1915-10-01-DE-001-V

DuA Dok. 176 [nur Anlage 3] (gk.)

Der deutsche Journalist von Tyszka in Konstantinopel an den Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts (Zimmermann)
Constantinopel, den 1. Oktober 1915

Journalstr. 14. Han Nikitits


Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär!

Euerer Exzellenz habe ich die Ehre über die Erhebung der Armenier im Osten des Reichs und über die türkischen Maßregeln zur Vernichtung der Armenier Berichte zu überreichen, die ich als Ergänzung meiner Ausführung vom 7. September huldvollst anzusehen bitte.

In treuester Verehrung


Euerer Exzellenz ganz ergebener
von Tyszka
Anlage 1

Ganz vertraulich.

Constantinopel, den 22. September 1915
Die armenische Erhebung und die tuerkischen Greuel.

Blutige Massnahmen, wie sie sich jetzt in der asiatischen Tuerkei abgespielt haben und deren Ende noch nicht abzusehen ist, sind in gleichem Umfang wohl noch nie in der Tuerkei vorgekommen. Tuerken wie Armenier spielen dabei wechselseitig handelnde Rollen. In Nachstehendem kommen die Armenier zu Worte und sind nur diejenigen Angaben aufgenommen, die als amtliches Material dem armenischen Patriarchen Mgr. Sawen und dem Vorsitzenden der Armenischen Vereinigung, Herrn Dr. Tavidjan vorlagen und durch anwesende Augenzeugen bekraeftigt wurden.

Der Ursprung der armenischen Erhebung greift demnach auf Februar d. J. zurueck. 35 - 40 militaerpflichtige junge Armenier waren nach Zeitun in der Absicht gefluechtet, sich der Militaerdienstpflicht zu entziehen. Die Bevoelkerung nahm fuer und wider die Fluechtigen Partei, das niedere Volk soll die tuerkische Regierung bei dem Einfangen derselben unterstuetzt haben. Es kam dabei zum Schiessen der Armenier mit tuerkischen Gendarmen, wobei 14 - 15 der ersteren getoetet wurden.

Der hiesige armenische Patriarch suchte den Minister Talaat Bey auf, um ueber die dortigen Vorgaenge authentischen Bescheid zu erhalten. Dabei habe der Minister dem Patriarchen erklaert, dass er mit der Haltung der armenischen Bevoelkerung von Zeitun sehr zufrieden sei.

Es musste daher armenischerseits befremden, dass saemtliche armenische Bewohner von Zeitun mit Frauen und Kindern wenige Stunden nach dem Zusammenstoss Zeitun verliessen und in der Staerke von 5000 nach Konia, der Rest nach Sort suedlich Musch fluechteten. Auf Anfrage des Patriarchen bei der tuerkischen Regierung erfolgte der Bescheid, dass es sich hierbei um ein Vergehen handelte, wie vor 40 - 50 Jahren und waehrend der Kriegszeit nichts dagegen zu machen sei.

Ende Mai wurden die armenischen Bewohner aus Erzerum verjagt. Der Patriarch fragte nach dem Grunde beim Kriegsminister Enver Pascha und erhielt von diesem den Bescheid, dass ihm von einer Massregel zur Austreibung der Armenier aus Erzerum nichts bekannt sei. Darauf erschien am 2. Aug. a.S. ein Irade, dass alle Truppenkommandanten das Recht haetten, die Bewohner aus Staedten u. Doerfern zu entfernen, wenn dies im Staatsinteresse geboten waere.

Der hiesige amerikanische Botschafter, an den sich der Patriarch gewendet und um Aufklaerung ueber das Loos der aus Erzerum Vertrieben gebeten hatte, erwiderte, dass dieselben nach Terdjan verbannt seien. Diese Angabe bestaetigte sich aber nicht. Vielmehr waren am 25. Juli a.St. 2 - 300 Frauen aus Erzerum in Aleppo eingetroffen. Kein Mann begleitete sie, alle Maenner sollen unterwegs getoetet sein.

