Ja nach Gestaltung der Verhältnisse in Bezug auf die Ernährung (welche die wichtigere Frage ist, noch wichtiger als die finanzielle) wären drei Möglichkeiten einer nächsten Zukunft ins Auge zu fassen.
Die auswärtige Politik der Mittelstaaten hätte ihre nächsten Entschließungen nach den Informationen zu fassen, die sie von den Organen der inneren Verwaltung in Bezug auf die Ernährungsmöglichkeiten und zweiter Linie auch in Bezug auf die finanzielle Lage erhält. Während es in Friedenszeiten vorkam, daß auswärtige und innere Politik ihre eigenen Wege gingen, müßten die beiden jetzt in einer Weise zusammenarbeiten und in einer ständigen innigen Fühlung miteinander bleiben, wie dies vordem noch nie der Fall war.
Nach Ansicht der Fachleute sind die letzten schlechten Ernten nicht bloß Zufall, sonder eine Folge verschiedener Umstände, die auch in Zukunft nicht verschwinden, sondern sich eher verschärfen werden: Mangel an Arbeitskräften, Mangel an künstlichem und animalischem Dünger (infolge des verminderten Viehbestandes). Bekommen wir nächstes Jahr wieder eine schlechte Ernte, wird es uns nicht gelingen, wirklich entscheidende militärische Erfolge zu erringen, die den Gegner zum Friedensschlusse zwingen, so kann mit Sicherheit behauptet werden, daß unsere Lage in einem Jahre eine bedeutend schlechtere sein wird, als die jetzige, was selbstverständlich unserer Gegner zu einem weiteren Hinausziehen des Krieges ermutigen wird.
Nach Annahme II könnte wohl der Krieg noch einige Zeit fortgeführt werden in der Hoffnung, daß im Laufe der nächsten Monate auf den Kriegsschauplätzen Erfolge errungen werden, Erfolge, die zwar nicht entscheidend , aber doch so sein mögen, daß sie die militärische Gesamtlage der Mittelmächte günstiger gestalten.
Es erscheint verhängnisvoll, mit dem Friedensschluß (auch wenn die Initiative dazu von den Mittelmächten ausginge) solange zu warten, bis die Erscheinungen der Nahrungsmittelknappheit zutage treten oder gar den Feinden bekannt werden. Die Erfahrung hat gezeigt, daß, wenn in irgend einem kriegführenden Staate sich die wirtschaftliche oder militärische Lage verschlechtert, dies neue Siegeszuversicht und neuen Chauvinismus bei der Bevölkerung des feindlichen Staates auslöste, sogar desjenigen, der bis dahin starke Friedenstendenzen zeigte.
Annahme III. Sollte diese richtig sein, dann wäre wohl keine Zeit zu verlieren; der Frieden müßte nicht bei der nächst günstigen Gelegenheit, sondern bei der allernächsten Gelegenheit womöglich sofort geschlossen werden, bevor noch die Feinde erfahren, wie es mit unseren Ernährungsaussichten steht. Wenn einmal die Feinde halbwegs darüber Gewißheit besässen (bisher wurden sie immer sehr gut unterrichtet), dann bliebe wohl nichts anderes übrig, als ihre Bedingungen anzunehmen.
Die Möglichkeit der Weiterführung des Krieges auf Grund der Annahme III auszudenken, erübrigt sich wohl. Ich möchte nur bemerken, daß die Folgen eines solchen Planes ganz unabsehbar erscheinen, abgesehen davon, daß man den Moment, wo man durch gänzlichen Mangel an Lebensmitteln gezwungen ist, den Krieg aufzugeben, alle Bedingungen annehmen müßte, auch solche, die eine staatliche und wirtschaftliche Vernichtung herbeiführen ( es müßten dann auch die anderen Staaten, die mit dem verhungernden verbündet sind analoge Bedingungen annehmen).
Über dasjenige Volk, das sich in der beschriebenen Katastrophe befindet, käme erst nach einem solchen, durch Hunger erzwungen Friedensschluß die eigentliche Katastrophe, eine Katastrophe, wie sie die Weltgeschichte noch nicht kennt. Wenn nämlich auch Frieden bei Eintritt des Nahrungsmangels noch so rasch geschossen werden würde, so ließen sich doch die Lebensmittel für Millionen von Menschen nicht in einigen Wochen herbeischaffen, und man kann sich gar kein Bild davon machen, wenn auch nur ein Teil der Bevölkerung, einige Millionen, durch längere Zeit ohne Nahrungsmittel bliebe.
Sowohl nach Annahme II wie nach Annahme III erscheint vom Standpunkt der Mittelmächte die nächste Zeit bis allenfalls vor Weihnachten nicht nur als die günstigste Zeit für einen Friedensschluß, sondern als die einzig mögliche. Heute besitzen die Mittelmächte noch Chancen, und zwar Chancen, deren Wert eigentlich hauptsächlich in der Beurteilung von Seiten der Gegner besteht. Sollte nämlich Annahme II oder III zutreffen, so wissen dies momentan die Gegner noch nicht; diese, namentlich England, sind - wie ich auf Grund verläßlicher Informationen höre - fest überzeugt, daß die Mittelmächte auf die Dauer den Hungerkrieg nicht aushalten können. Wie lange sie aber noch aushalten werden, darüber sind drüben die Meinungen geteilt. Die einen meinen bis zum Frühjahr, die andern glauben, daß man noch die neue Ernte mit Müh und Not erreichen werde. Die maßgebenden Leute in den feindlichen Staaten glauben das letztere.
