1915-10-05-DE-012
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Quelle: DE/PA-AA/R 20018
Zentraljournal: 1915-A-29756
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 10/14/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: K. Nr. 85/J. Nr. 1845
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Konsul in Saloniki (Walter) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Salonik, den 5. Oktober 1915

Heute morgen um 7 Uhr kamen die ersten Transportschiffe mit den seit mehreren Tagen erwarteten englisch-französischen Landungskorps für Serbien um das grosse Kap Karaburum in Sicht und liefen bei ruhigem schönsten Wetter langsam im offenen Hafen von Salonik ein, flankiert von einer Reihe englischer und französischer Kriegsschiffe. Ihre Reihenfolge wechselte und, wie ich nach 9 Uhr vom besten Beobachtungsplatze dem Balkon des Cercle de Salonique unmittelbar am Hafen feststellen konnte, lief als erster in den engen inneren Hafen, dessen eine Quaiseite nur von 2 griechischen Postdampfern belegt war, der französische Transportdampfer Britannia ein, die sich an die gegenüber liegende Quaiseite festlegte, unmittelbar an der Verbindungsstelle zwischen Hafen und Eisenbahn. Die übrigen Transportschiffe und Kriegsschiffe legten sich in längerer Reihe vor Anker, eines der letzteren ebenfalls bis obenauf mit Truppen belegt. Sie dürften erst anlegen und die Truppen ausschiffen, wenn die Britannia geleert ist und ihren Platz verlassen hat. Es sind meist französische Truppentransportschiffe, mindestens 5 an der Zahl, 6000 bis 10000 Truppen sollen gelandet bezw. mit den Schiffen gekommen sein. Auch drei Transportdampfer mit Kriegsmaterial & Kanonen (Haubitzen) sind mit ihnen angelangt. Schon vorher brachten Truppentransportdampfer Eisenbahnwaggons her, die zum grössten Teil schon am äusseren Hafenquai ausgeladen sind.

Der grösste Teil der Truppen ist französisch, bestehend aus Heeresteilen, die an den Dardanellen gekämpft haben, darunter viele Muhamedaner. Nach den Abzeichen sind Leute mit den Regimentsnummern 1 und 2 (zu einer 11. Division gehörig), 115, 125 und 175, darunter Truppen aus Tunis und Algier. Andere haben wieder andere Regimentsnummern sehen können. Die Formationen dürften sehr untereinander geschoben sein. Die Transportdampfer heissen Britannia, Australia, Adriatika, andere konnten mit Namen nicht festgestellt werden.

Hier ist man in griechischen Kreisen der Meinung, daß die Engländer mit 10 bis 14 Tagen sich zu Herren von Salonik gemacht haben werden, zumal sie, wie griechische Offiziere erzählen, schon jetzt ziemlich rücksichtslos auftreten.

Der hier liegende deutsche Levantedampfer Athena soll auf Befehl des Marineministers in den nächsten Tagen zur Sicherheit nach dem Piräus von einem griechischen Torpedoboot geleitet werden. Weisungen aus Athen sind mir auf meine telegraphische Anfrage noch nicht zugegangen. Die griechische Regierung hat vom englischen Gesandten die Zusicherung erhalten, daß die Ueberführung des Dampfers nicht gehindert werden wird.

Abschrift des gestrigen Berichts nach Athen wird gehorsamst beigefügt.


Walter
Anlage

Abschrift.