In Wan hatte sich Folgendes ereignet: Ein militaerpflichtiger Armenier war am 6. April a.St. in Schabak suedlich von Wan, von tuerkischen Gendarmen eingefangen worden. Da man ihn nach Wan einliefern wollte, widersetzten sich mehrere Freunde desselben der Einlieferung und befreiten den jungen Mann mit Gewalt. Der Generalgouverneur von Wan berief eine Versammlung der armenischen revolutionaeren Partei, Tschanaksution, ein und fasste mit derselben den Beschluss, dass sich ein Chef der Partei mit dem Chef der Gendarmerie und einigen Gendarmen wie Mitgliedern der armenischen revolutionaeren Vereinigungen sich nach Schatak begeben und den Fluechtling der Polizeigewalt ueberliefern sollte. Auf dem Wege nach Schatak wurden in der Nacht der armenische Chef mit seinen Mitgliedern durch die tuerkischen Gendarmen ermordet. Als dann der Gouverneur von Wan die anderen Mitglieder der Taschnaksution gefangen nehmen wollte, leistete ein Teil der selben bewaffneten Widerstand, ein anderer Teil zog in die benachbarten Doerfer. Bei dem Kampfe der Armenier gegen die tuerkischen Truppen wurden einige hundert Armenier getoetet. Zehn Tage spaeter erschienen russische Truppen in Wan, worauf der tuerkische Generalgouverneur, Djevdet Bey, Schwager Enver Pascha´s, floh. Eine armenische Regierung wurde eingesetzt, an der sich auch Kurden beteiligten. Die Russen wurden spaeter aus Wan vertrieben, haben aber ihrerseits, wie berichtet wird, sich Wan‘s wieder bemaechtigt und sollen zur Zeit Herrn des Platzes sein.

Eine Frau aus Baiburt nordoestlich von Erzerum hat dem hiesigen Patriarchen folgende Mitteilung gemacht: Der Erzbischof von Baiburt wurde mit 12 Notabeln der Stadt von den Tuerken aufgehaengt. Hundert Armenier daselbst wurden nach der persischen Provinz Laristan geschickt, sie sind nicht zurueckgekehrt. In drei Tagen wurden fast alle maennlichen Bewohner der Stadt verjagt. Es folgte ein Pluendern des Ortes durch tuerkische Tschetas (Baziboschuks). Sie nahmen alles, was sie zusammenraffen konnten. Mit einigen verstecktem Gelde flohen die Frauen mit ihren Kindern, von einzelnen Maennern begleitet.

Die Tschetas folgten den Fluechtlingen und nahmen den Frauen alle Kinder von 5 - 15 Jahren fort, und ebenso die jungen Frauen, die ihnen gefielen. Auch die Schwester der Augenzeugin, die sich hier aufhaelt, wurde weggefuehrt, sie hatte ein Kind von einigen Tagen mit sich. Man entriss ihr das Kind, warf dieses fort und fuehrte die jungen Frau mit. Auch aus Erzerum hatten sich die armenischen Frauen, deren Maenner getoetet waren, denen aus Baiburt angeschlossen. Eine tuerkische Frau fragte in einem Dorfe, durch das die Karawane zog, die begleitenden Gendarmen, ob sie nicht ein armenisches Kind bekommen koenne. Als eine Armenierin, deren Kind die tuerkische Frau verlangte, sich weigerte, ihr Kind abzugeben, erklaerte der Gendarm, die Tuerkin koenne Mutter und Kind nehmen. Einzelne Maenner, die den Zug der Frauen begleitet hatten, wurden in den folgenden drei Tagen durch tuerkische Tschetas getoetet. Eine tuerkische Frau aus Erzerum sagte zu einem Gendarm: Bring mir einen Armenier, den ich toeten will. "Kannst du denn schiessen" fragte der Gendarm. Sie antwortete: ja", worauf sie einen alten Armenier mit Revolverschuessen toetete. Einzelne Kinder, die aus Furcht weggelaufen waren, wurden, wie die Frau aus Baiburt angiebt, von den Gendarmen eingefangen und in den Euphrat geworfen, 2 Krankenpfleger aus dem deutschen Hospital in Erzindjan legten ihr Amt nieder, da sie die Greuel, dass Maenner und Frauen ertraenkt und auch lebendig begraben wurden, nicht ansehen konnten. Eine Norwegerin, Fraeulein A. Wedel aus Jardsberg und eine deutsche Schwester, deren Namen nicht bekannt ist, machten dem hiesigen Patriarchen Anzeige ueber das Geschehene, nachdem sie Erzindjan verlassen hatten.

