1915-05-27-DE-001-V

DuA Dok. 047 (re. gk.)

Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Nr. 324

Pera, den 27. Mai 1915

Zum Schlusssatze des in der Anlage überreichten Berichtes des Kaiserlichen Konsuls zu Aleppo ist zu bemerken, dass es meines Erachtens geboten erscheint, an die Aushändigung des Blankschen Briefes die Bedingung zu knüpfen, dass der Inhalt weder durch die Presse noch auf einem andern Wege weiter verbreitet wird.

Selbst die Richtigkeit der vorgebrachten Tatsachen vorausgesetzt, liegt für uns keine Veranlassung vor, sie an die Oeffentlichkeit zu ziehen; noch dazu in einer der türkischen Regierung und der mohamedanischen Bevölkerung offensichtlich ungünstigen Auffassung; wir würden dadurch nur der gegnerischen Presse in ihrem Feldzuge gegen die türkische Regierung willkommenes Material liefern, die Stellung der deutschen Wohltätigkeitsmissionen im Innern erschweren und den verfolgten Armeniern selber wenig nützen, sondern nur schaden.


Wangenheim
Anlage 1
Aleppo, den 10. Mai 1915

K.Nr. 55 / J.No. 1000

Im Anschluss an meinen Bericht vom 12. April, K.No. 39 (J.No. 764)

Euer Exzellenz überreiche ich gehorsamst in der Anlage Abschrift eines erst heut an mich gelangten Schreibens des Missionars Blank aus Marasch vom 14. April an Her Schuchardt, Direktor des Deutschen Hülfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient, in Frankfurt am Main, sowie Auszug aus einem gleichzeitig eingetroffenen, an mich gerichteten Brief vom 15. April. Ich hatte Marasch am 8. April verlassen. Die Briefe geben eine anschauliche Vorstellung davon, wie sich die Dinge in der darauf folgenden Woche weiter entwickelt haben.

Seitdem [ich von Marasch zurückgekehrt bin,] haben [neueren] Nachrichten aus anderer Quelle zufolge die Verbannungen aus Zeitun und den umliegenden Dörfern noch größeren Umfang angenommen. Ferner haben nach einem Telegramm [des Missionars] Blanks vom 9. d. M. die Verschickungen jetzt auch aus Marasch begonnen.

Die Liegenschaften der Verbannten werden von einer dazu eingesetzen Kommission abgeschätzt und sollen ihnen vergütet werden. Doch wird abzuwarten sein, ob diese Absicht der Regierung auch ausgeführt werden wird. Die Wiederansiedlung soll im Wilajet Konia und anscheinend in Tyrus [Zor] erfolgen. Wird die Behandlung aber so fortgesetzt, wie Blank sie schildert, so werden die Überwandernden, soweit sie nicht ihr Leben einbüßen, elend und krank ankommen, und nicht mehr die Fähigkeit haben, sich wirtschaftlich wieder aufzurichten. An Stelle der Verbannten werden muhammedanische Flüchtlinge aus dem Balkan in Zeitun und Umgegend angesiedelt.

Inzwischen habe ich weiter in Erfahrung zu bringen gesucht, worauf sich die Ansicht der Regierung von einer weit verbreiteten armenischen Verschwörung stützt. Nur eine Tatsache aber ist mir bekannt geworden. Nämlich eine mit Armeniern in enger Fühlung stehende und gut über sie unterrichtete neutrale Persönlichkeit hat mir erzählt, es seien im Beginn von Einwohnern von Dörtjol Briefe nach Zeitun abgeschickt worden, daß der Moment einer Empörung günstig sei. Verbindung mit den englischen Kriegsschiffe sei hergestellt. Ob die Briefe ihre Bestimmung erreicht haben ist meinem Gewährsmann nicht bekannt. Bewiesen wäre also damit, wenn überhaupt mein Gewährsmann gut unterrichtet war, eine Aufforderung zur Empörung. Wie sich die Adressaten zu dieser Aufforderung verhalten haben, ist nicht bekannt. Sind von englischer Seite die Adressen von Mitglieder der Wohlttätigkeitsgesellschaft, die ja in Ägypten zu haben waren, zu englischen Zwecken gebraucht worden, so müßte von türkischer Seite gerechterweise vor Bestrafung der Adressaten der Beweis illoyaler Gesinnung oder illoyaler Handlungen derselben erbracht werden. Dieser ist aber offenbar nicht für nötig erachtet worden. Auch im übrigen scheint die Regierung die Verschwörung mit dem Vergrößerungsglase betrachtet zu haben. Ich bin der Überzeugung, daß die ganz überwiegende Mehrheit der Verbannten unschuldig leidet. Die Mitglieder der Wohltätigkeitsgesellschaft haben stets offen gegenüber der Regierung gehandelt. Dafür müssen sie jetzt büßen. Die Regierung scheint auch auf dem mittelalterlichen Standpunkt zu verharren, daß für die Tat eines einzelnen oder einiger weniger Solidarhaft eines ganzen Volkes besteht. Denn ihre Maßregeln gehen auf Vernichtung der Armenier in ganzen Bezirken hinaus. Alle Armenier von Besitz, Bildung oder Einfluß sollen beseitigt werden, damit nur eine führerlose Herde zurückbleibt. Sie läuft Gefahr, das Vertrauen zu untergraben, daß es für die Armenier in Zu möglich sein wird, mit ihr auszukommen, und schafft dadurch selbst den Boden für Verwicklungen.