Anmerkungen zu dem beigeschlossenen Exposé.
Österreich-Ungarn konnte sich in Friedenszeiten nicht selbständig ernähren, und es war auf die Zufuhr vom Auslande angewiesen. Dabei fand ein innerer Ausgleich statt; es gab Ungarn von seinen Überschüssen an Österreich ab. Diese Abgabe hat aufgehört. Wie immer die Gründe für diese Entscheidung sein mögen, wir müssen uns mit ihr abfinden als einer gegebenen Tatsache.
Österreich ist darauf angewiesen, sich selbst zu ernähren. Bei einer guten Ernte in Friedenszeiten bestand immer ein großes Defizit, das - wie schon erwähnt - zu einem großen Teil durch Ungarn gedeckt wurde. Heute besteht keine Möglichkeit, das Fehlende durch Zufuhren von außen zu ergänzen. Nun könnte man annehmen, daß bei einer stark herabgedrückten Lebensführung die Bevölkerung auch mit den geringeren Mengen an Lebensmitteln, die zur Verfügung stehen, ein Auslangen finden wird.
Es mögen ja de facto so viel Lebensmittel produziert worden sein, daß damit in der Theorie die gesamte Bevölkerung ernährt werden kann. Die Theorie mag stimmen, die Praxis wird aber jedem, der die österreichischen Verhältnisse genau kennt, unmöglich erscheinen. Eine solche Durchführung setzt voraus einen inneren Ausgleich zwischen den Klassen, die mehr besitzen, und denjenigen, die weniger haben, zwischen den Gebieten, in denen viel produziert wurde, und denjenigen, in denen die Ernte minder gut, ja sogar schlecht ausfiel.
In dem von Preußen organisierten Deutschland gelang es, einen solchen Ausgleich ungefähr durchzuführen, allerdings manchmal unter großen Entbehrungen für die Bevölkerung. Man muß aber bedenken, daß Preußen mit seiner Organisation heute einzig in der Welt dasteht. Was Preußen in dieser Hinsicht geleistet hat, das sind nicht einmal die Westmächte, weder Frankreich noch England, zu leisten in der Lage gewesen. Was nun den Westmächten mit ihrer hohen Kultur und ihrer einheitlichen Bevölkerung nicht gelang, wie soll uns dies in Österreich gelingen? Uns fehlt zu solchen Organisationen die einheitliche und einheitlich geleitete Beamtenschaft. Uns fehlen die Unterorganisationen bei den Gemeinden und bei der Bevölkerung, uns fehlt mit einem Wort die Bevölkerung selbst, die imstande wäre, sich solchen Aufgaben zu unterziehen. Jeder, der in das ganze Getriebe der Kriegswirtschaft näheren Einblick gewonnen hat, weiß, daß mit Verordnungen allein nichts getan ist, daß auch der gute Wille und die Energie der Beamtenschaft nichts hilft, wenn nicht wieder die Unterorganisation und überhaupt die ganze Bevölkerung den amtlichen Organen in die Hand arbeitet. Unsere Bevölkerung, die nota bene nicht gleichförmig ist, sondern alle möglichen Kulturstufen, von der höchsten bis zur niedrigsten, zeigt, besitzt bekanntlich keine Disziplin, geschweige denn die preußische Disziplin. Unsere Beamtenschaft war nie in der Lage, jene Autorität nach allen Teilen des Reichs hin auszuüben, die Voraussetzung für eine straffe Organisation wäre. Die Dinge, die Preußen-Deutschland besitzt, die uns fehlen, um den Krieg auch wirtschaftlich zu organisieren, sind das Produkt hundertjähriger mühsamer Erziehungsarbeit und können bei uns nicht jetzt während des Krieges aus dem Boden gestampft werden. Daher muß man die der Beurteilung unserer politischen Lage gegenüber solchen wirtschafts-theoretischen Berechnungen vorsichtig sein, die zeigen, daß jede Menge Lebensmittel, die zur Ernährung der Bevölkerung nötig sind, tatsächlich produziert wurden. Denn erstens zeigen alle solche statistischen Aufstellungen meistens große Fehler, und zweitens ist, wie schon vorher beleuchtet, von der Produktion bis zur tatsächlichen Verteilung unter der Bevölkerung, bis zum Ausgleich zwischen den einzelnen Ländern und Berufsklassen eine Kluft, die in Österreich unüberbrückbar erscheint.
Zum Schluß möchte ich noch darauf verweisen, daß unsere Lebensmittel voriges Jahr im Frühjahr zu Ende gingen. Wir wären nicht imstande gewesen, uns über Sommer hinaus zu ernähren, wenn nicht die rumänischen Zufuhren rechtzeitig eingesetzt hätten. Auf solche Zufuhren ist heuer nicht zu rechnen, und selbst wenn es gelänge, Rumänien in nächster Zeit zu besiegen, wird man mit den dortigen Ernteprodukten nicht rechnen können, da ja, wie man sieht, auch dort alle Vorräte an Getreide und sonstigen Lebensmitteln von den sich zurückziehenden Truppen vernichtet wurden.