Aus den Provinzen liegt keine Nachricht vor, dass auch nur ein Mann gerettet sei. Hier eintreffende Briefe sind nur von Frauen geschrieben.

Der ausgezeichnete armenische hiesige Advokat Sohrab ist verbannt von Alexandrette nach Urfa gegangen und starb unterwegs. Er war Deputierter und heisst es, dass er herzleidend gewesen sein soll. Der bekannte Deputirte Vartkes, mir genau bekannt, war jedenfalls kerngesund, - ich sprach ihn vor ein paar Monaten im Ministerium des Innern -, ist am Orte seiner Verbannung Diarbekir nicht eingetroffen. Seine Frau, mit der er seit drei Jahren verheiratet war, ist mit Hilfe eines jungen Deutschen mittels fremden Passes nach Deutschland geschafft worden.

Vartkes war Mitglied des Vereins Taschnaksution. Sein Tod wird als gewiss angenommen. In Scharkyschla, suedwestlich von Siwas, dem Kreuzungspunkt der Strassen Amasia-Samsun, Cesarea und Malatia, wurden vom Kaimakam taeglich Frauen und Maedchen bestellt, von ihm und den Gendarmen gemissbraucht und dann nach Hause geschickt. Auch die Kinder wurden dort umgebracht. Drei Kinder aus Scharkyschla im Alter von 13 – 15 Jahren flohen nach Constantinopel und haben dem armenischen Patriarchen ueber die dortigen Geschehnisse Mitteilung gemacht.

Der Kaimakam von Scharkyschla ist mittlerweile von der Regierung gefangen genommen und nach Constantinopel geschafft worden.

65 Knaben aus Schabbin Karahissar zwischen Siwas und Erzindjan sind nach Angora geschafft und zu Muselmanen gemacht worden.

Die Bischoefe von Konja und Ismid hatten von Eregli aus an Enver Pascha telegraphirt und wegen der Verbannung ihrer Parochianen um Hilfe gebeten. Enver Pascha erwiderte: Wir haben den Direktor der Auswanderer abgesandt, damit er die armenischen Fluechtlinge in der Naehe ihrer frueheren Wohnsitze unterbringe. Der Direktor traf in Eregli ein und erklaerte den Bischoefen, dass alle nicht Untergebrachte nach Aleppo geschafft werden muessten. Als dem Direktor Envers Depesche gezeigt wurde, erwiderte er, Enver Pascha habe zwar so gewollt, aber es sei eben nicht moeglich. In Constantinopel hat Enver Pascha dem Patriarchen Zaven versichert, dass die aus Constantinopel Ausgewiesenen nicht nach Aleppo, sondern nach Kastamuni geschafft werden sollen.

Armenische Priester in Bulgarien hatten durch die bulgarische Regierung Schritte zugunsten ihrer Glaubensgenossen in der Tuerkei unternommen. Waehrend von Angora aus befriedigende Antwort nach Bulgarien erteilt wurde, seien, wie der hiesige Polizeipraefekt Bedri Bey zu einem bekannten tuerkischen Beamten geaeussert habe, alle Armenier in Ajasch westlich von Angora umgebracht worden.

Der Direktor der Deutschen Schule in Aleppo, Herr Eduard Graeber, hat dem Patriarchen erzaehlt, dass der dortige deutsche Konsul ueber die Greuel, die die Tuerken an den Armenier dort veruebt hatten, bitterlich geweint. Das Weinen wird wohl nicht viel genützt haben, es giebt aber wohl wirksamere Mittel als die Traenen des Mitleids.

Der armenische Patriarch hat den Botschaftern Amerikas und Deutschlands seine Beschwerde mit dem vorhandenen amtlichen Material zur Abhilfe unterbreitet.


von Tyszka
Anlage 2
Constantinopel, den 29. September 1915.
Von Armeniern an Muselmanen veruebte Greuel

Der Chef der Sicherheitspolizei im Ministerium des Innern, Djembolad Bey, wies mich an Essad Bey, dem Chef der 2. Sektion, da er selbst zu kurze Zeit im Amt sei, um ueber die Missetaten der Armenier an Muselmanen Auskunft zu geben. Essad Bey, der das angesammelte Material nach ein paar Monaten in einer Broschuere veroeffentlichen will, gab mir an: Seit ein paar Jahren datirt die armenische Bewegung im Osten des Reichs. Mit Beginn des Krieges nahm sie einen schaerferen Charakter an. Es bildeten sich Banden aus der armenischen revolutionaeren Partei Taschnaksution. An ihrer Spitze stand Pasdermadjan, der fruehere Deputirte aus Erzerum, der die Tuerkei durch seine Gefangennahme im Kaukasus durch die Russen zu seinen Gunsten zu taeuschen wusste.

