1914-11-18-DE-001-V

DuA Dok. 012 (gk.)

Der Konsul in Trapezunt (Bergfeld) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)
Trapezunt, den 18. November 1914

Abschrift für Nr. ... vom 12.1.15.

Gestern morgen erschien die russische Schwarze Meer-Flotte, bestehend aus zwei Panzerschiffen, fünf Kreuzern und einem Transportschiff, denen sich einige Torpedoboote zugesellten, auf der Reede von Trapezunt. Um 8 Uhr begann die Beschießung der Stadt, welche mit Unterbrechung etwa eine Stunde dauerte. Es wurden einige Schüsse aus schweren Geschützen (nach den gefundenen Geschoßteilen zu urteilen, etwa Kal. 20 cm) abgegeben, welche dem Kaiserlichen Konsulat, dem alten und dem neuen Telegraphenamt zugedacht waren. In einer Entfernung von etwa 50 m vom Konsulat wurde ein Haus vollkommen zerstört. Ging dieser Schuß zu kurz, so gingen die nächsten zu weit: Einer legte einen Stall in Trümmer, weitere krepierten auf freiem Felde. Ein Schuß traf ein Hotel neben dem alten Telegraphenamt und zerstörte es. Ein weiteres Geschoß durchschlug das Dach des russischen Konsulats unterhalb des neuen, erst vor wenigen Tagen bezogenen Telegraphenamts und richtete in der ersten Etage viel Unheil an. Zwei weitere Geschosse gingen gleichfalls zu kurz und beschädigten zwei in der gleichen Gegend liegende Häuser erheblich. Der Rest der Schüsse wurde aus kleinem Kaliber abgegeben und galt in erster Linie der alten Feste Güsel Hissar und dem Hafen. Der von ihnen angerichtete Schaden ist unerheblich. Die Landungsstege, Zollräume usw. haben kaum gelitten. Einige Schüsse kleinen Kalibers trafen noch die Stadt, ohne indessen größere Verheerungen anzurichten. Im ganzen sind etwa 20 Häuser mehr oder weniger beschädigt. Deutsches Eigentum hat nicht gelitten. Die Zahl der Toten wird amtlich auf 3 angegeben, darunter ein österreichischer Staatsangehöriger, welcher vor der Tür des Konsulats von einem Granatsplitter getroffen wurde. An Verwundeten verzeichnet die amtliche Feststellung 18, darunter den russischen Konsul und Vizekonsul leicht, einen Sekretär derselben Behörde schwer. In Wirklichkeit dürfte die Zahl der Opfer etwas höher sein.

Der Zweck der Beschießung ist nicht recht klar. Ich möchte annehmen, daß die Russen auf einen Aufstand der armenischen und griechischen Bevölkerung gehofft und für diesen Fall eine Landung beabsichtigt hatten. Die Türken hatten sofort die Muhammedaner bewaffnet und das Ufer besetzt, auch zeigten sich sehr viel Patrouillen unter Führung von Polizisten in der Stadt. Die Muhammedaner haben die beste Disziplin gezeigt. Schüsse wurden von ihnen kaum abgegeben. Wohl sollen 3 Griechen von Türken verwundet worden sein. Ich habe persönlich einen gesehen, welcher einen Revolverschuß in der Wade hatte. Auf Grund meiner Erfahrungen nehme ich bestimmt an, daß die getroffenen durch ihr Benehmen aufreizend gewirkt haben.

Gleich zu Beginn des Bombardements hatten einige Armenierinnen und Türkinnen mit ihren Kindern das Asylrecht des Kaiserlichen Konsulats in Anspruch genommen. Sie hatten völlig den Kopf verloren, weinten und drohten eine Panik heraufzubeschwören. Ich habe sie daher nebst meiner Familie und den in meinem Hause befindlichen deutschen Dienstboten in die Berge geschickt und ihnen dort Nachtquartier besorgen lassen, während ich selber auf dem Kaiserlichen Konsulat blieb. Sie sind heute morgen zurückgekehrt. Ein von meiner Frau gestern zum Tragen meines jüngsten Sohnes unterwegs angenommener Grieche hat laut und unverholen seiner Genugtuung über die Beschießung einer türkischen Stadt durch die Russen Ausdruck gegeben und erst durch Bedrohung mit dem Revolver zum Schweigen gebracht werden können. Dieser Vorfall bestärkt mich in der Überzeugung, daß die gestern verletzten Griechen ihre Wunden nicht unverdient erhalten haben.

Die von den Russen dem Kaiserlichen Konsulat gewidmete Aufmerksamkeit war wohl unfreundlich und das Gefühl, der Zielpunkt ihrer Geschosse zu sein, deren Sausen deutlich zu vernehmen war, nicht gerade angenehm, immerhin muß man dem Feind die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er nicht ziellos und aus reiner Zerstörungswut die Stadt beschossen hat.


Dr. Bergfeld.

S. E. dem Reichskanzler

Herrn Dr. von Bethmann Hollweg.


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