Salonik, den 4. Oktober 1915

J. Nr. 1812.

Der gemeldete englisch französische Truppentransport ist bis heute abend um 6 Uhr immer noch ausgeblieben, obgleich mit seinem Eintreffen seit 3 Tagen sicher gerechnet wird. Die von Kriegsschiffen begleitete Transportflotte soll im Süden des Golfes von Salonik ankern und Befehle abwarten. Unterdessen kommen und gehen feindliche Kreuzer und Torpedoboote in und aus dem Hafen, Transportschiffe mit Kriegsmaterial für Serbien und Russland laufen ein, die schleunigst löschen und das Kriegsmaterial verladen. Zugleich treffen zahlreiche griechische Transportschiffe ein, die Mannschaften gehen meist in der Nacht weiter, grösstenteils mit der Jonctionslinie nach Nordosten (Demir Hissar, Drama und die befestigten Plätze an der bulgarischen Grenze). Die Eisenbahnen der Orientalischen Gesellschaft, auch der Jonction sind vom hierher gekommenen Minister Diamantides für den Staat übernommen worden, zum Verwaltungschef der Bahnen nach Gumendje und Florina ist Herr Polites ernannt, für die Jonctionlinie soll der frühere Kommissar Bujukas bestimmt sein. Die bisherigen Beamten werden beibehalten. Der Direktor Honneger (Schweizer geboren in der Levante, Ententist) darf kein Telegramm absenden an die Direktion nach Konstantinopel ohne Genehmigung von Polites, der Kassenbestand (rund 400000 Frs) wird bei einer Bank hinterlegt; ein neuer Rechnungsabschnitt beginnt.

Es scheint sich zu bestätigen, dass der Betriebsdirektor Honneger erst mit den Ententekonsuln, hauptsächlich den französischen, über die Truppentransporte Verhandlungen gepflogen hat, die für den eintretenden Fall Bestimmungen über die Zahl und Länge der Züge festsetzten. Der vorige Woche eingetroffene General Hamilton, der hier vielfach als der bei den Dardanellen kommandierende General Sir Hamilton angesehen wurde, der aber, wie General Moschkopoulos mir sagte, ein ganz anderer wäre und zur Intendantur oder Genietruppe oder ähnlich gehöre, soll nach seiner Ankunft General Moschkopoulos ganz unverfroren gefragt haben, wo er seine Truppen landen lassen könnte. Wie mir einer der angesehensten Griechen, der mit Moschkopoulos intim verkehrt, am Sonnabend Mittag aus Freundschaft melden kam, sollte zuerst Befehl gekommen sein, jede Landung zu verhindern, auf Meldung der Forderung des Generals Hamilton seien jedoch von Athen neue Befehle gekommen, der Gewalt zu weichen und unter Protest die Landung und den Durchzug der fremden Truppen unter Anweisung des nötigen Terrains nicht zu hindern. Aus Herrn Moschkopoulos war bei meinem mehrmaligen Vorsprechen teils mit teils ohne meinen oesterreichischen Kollegen nicht viel heraus zu holen. Er sagte nur, den Landungstruppen sei im Hafen (im serbischen Teile) und an der Bahnlinie reichlich Platz angewiesen, die übrigen Teile der Stadt würden von Ihnen ganz frei bleiben, auch der Bahnhof und die Jonctionlinie, die die Griechen für ihre eigenen Truppenzüge brauchen. Das letztere war mir wichtig, weil ich heute von Drama das Eintreffen des Feldjäger-Oberleutnants Otto erwartete, dem ich für alle Fälle den Sekretär a. i. Klozel bis Sarigöl entgegengeschickt habe, von wo auch Frau Hadji Lazarro geb. Freiin von Stein heute hierher reisen wollte, die eventuell Depeschen durchbringen könnte, sollte unterdessen eine Landung der Engländer und eine Besetzung der Bahnhöfe, die alle bei einander liegen, erfolgen, denn niemand hält sich hier vor Uebergriffen der feindlichen Truppen sicher, da die Griechen gegen Gewalt nicht reagieren wollen, auch dürfte die mit Frankreich und England sympathisierende Einwohnerschaft ihren Gefühlen leicht die Zügel schiessen lassen.

Man spricht davon, dass auch in Kavalla ein Korps von den Dardanellen landen wird, das vielleicht für Drama und Serres bestimmt ist, zumal General Hamilton geäussert haben soll, nach Serres eine „excursion“ zu machen.

Meine politischen und militärischen Papiere und Depeschen habe ich soweit als nötig für alle Fälle verbrannt, auch die hier nicht gebrauchten Chiffres und den Marinecode, nur den Chiffre 1303 habe ich mir für den äussersten Fall aufgespart. Ich kann daher, wenn es wieder möglich werden sollte, noch Chiffretelegramm erhalten oder absenden.


[Walter]



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