In der Tat trat er als oberster Fuehrer von fuenf armenischen Banden auf, die ihr Unwesen in den Ortschaften um Wan veruebten und dann in Wan durch Morde und Schandtaten aller Art Schrecken verbreiteten. Die muhamedanische Bevoelkerung hatte sieben Schiffe in Wan gechartert, um ueber den See von Wan nach Adelchivas im Norden des Sees, sich zu fluechten. Alle sieben Barken mit wenigsten je 400 Personen, in Summe 2800, sind durch Explosionen auf dem See mit Mann und Maus untergegangen.

200 muhamedanische Familien in Wan wurden von den armenischen Banden massacrirt, Greise, Weiber und Kinder nicht geschont. In das amerikanische Hospital in Wan waren mehrere hundert muselmanische Frauen und Kinder gefluechtet. Sie wurden entdeckt, mit Petroleum begossen und verbrannt. Am dritten Tage des Erscheinens der armenischen Banden kamen auch russische Irregulaere, spaeter auch Truppen, nach der Stadt und beteiligten sich an den Massacres. Djevdet Bey, der Generalgouverneur von Wan, Schwager Enver Paschas, blieb, solange er irgend konnte, in Wan und verteidigte den Platz mit den vorhandenen Gendarmen.

Aknuni Pascha, der Freund Pastermadjans, zum Gouverneur von Wan ernannt, verbreitete ein Manifest, indem er alle Bewohner der Provinz warnte, mit den Tuerken zu halten und dabei auf den russischen Zaren als Befreier des Landes hinwies.

[Neun Zeilen unleserlich]

Besonders reiche Fahnen waren Aknuni Pascha aus dem Kaukasus und auch aus Boston mit der Inschrift Fédération révolutionaire armenienne auf rotem Atlas goldgestickt, ein Dolch, Feder und eine Schaufel uebersandt worden.

Aus Ismid sah ich eine grosse Photographie mit 8 verstuemmelten jungen muselmanischen Weibern, aus Adabazar einen alten tuerkischen Gendarm mit aufgeschnittenem Bauch und herausgerissenen Eingeweiden. Eine grosse Beute an Gewehren und Bomben waren in Amassia, Siwas, Caesarea, Mersivan und Soucheir im Wilajet Siwas, den Tuerken in die Haende gefallen. Die Gewehre waren meist Mauser-Repetiergewehre, aber auch Manlicher und Legras. In Adana war ein Leuchtapperat an der Kirche angebracht worden. In Diarbekir war die Beute aus Dynamit und Bomben recht betraechtlich, auch in Ismid wurden viele Bomben und Gewehre gefunden.

Essad Bey gab die Zahl der Muhamedaner, die der armenischen Rache anheimgefallen waren, auf 200000 Individuen an, wofuer jedoch kein Anhalt war, so dass die Zahl weit uebertrieben erscheinen kann.


Englischer Vormarsch im Irak.

Englische Truppen sind im Ed Deir, halbwegs zwischen Bagdad und Aleppo eingetroffen. Es erscheint mithin gaenzlich ausgeschlossen, dass in der Umgegend von Bagdad Ruhe herrsche und die arabischen Scheichs sich zu den Tuerken geschlagen haetten. Amara ist in den Haenden der Englaender, Kutel Amara in denen der Tuerken . In Falomdja, am Tigris, an der schmalsten Stelle zum Lauf des Euphrat, haben sich die Englaender noch nicht festsetzen koennen, jedoch sind sie in Bedreh nahe der persischen Grenze.

(v. Tyszka)
Ganz vertraulich

Konstantinopel, den 30. September 1915.

Die Wahrheit ueber türkische[n] Maßregeln zur Vernichtung der Armenier.