Der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel überreiche ich das Original des Blankschen Briefes an Direktor Schuchardt mit dem gehorsamen Anheimstellen, darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen er dem Adressaten ausgehändigt werden kann.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.


Rößler.

Seiner Exzellenz dem Kaiserlichen Botschafter

Herrn Freiherrn von Wangenheim.


Anlage 2

Auszug aus einem Briefe des Missionars Blank in Marasch vom 15. April an Herrn Konsul Rössler.

... Wenn Sie sehen könnten, in was für einem Zustande die Leute aus Setun ankommen, man mag das Elend nicht mit ansehen und wenn man dann noch sieht, was für eine teuflische Freude in den Türken zutage tritt und sie mit dem was geschieht noch nicht zufrieden sind und am liebsten das Blut der Leute fliessen sehen möchten. Die Leute die gekommen sind, sind am Bettelstabe und wie es scheint sind sie ihres Besitzes enthoben. Jedenfalls ist alles von der Regierung beschlagnahmt. Wäre es nicht möglich, dass durch die Botschaft etwas dafür getan werden könnte? Denn eine solche Handlungsweise kann man als mit der Türkei verbündet fast nicht billigen. Wie ich Ihnen schon kürzlich sagte hat die Regierung auch etwas Schuld dass in Setun solche Ausschreitungen oft vorkommen. Wenn die gemachten Versprechungen gehalten würden so wäre ein grosser Schritt getan, das Vertrauen der Leute zu erwerben. Auch diesmal scheint man denen die von Setun weggeführt wurden nicht die Wahrheit gesagt zu haben, sondern wie ich erfuhr, von den Leuten selbst, wurde ihnen gesagt, dass sie nach Marasch gebracht würden und in der Hoffnung, dass sie hier bleiben werden, haben sie alles still hingenommen. Als sie hier waren, wurden sie einfach in einen Chan gesteckt und nach einem Tag Ruhe weiter transportiert. Als sie abtransportiert wurden sah ich mit eigenen Augen wie die Soldaten die Leute mit Rippenstössen vorwärts trieben, trotzdem sie so dicht aufeinander waren, dass es unmöglich war, noch dichter aufeinander zu marschieren, dabei ermutigten sich die Soldaten einander. Es sah gerade aus als ob eine Herde hergetrieben würde. Doch freute ich mich über die Leute, dass sie alles still über sich ergehen liessen...


[Blank]
Anlage 3

Deutscher Hülfsbund für christliches Liebeswerk im Orient, E.V.

Station Marasch 14. April 1915

Sehr geehrter Herr Schuchardt.

Heute will ich Ihnen wieder einiges von den Tagen vom 9. bis 13. April mitteilen und hoffe, daß es mir gelingt den Brief durch Vermittlung des Konsuls und der Botschaft Ihnen zuzustellen.

Seit Herr Konsul uns verlassen hat, hat sich manches zugetragen, was eigentlich fast nicht zu schildern ist. Wir hofften immer, daß sich die Setunangelegenheit bald und ihre Grausamkeiten erledigen würden, aber bis heute ist dies nicht der Fall.

Wir bekamen am 10. 4. wieder neuen Besuch, Herrn Major Graf Wolffskeel. Er kam mit Fachri Pascha aus Damaskus. Herr Major wohnt bei uns im Krankenhaus. Am elften luden wir Fachri Pascha zum Mittagessen ein und ich hatte dadurch mehr Gelegenheit ihm meine Anliegen vorzubringen, besonders auch wegen Setun. Auch der Herr Major hat sich nach diesen Dingen eingehend erkundigt und dann Fachri Pascha Bericht erstattet. Gestern den 12. 4. sind sie beide nach Setun und wir erwarten sie morgen wieder zurück. Der Pascha scheint mit den ausgeführten Tatsachen nicht sehr zufrieden zu sein. Doch will ich abwarten bis er zurückkommt und dann erst entscheiden.

