1916-03-13-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 99/Bl. 144-147
Botschaftsjournal: 10-12/1916/3338
Erste Internetveröffentlichung: 2010 April
Edition: Deportationsbestimmungen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Vizekonsul in Alexandrette (Hoffmann-Völkersamb) an die Botschaft Konstantinopel

Bericht



BN. 152

Abschrift geht an das K. Konsulat Aleppo.


Alexandrette, den 13. März 1916

Seit einigen Wochen werden hier die Sachen - Waren, Hausrat und persönliche Gebrauchsgegenstände - die die hiesigen Armenier bei ihrer Verschickung in ihren Häusern, in Bankgewahrsam und vor allem auf Grund behördlicher Zusicherungen in der Kirche zurückgelassen haben, öffentlich versteigert.

Die Sachen erzielen natürlich bei der gegenwärtig ausserordentlich misslichen wirtschaftlichen Lage des Platzes nur lächerliche Schleuderpreise. Bemerkenswert ist, dass der christliche Bevölkerungsteil, dem man sonst besondere Sympathien für die Armenier, seine Konkurrenz, nicht nachsagen kann, den Versteigerungen geschlossen fern bleibt. Es kaufen nur Muhammedaner. Offenbar zielt auch diese unzeitgemässe Veräusserung mit oder gar in erster Linie darauf ab, die Muhammedaner auf Kosten der Opfer und ihrer Gläubiger zu bereichern.

Von den armenischen Grundstücken in der Stadt sind bereits eine Anzahl an muhammedanische Muhadschirs (Einwanderer) vergeben worden. Es ist dabei überraschend, was sich alles plötzlich als „Muhadschir“ entpuppt. Zum Teil sind Elemente in armenischen Besitz eingewiesen worden, deren wirtschaftliche Unfruchtbarkeit durch einen solchen mühelosen Erwerb nur noch verstärkt werden wird. Für die wirtschaftliche Kraft des Platzes und somit auch des Landes bedeutet der Tausch daher unbestreitbar eine Schwächung.

Forderungen gegen die verschickten Armenier aus dem Alexandretter Wirtschaftsgebiet - Alexandrette, Dörtjol, Beilan, Arsus usw. - müssen in Antiochien (d.i. eine gute Tagesreise landeinwärts) oder (für Dörtjol) Osmanije (1 1/2 Tagesreisen) angemeldet werden. Die hiesigen Gläubiger müssen sich, den gesetzlichen Bestimmungen gemäß, dort einen Vertreter annehmen, was in jetziger Zeit seine Schwierigkeiten hat. Abgesehen von der Umständlichkeit und Kostspieligkeit dieses Weges liegt es auf der Hand, dass den Liquidationskommissionen ein so ausgedehntes Gebiet zugewiesen worden ist (für das ganze Wilayet Aleppo bestehen meines Wissens drei Kommissionen), dass auch der rosigst sehende Optimist kein Ende der Liquidation und damit der Befriedigung der Gläubiger abzusehen sich vermisst. Es kann geradezu als charakteristisch für die Ernsthaftigkeit der Liquidation angesehen werden, dass Alexandrette, wo doch wenigstens eine Anzahl in Rechnungswesen und kaufmännischen Rechtsverhältnissen bewanderte und einwandfreie Persönlichkeiten zu finden sind, seine Forderungen gegen die verschickten Armenier in so primitiven Landstädtchen wie Antiochien und Osmanije geltend machen und durchfechten müssen.

Diese Organisationsfehler werden durch merkwürdige Arbeitsmethoden noch verschärft. Beispielsweise hat die Liquidationskommission in Antiochien der hiesigen Deutschen Palästinabank ein Dutzend Anmeldungseingaben zurückgeschickt, weil die - an sich richtigen - Stempelmarken mangelhaft aufgeklebt seien; dabei hatte die Bank das Aufkleben durch einen seit Jahren mit der Stempelung ihrer Urkunden befassten Angestellten besorgen lassen. Die hiesige Ottomanbank hat sogar ihre sämtlichen 50 Eingaben unter der gleichen Bemängelung zurückerhalten. Einige Dutzend von dem zuständigen Regierungsbeamten beglaubigte Abschriften wurden ebenfalls wegen Mängel in der Entwertung der Stempelmarken zurückgewiesen. Die Entwertung war von einem seit 20 Jahren in diesem Zweige tätigen Beamten vorgenommen worden. Dass es sich bei diesen Bemängelungen um bürokratische Spitzfindigkeiten handelt, beweist die Tatsache, dass gleichartige Eingaben und Beglaubigungen derselben Firma von der Liquidationskommission in Osmanije anstandslos angenommen worden sind. Bei dem ausgeprägten Hange türkischer Behörden zu bürokratischen Spitzfindigkeiten dürfte aber das angeführte Beispiel der Kommission in Antiochien eher die Regel als die Ausnahme bilden und somit diejenigen Recht behalten, die in dem ganzen Liquidationsverfahren eine grosse Farce sehen, bei der in der Hauptsache das Interesse der Kommissionsmitglieder an einem recht lange dauernden Bezug ihrer auf Kosten der Masse gehenden hohen Bezüge bestimmend sei.


Der Verweser des Kaiserlichen Konsulats
Hoffmann



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