In den Wilajets von Smyrna und Adrianopel beläßt man die Armenier, ebenfalls zum Teil in Konstantinopel. In allen anderen Provinzen sind die Armenier nach Aleppo, Mossul, Der es Zor und anderen Orten verbannt worden, wo sie nicht eingetroffen sind. Der frühere Deputierte Zohrab, einer der bedeutendsten Anwälte in Konstantinopel, ist auf dem Wege von Alexandrette nach Urfa gestorben, der Deputierte Wartkes in Diarbekir, wohin er verbannt war, nicht eingetroffen.

Die Walis von Smyrna, Rahmi Bey, und von Adrianopel, Hadji Adil Bey, haben erklärt, die Armenier nicht ausweisen zu wollen. Zum Bericht beim Minister des Innern eingetroffen, sind beide bei ihrem Entschlusse geblieben. Auch ein Zeichen von Unstimmigkeit im Komitee. Talaat ist extrem, was er wollte, geschah bisher. Rahmi hat mehr gelernt als Talaat, ist mehr in der Welt herumgekommen, ein praktischer aber auch humaner Charakter, dessen klares Urteil als Deputierten über verschiedene politische Fragen von mir wiederholt verbreitet [eingeholt] wurde und vielen Beifall fand. Er hat großen Anhang im Komitee.

Im allgemeinen schenkt man alarmierenden Gerüchten in der Türkei wenig Aufmerksamkeit, weil man weiß, daß viel übertrieben wird, aber auch weil man der heutigen Regierung möglichst viel Armfreiheit gewährt. Die heutige Regierung ist ganz zu Unrecht in den Geruch einer liberalen gekommen. Sie ist alles eher als dieses, sie ist absoluter, diktatorischer als die Abdul Hamids war. Die Presse ist geknebelt und kennt nur das Lob der jetzigen Machthaber, das das befreundete Ausland mit gutem Willen aber wenig Sachkenntnis verbreitet.

So sprach man von strengen Maßregeln, die die Regierung gegen die Armenier wegen des Aufstandes in Wan in Anwendung brachte, als von einer gerechten Selbsthilfe, zu der der Staat greifen muß, um Ordnung zu schaffen. Die Schuld der Armenier erschien um so größer, als sie sich im Pakt mit dem Nationalfeinde, dem Russen, befanden, die der armenischen revolutionären Erhebung in Wan Vorschub leisteten.

Daß die Regierung mit eiserner Hand eingreift und niederzwingt, was sich loslösen will, ist ihr gutes Recht, denn das Land besteht aus vielen disparaten Elementen, die nur auf eine passende Gelegenheit warten, es den Armeniern nachzutun, und nichts wirkt nachteiliger, als Schwäche zu zeigen, wo nur Kraft das Ansehen der Regierung stärken kann. Aber sie muß, wenn der Freiheitsmantel nicht zum Popanz werden soll, eine Grenze, eine Beschränkung kennen und [darf nicht] statt Schuldige zu strafen, Unschuldige und Wehrlose vernichten, weil sie zur Rasse der Empörer gehören.

Es handelt sich heute um Opfer, wie sie die an Gewaltakten wahrlich nicht arme türkische Geschichte noch nicht kennt. Das ist eine erschütternde Wahrheit, die Hilfe erheischt von Jedem, der zu helfen imstande ist.

Ob die Opfer, die die Armenier gebracht haben, 500000 übersteigen oder nicht erreichen, ist im Prinzip gleichgültig. Gesuendigt ist auf beiden Seiten genuegend worden. Was ins Gewicht fällt, ist die Ruhe und Selbstverständlichkeit, die bei der Verfolgung vor sich geht und von einem Selbstdünkel zeugt, der jeder fremden Einmischung spottet.

Es waren nicht Armenier, die meine tiefere Beschäftigung mit Ursachen und Folgen der Handlung der türkischen Regierung wachriefen, als Vertreter des Rechts und der Humanität zu erscheinen, es waren türkische Senatoren des hiesigen Senats, Männer von größtem Verdienst und tadellosem Charakter, die Ekel empfanden über Taten, die ihre Regierung mit unerschütterlicher Ruhe und Selbstverständlichkeit ausübte.