In diesen Tagen hat sich manches zugetragen, was nicht mehr menschlich genannt werden kann. In der Nacht vom 7. auf den 8. 4. wurde Hagob Agha Kehrlakian nachts um 10 1/2 Uhr von 4 Soldaten aus dem Bett geholt, unter dem Vorwand, der Vorsitzende des Kriegsgerichts wünsche ihn. Als er sich nicht beeilte bedrohten sie ihn zu erschießen. Er ging mit denselben, wurde aber nicht zum Kriegsgericht gebracht, sondern vor die Stadt hinaus. Außerhalb der Stadt umzingelten sie ihn und verlangten 300 Lire oder sie würden ihn erschießen. Als sie sahen daß alles nichts nützte, riefen sie den Offizier von dem sie offenbar geschickt waren. Als dieser kam, fing er an auf die Soldaten zu schimpfen mit den schönsten Worten die er nur wußte und sagte: Habe ich denn diesen gewollt, ich wollte doch einen von seinen Verwandten haben, worauf natürlich die Soldaten nichts einzuwenden hatten, aber es war doch ganz klar, wen dieselben bringen sollten. Als Hagob Agha ihm sagte, daß er diese Sache nicht nur so hinnehmen könnte als Reichstagsabgeordneter, fing er an ihn um Verzeihung zu bitten und küßte ihn soviel er konnte, es wäre ein Irrtum, er hätte ihn nicht gewollt, er wäre aus Versehen hierher gebracht worden und wollte ihm jetzt alle möglichen Ehren erweisen, ließ sogar sein Pferd holen und brachte ihn damit, durch die Soldaten die ihn vorher geholt hatten nach Hause. Unterwegs soll einer der Soldaten zu seinem Kameraden gesagt haben: Wir haben auf Befehl gehandelt, und wenn jetzt etwas vorkommt, kommt alles auf unsern Kopf. Der Offizier der dieses ausführte war ein Hauptmann. Es war dies für ihn die letzte Nacht, die er in Marasch war, denn am nächsten Morgen reiste er mit seinen Soldaten ab nach Aintab noch ehe diese Sache laut wurde. Hagob Agha hat sich an das Kriegsgericht gewandt aber man hat bis heute noch nichts davon hören können. Offenbar war dies nur ein Akt um Geld zu machen, der aber mißlungen ist.

Doch sind in den letzten Tagen noch andere Dinge vorgefallen. Am 11. 4. kam ein Transport Familien (25) aus Setun in einem traurigen Zustand in Marasch an. Als dieselben sich der Stadt näherten gingen die Islam aus Marasch ihnen entgegen und es war ihnen eine teuflische Freude, einmal von den verhaßten Setunleuten gefangen zu sehen. Sie konnten es nicht lassen in Worten und Schmähungen die Armen noch zu ihrem Lose hin zu belästigen und dieselben mußten alles stillschweigend über sich ergehen lassen. Von allen Seiten getrieben wurden sie in einen Chan gebracht wo sie unter strenger Bewachung waren. Es durfte fast niemand zu ihnen um ihnen etwas Lebensmittel zu bringen, selbst wenn es nahe Verwandte waren. Sie hatten so gut wie wirklich nichts bei sich und in den Augen der Türken waren sie auch nichts wert. Als kürzlich auf Befehl der Regierung von den Straßenhunden in der Stadt ein Teil erschossen werden sollte, haben viele Türken von denselben schnell in ihre Häuser genommen, weil sie es für eine Sünde hielten, aber dagegen einen Menschen umzubringen ist noch ein Verdienst, keine Sünde. Die Christen sind in den Augen vieler Türken weniger als Hunde. Zusammengepfercht in dem Chan verbrachten sie einen Tag und zwei Nächte. Ihre Nahrung war größtenteils der Spott der Türken. Ihre Habe mußten sie zurücklassen in Setun und wie ich mit Bestimmtheit weiß, wurden ihre Häuser zugeriegelt von der Regierung. Es scheint mir als ob die Beamten, die diese Sache machen, sich ihrer Sache nicht ganz sicher sind, und vielleicht die, die sie jetzt so in die Verbannung führen lassen, durch jemand anders wieder in ihr Heim zurückgebracht werden könnten, oder aber daß sie es deshalb tun um sich nach getaner Arbeit damit zu bereichern. Nach meinen Erfahrungen sind das die Gründe. Unsere Schwestern aus Bethel wollten den Armen etwas Essen geben, was ihnen nur mit großer Mühe gelang. Unter den Angekommenen war kein einziger von denen dabei, die sich gegen die Regierung auflehnten, sondern es waren alles von den besseren, vermögenden Leuten. In der zweiten Nacht ehe sie weitertransportiert wurden, kam eine Frau nieder und es wurde ihr trotz vielen Bittens nicht gestattet, wenigstens einen Tag hier bleiben zu dürfen sondern ohne Gnade mußte sie am nächsten Morgen mit. Die Türken freuen sich mit einer teuflischen Freude wenn sie diese Armen wie eine Hammelherde zusammengepfercht und von den Rohen Soldaten gestoßen weggeführt sehen. Als Abschied von Marasch hat dann noch der Bimbaschi Said Bey noch einen besonderen Trumph daraufgegeben. Er sagte zu den Soldaten, die sie zu transportieren hatten, daß sie sich bewußt sein sollen was für schlechte Menschen sie vor sich hätten. Denn jeder von diesen hätte den Wunsch, wenn es möglich wäre, wenigstens noch einen Islam zu töten, für den Fall, daß sich einer widersetze oder weglaufen wolle, sollten sie ihn sofort niederschießen wenn nicht, würde er dieses an ihnen ausführen und zum Schluß gab er ihnen Verfügungsrecht über die Frauen dieser Armen, indem er sagte, daß sie mit ihnen tun können, was sie wollen. Er hat auch seine Wut ausgelassen an diesen Armen und die herumstehenden Islam haben sich nicht wenig darüber gefreut und er war stolz auf seine Heldentat, wie er meint, eine vollbracht zu haben. Diese 25 Familien werden wie mir von der Regierung aus zu verstehen gegeben wurde, nach der Koniagegend gebracht und dort angesiedelt.

