft über die Dardanellen und sogar Konstantinopel durch seine Verbündeten zu erhalten. Sieht aber Rußland, daß es die Herrschaft nicht bekommen kann, so würde es sicher mit der Durchfahrt fürlieb nehmen, die es nur von uns bekommen kann. Es müßte uns also logischer Weise geradezu in die Armee sinken. Ich sehe überhaupt kein Ende, wenn man nicht die Entscheidung im Orient erzwingt. Solange die Feinde auf einen Erfolg rechnen können, der die Aufteilung der Türkei bedeutet und der für sie alle Mißerfolge auf den anderen Kriegsschauplätzen wieder gut machen würde, setzen sie den Kampf fort. Das gilt am meisten für Rußland. Konstantinopel ist seit Katharina’s Tagen Rußlands größtes und vornehmstes Ziel. Würde das erreicht, so wäre Rußland auch über alle inneren Schwierigkeiten hinweg und ganz Rußland würde über diesen Erfolg die Mißerfolge in Polen kaum beachten. Die russischen Zeitungen betonen ja schon fortwährend: Konstantinopel ist unser Ziel, alles andere nur Mittel zu diesem Ziel. Da schließlich auch noch unser Prestige im Orient enorm leiden würde, wenn wir Serbien nicht niederringen, so spricht eben alles dafür. Ich will gern glauben, daß es nicht so leicht ist, denn das Gelände ist schwierig, die Serben sind tapfer und haben sich sicher gut vorbereitet, aber die Tatsache liegt doch vor, daß Potiorek mit seiner mäßigen und ziemlich kleinen Armee die Serben fast erledigt hatte. Hätte er nicht, wie mir Kinsky erzählte, einer der wenigen, die Potiorek in den Tagen der Belgrader Katastrophe selbst gesprochen haben, berauscht durch seine Erfolge eine Art Größenwahn bekommen und die wahnsinnigsten Sachen gemacht, so wären die Serben fertig, daran ist kein Zweifel. Nun was Potiorek mit seinen Österreichern kann, das können wir auch. Unsere Feldgrauen haben schon ganz andere Schwierigkeiten überwunden. Ich glaube, die Schwierigkeiten werden unsererseits überschätzt.

Soviel steht jedenfalls fest, wenn Falkenhayn die Orientfrage zu unseren Gunsten entscheidet, so würde ihm ganz Deutschland Dank wissen. Diese Tat würde ihm nicht vergessen werden. Tut er es nicht, so wird man ihn in erster Linie dafür verantwortlich machen Vor einiger Zeit wäre das Odium auf die Diplomatie gefallen, aber heute nicht mehr. Gerade die führenden Männer im Parlament und Presse kennen den Widerstand der Heeresleitung.

Du hast Dich stets sehr anerkennend über Falkenhayn ausgesprochen; ich nehme daher an, daß er auch zu Dir Vertrauen hat, daß Du besser als Bethmann mit ihm sprechen kannst. Ich glaube, wir beide könnten ihm auch persönlich keinen besseren Dienst erweisen, als wenn wir Ihn davon überzeugen, daß es nur einen Weg gibt, der zu einem großen entscheidenden Erfolge führen würde.

[handschriftlich:] Schlußwort


Wedel



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