Als dann ein armenischer intimer Freund von mir, ein Zivilinspektor im Ministerium des Innern, der 26 Jahre lang als Conseiller légiste, als Vertreter von Gouverneuren und Generalgouverneuren, Agop Hamamdjan Effendi, mit großem Eifer und unerschütterlicher Loyalität beschäftigt war und plötzlich ohne Pension aus dem Dienst entlassen wurde, da verlangte ich Aufklärung, da dem ersten Schritte bald ein zweiter, vernichtender für das Leben einer Familie folgen konnte.

Von dem mir befreundeten Direktor im Ministerium des Innern, Hassan Fehmy Bey, bekam ich unter dem 14. September d. J. folgenden Bescheid:

"Die Ehrlichkeit Ihres Freundes steht außer Zweifel. Nur infolge einer angenommenen, allgemein gültigen Maßregel wird er in den Ruhestand versetzt."

So lautet der Verlegenheitsausweis; denn der Mann ist der fähigste, beste Arbeiter und, wie auch amtlich erklärt wird, von erprobter Ehrlichkeit. Er hat aber eine zahlreiche Familie, ist ihr einziger Ernährer und kann jeden Augenblick nach außerhalb versandt werden, woher er nicht zurückkehrt.

Am 20. d. M. erklärte mir Hassan Fehmi Bey, daß der Minister Talaat Bey alle Armenier aus dem Ministerium des Innern entfernen wolle, da die türkischen Beamten nicht mehr mit ihnen arbeiten wollen. Diese türkische Weigerung könne aber nur schädlich auf den Dienstbetrieb wirken und fortgesetzt weitere Schwierigkeiten in der inneren Verwaltung im Gefolge haben. So habe denn der Minister des Innern entschieden, alle Armenier in seinem Ressort ohne Ansehen der Person aus dem Dienste zu entlassen. In der inneren Verwaltung haben [hätten] die Armenier mehr als in jedem anderen Ministerium die Gelegenheit, gemeinsam Pläne zu schmieden und Empörungen anzuzetteln. Mit den Armeniern müsse aufgeräumt werden, denn sie haben einen unversöhnlichen, rachsüchtigen Charakter, und da sie mutig sind, seien sie gleichzeitig ein staatsgefährliches Element.

Auf meinen Einwand, daß in anderen Ministerien, wie in denen der Justiz, der Finanzen, der öffentlichen Arbeiten, der Forsten und Landwirtschaft, wie auch im Conseil d'Etat, sich doch ebenfalls Armenier befänden, erhielt ich zum Bescheide, daß mit den Armeniern reiner Tisch gemacht werden müsse. Es müßte im Ministerium des Innern der Anfang gemacht werden, mit der Zeit würden auch die anderen Staatsbehörden folgen.

Es ist mithin in der Türkei beschlossene Tatsache, aus allen staatlichen Zweigen die Armenier zu entfernen und das osmanische Reich auf einer [rein] tuerkischen [türkischer] Grundlage weiter zu bauen.

Der türkische Plan, alle Armenier aus den Provinzen fortzujagen und sie in Mesopotamien anzusiedeln, ist alten Datums lt. Broschuere von Dr. Rohrbach. Die Türken trauten den Armeniern nicht als russischen Grenznachbarn. Ein Anstoß, die Vertreibung der Armenier durchzuführen, war durch die Erhebung in Wan gegeben. Einem Mann von so eisernem Willen wie Talaat Bey, der zu dem extremsten Schritte neigt, wenn er ihn für richtig hält, sich von Niemandem beeinflussen läßt und jede Art der Ausführung für gut hält, wenn sie ihn zum Ziele bringt, einem solchen Mann war mit der Erhebung in Wan die Vertreibung der Armenier zur Notwendigkeit geworden.

Welche Ungerechtigkeiten und Härten dabei unterlaufen, gilt gleich. Talaat Bey ist Optimist par excellence, insbesondere bezüglich seiner eigenen Entschlüsse. Wie er heiteren Sinnes dekretiert, so nimmt er gleichmütig alle Beschwerden entgegen. Bis vor kurzem, anfangs dieses Jahres, galt das armenische Element als das zuverlässigste, ja das allein zuverlässige von den christlichen Elementen in der Türkei. Man las es in allen Zeitungen, und die türkischen Großwürdenträger bestätigten es bei allen sich bietenden Gelegenheiten.