Am 13. 4. kam ein neuer Transport aus Setun. Diesmal wurden die Islam etwas zurückgehalten, denn so wie sie sich bei der Ankunft des ersten Transportes benahmen, hat bei manchen Türken keine Billigung gefunden. Es sagten einige direkt zu mir, daß es Unrecht sei so gegen diese Armen zu verfahren, aber, sagten sie, es ist von unserer Seite nichts dagegen zu machen. Auch diese wurden in den Chan gebracht. Diesmal war es etwas leichter ihnen etwas Essen zu verschaffen, die Wachen waren nicht so hart. Als ich hörte, wer heute alles gekommen war, tat es mir weh, denn es waren Leute darunter die alles taten, um den Willen der Regierung zu erfüllen und dennoch müssen sie in die Verbannung, warum wohl? Weil sie vermögend sind! Das ist meine Ueberzeugung. Auch unter diesen waren keine Eschkier. Heute früh hielt ich es nicht mehr aus und wollte sehen ob der Kommandant sich wieder so gemeiner Worte bedient, wenn er diese zum Weitertransport übergibt. Ich stellte mich ziemlich in seiner Nähe unter die anwesenden Türken, die sich als Zuschauer eingefunden hatten. Als er mich sah, musterte er mich scharf und ich merkte, daß es ihm nicht erwünscht war mich hier zu sehen. Er hielt sich an und durch meine Anwesenheit ließ er diesmal seinen gottlosen Segen weg. Er übergab sie nur einem Offizier und ging weg. Doch merkte man ihm an, daß er nicht gut zu sprechen war jedenfalls, weil er sich nicht Luft machen konnte. Er ist direkt feige, wenn er jemand sieht wo er denkt, seine Worte können weiter gehen.

Am 14. 4. kam ebenfalls ein Trupp Leute aus Furnus hier an die ebenfalls auch verbannt werden sollen. Der Grund ist der. Es wurde auf dem Weg von Furnus nach Tschuhur-hisar ein Türke ermordet von 3 Leuten aus Furnus. Die Furnusleute lieferten der Regierung die Mörder sofort aus, aber sie fanden dadurch keine Gnade und werden jetzt Unschuldige als Geißel verbannt. Recht und Gerechtigkeit ist eben keine vorhanden.

15. 4. 15. Auch heute kamen wieder viele Leute aus Setun. Die meisten zu Fuß mit den Kindern auf dem Rücken. Ein Bild zum erbarmen. Doch dies ist bei den Türken in Marasch nicht zu finden. Die meisten ohne Fußbekleidung. Was soll man dazu sagen? Man muß stille sein und alles in sich hineinfressen, denn es ist niemand der hört. Wann wird die Zeit kommen, wo hier nach Gerechtigkeit gerichtet wird.

Mit herzlichen Grüßen


[Karl Blank]

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