Seit dem März hat sich die Änderung vollzogen, so allgemein, so bestimmt, als ob die Türken bisher nicht gewußt hätten, wie gefährliche Nattern sie am Busen gewärmt hätten.

Wo keine Erfahrung die Handlungen reguliert und bestimmt, da gibts nur Willkür und Unstätigkeit. Djemal Pascha, als Marineminister, war der eifrigste Förderer des türkisch-französischen Komitees. Auch dem Todfeinde, den Russen, sollten goldene Brücken gebaut werden. Take Jonesku, der vielgenannte rumänische Minister des Innern, war der vertrauteste Freund Talaat Beys.

Was können die Armenier im allgemeinen für ein Interesse haben, sich von den Türken loszureißen? Sie haben keinen Anschluß, wie Bulgaren, Griechen und Serben in der Türkei an ihr Königreich und sehen zu klar, um den Russen zu trauen. Die Waffen aber, die die Türken bei den Armeniern fanden, waren großenteils dieselben, die sie von den Türken I908 erhielten, damit sie dem Komitee bei der Verteidigung gegen die Reaktion Helferdienste leisten konnten. Wenn die Türken aber den Armeniern, die an der russischen Grenze echeloniert waren, nicht trauten, warum schaffte man sie mit derselben Härte wie an der russischen Grenze aus Jalova, Angora, Brussa, Kastamuni fort? Aus diesen Orten sind allein 250000 Armenier vertrieben. In 48 Stunden hatten sie ihre Wohnungen zu verlassen und in die Verbannung nach Aleppo, Zor, Hama, Mossul, ja nach dem Hauran zu gehen.

Nichts war geschehen seitens der türkischen Regierung, um die Vertriebenen an den Ort ihrer Verbannung zu befördern. Die Bahnzüge waren durch den Truppentransport besetzt. Kein Armenier fand dort Platz. Für die Sicherheit auf dem Wege war keine Fürsorge getroffen.

Die Tschettäs, die alten Baschiboschuks vom Kriege 1877/78, waren wieder da, wo billig Beute zu machen und zu morden war, ohne dabei etwas zu riskieren. So tapfer der türkische Soldat ist und so menschlich er fühlt, wenn er nicht religiös aufgestachelt wird, so feige und unmenschlich ist der Irreguläre. Daß die Tschettäs von Jungtürken angestiftet und geführt wurden, wird mit Sicherheit behauptet.

In den Plätzen, wo Massakres der armenischen Bevölkerung stattfanden, wie in Baiburt, Marasch, Schabin-Karahissar, Angora, Malatia, wurden die Männer von der Familie getrennt. Was die Weiber in der Eile zusammen raffen konnten, führten sie mit sich. Die Tschettäs folgten den Zügen der Wehrlosen, beraubten, vergewaltigten und töteten, wie es ihnen beliebte. Ein türkischer Oberstleutnant, der an den Dardanellen kämpft und mit kurzem Urlaub in der Hauptstadt eintraf, erzählte weinend, was ihm seine Verwandten aus Trapezunt und Siwas über die türkischen Massakres an den Armeniern geschrieben hatten.

Von der hohen armenischen Geistlichkeit weiß man heute nur, daß der Bischof von Smyrna am Leben ist, mit der Ermordung der meisten anderen fürchtet der Patriarch rechnen zu müssen. Was mit den armenischen Kirchen, mit den durch Jahrhunderte gesammelten Schätzen in den Kirchen geschehen ist, weiß niemand. Jede Anfrage des armenischen Patriarchen beim Minister des Innern bleibt ohne Antwort.


Das Lob

Die Türken lassen sich gern loben. Zu früherer Zeit hörten sie das Lob und freuten sich darüber, ohne daß das Lob eine nachhaltige Wirkung auf ihr Verhalten ausübte. Heute nehmen die Jungtürken alles Lob für bare Münze und sonnen sich an ihrer Unfehlbarkeit.

Es ist wirklich Zeit, daß die so gänzlich überflüssigen Lobhudeleien den Türken gegenüber eingestellt werden. Will man doch in den höheren Schulen in Hessen die türkische Sprache als Lehrgegenstand einsetzen. Dies zu einer Zeit, da man durch die Straßen irrt, ohne sich durch die rein türkischen Inschriften der Schilder zurecht zu finden und die Türken alle Bescheinigungen über angekommene Wertsendungen dem Europäer bis auf seinen Namen in türkischer Sprache schicken, so daß man nicht wissen kann, ob man der Empfangsberechtigte ist, oder nicht. Man darf in der Sentimentalität doch nicht zu weit gehen und den an Größenwahn Leidenden nicht immer neuen Stoff für ihren unberechtigten Dünkel zuführen. Ein inspirierter Artikel des "Hilal" verlangt, daß deutsche Professoren, die auf der hiesigen Universität dozieren wollen, nicht ihre Dolmetscher aus der Heimat mit- bringen, sondern sie hier suchen und, um mit Erfolg zu lehren, sich bemühen müßten, das Türkische so zu erlernen, daß sie die Lehrgegenstände in dieser Sprache vortrügen. Ein anderer Leitartikel des "Hilal" stellt Enver Pascha an Dispositionsfähigkeit, Willenskraft und genialer Ausführung auf gleiche Stufe mit Hindenburg.

Ohne Voreingenommenheit sehen die Dinge aber ganz anders aus. Die Expedition nach dem Suezkanal mußte versagen, da sie zu unrichtiger Zeit und mit ungenügenden Mitteln, als dem Mangel an schweren Geschützen und an Lasttieren, Kamelen, deren Lieferung man sich rechtzeitig beschaffen mußte, unternommen war.

Im arabischen Irak wurden die Türken durch den englischen Vormarsch überrascht und hatten von den langen Vorbereitungen zur Expedition seitens der Engländer in Basra keine Kenntnis. Die Expedition nach dem Kaukasus erfolgte mit ungenügend bekleideten Truppen, deren Bedürfnisse nicht gedeckt waren. Der Typhus, dem ein Armeekorps an Zahl zum Opfer fiel, war auf die schweren Strapazen zu schieben, die den Truppen ohne Grund und ohne Resultat zugemutet wurden. Wan ist noch in den Händen der Russen, die auch in der Nähe von Erzerum sind. Zum Schutz der Dardanellen ist viel geschehen. Die Truppen sind gut ausgerüstet und werden gut verpflegt. Nach den außerordentlichen Resultaten daselbst, die sich vor den Augen Europas vollziehen, wird die Kraft der Türkei beurteilt. Und doch lagen die Dinge auch dort anders, wenn dort nur Türken kommandierten. Die Bravour der Truppen tut es nicht allein. Die Türken sind keine Systematiker. Die meisten Generale verstehen nicht zu befehlen, sie können den Unterführern nicht in die Hand arbeiten. Sie bedürfen des Lehrers, der ihnen zeigt, wie der einzelne nur im Rahmen des Ganzen mit Erfolg tätig sein kann und ihnen daher den Blick für eine Offensive eröffnet, die ihnen noch fremd ist. Deutsche Arbeit kann hierbei Großes schaffen. Ihr unvergeßlicher alter Lehrmeister v. d. Goltz Pascha müßte noch einmal die Zügel in seine feste Hand nehmen und Einheitlichkeit in das ganze Getriebe bringen.

Enver Paschas Verdienst um die Ausstattung dieser türkischen Musterarmee an den Dardanellen soll gewiß nicht verkleinert werden; er hat geschaffen, was guter Wille und Fleiß und Aufgehen im Berufe schaffen kann. Ohne die Deutschen wäre es aber nicht so gegangen, wie es gegangen ist.

So muesste man in Deutschland vor dem ueberstroemenden Gefuehl von Lob und Bewunderung sich hueten. Man hat keinen Dank davon. Schon heute beklagen sich in den verschiedenen militaerischen Zweigen beschaeftigte Deutsche über tuerkische Anmassung. Bleibt man bei den Superlativen der Lobhudelei, so wird die Schwierigkeit des Verkehrs mit der Tuerkei wachsen und der Vorteil, den Deutschland aus diesem Verkehr ziehen will und muss, sich vermindern. "Es ist nichts so schwer zu tragen, als eine Reihe von guten Tagen." Dies gilt immer da, wo ohne Selbstkritik gleichsam über Nacht Glueck und Ehre vom Himmel regnen und das gesunde Urteil trueben.


v. Tyszka,

Zeitungskorrespondent.


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