1915-09-04-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14087
Zentraljournal: 1915-A-26474
Botschaftsjournal: A53a/1915/5118
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 09/10/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 549
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/03/2012


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Hohenlohe-Langenburg) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



No. 549

Pera, den 4. September 1915

3 Anlagen

Talaat Bey übergab mir am 2. d.M. die in Abschrift beigefügte deutsche Uebersetzung von verschiedenen telegraphischen Befehlen, die er in Sachen der Armenierverfolgungen an die in Betracht kommenden Provinzialbehörden gerichtet hat. Er wollte hiermit den Beweis liefern, daß die Zentralregierung ernstlich bemüht ist, den im Innern vorgekommenen Ausschreitungen gegen die Armenier ein Ende zu machen und für die Verpflegung der Ausgewiesenen auf dem Transporte Sorge zu tragen. Mit Bezug hierauf hatte Talaat Bey einige Tage vorher mir gegenüber die Äußerung getan: la question arménienne n'existe plus.

Die erste und die dritte Depesche tragen kein Datum; erstere dürfte am 31. August abgegangen sein.

Indem ich mir weitere Berichterstattung vorbehalte, darf ich bemerken, daß nach einem Telegramm des Kaiserlichen Konsulats zu Trapezunt, dort noch in den letzten Tagen des August eine Anzahl bisher verschonter Armenier (darunter Beamte der Ottomanbank, der Regie und Frauen) Nachts abgeschoben wurden und in der Nähe der Stadt umgebracht sein sollen. Ebenso wird vom hiesigen Armenisch-Katholischen Patriarchat auf Grund der Aussagen von Reisenden berichtet, daß die Armenier von Angora (hauptsächlich Katholiken), darunter der katholische Erzbischof mit seinem Klerus und mehreren Ordensschwestern am 30. August von Angora abgeschoben und in einiger Entfernung sämtlich getötet worden seien.

Mit Rücksicht auf diese letzteren Vorfälle dürfte es sich empfehlen, von einer Mitteilung der Telegramme an die Presse vorläufig abzusehen.


Hohenlohe.
[Notiz Göppert 2. 9.]

Armenierfrage


Talaat Bey hat S. D. heut die anliegenden Befehle übergeben. Sobald die Kriegslage es gestattet, will er sich in die Provinz begeben, um die gewissenhafte Befolgung der Befehle zu überwachen. S. D. wünscht Mitteilung der Befehle an Mnsig. Dolci u. den a. kathol. Bischof

Anlage 1

I An die Provinzialbehörden von:

Hudawendigiar, Angora, Konia, Ismit, Adana, Marasch, Urfa, Aleppo, Zor, Sivas, Kutahia, Karassi, Nigde, Mamuretil-Aziz, Diarbekir, Karahissar, Kaissari, Erserum:

Da die Kaiserliche Regierung durch die Versetzung der Armenier aus ihren Wohnstätten in die im voraus bestimmten Zonen das alleinige Ziel verfolgt, die regierungsfeindliche Tätigkeit und Unternehmung dieser Nationalität zu verhindern, sowie dieselbe ausser Stand zu setzen ihren nationalistischen Bestrebungen, bezüglich der Schaffung eines armenischen Staates, nachzujagen, nicht aber deren Vernichtung, so wurde endgültig beschlossen, alle Massregeln zur Beschützung und Beköstigung der Kolonnen während der Abführung zu treffen und alle übrigen Armenier, mit Ausnahme derjenigen, welche bereits aus ihren Wohnorten entfernt sind und ihre weitere Versetzung erwarten, sowie, gemäss der bereits erfolgten Mitteilung, die Soldatenfamilien, eine den Bedürfnissen entsprechende Zahl von Handwerkern und die Armenier von der katholischen und protestantischen Gemeinde künftighin von ihren Wohnorten nicht auszuweisen

Es wird hierdurch erklärt, dass gegen alle Personen, welche die Kolonnen angreifen, Räubereien begehen und durch ihre bestialischen Triebe Schandtaten verüben würden, samt ihren Mithelfern, sowie gegen alle schuldigen Beamten und Gendarmen zu ihrer strengen Bestrafung unverzüglich das gerichtliche Verfahren eingeleitet werden wird. Diejenigen Beamten, welche sich schuldig gemacht haben, müssen genannt werden. Bei Wiederholung solcher Missetaten werden die Vilajet und Livabehörden dafür verantwortlich gemacht.


Anlage 2

II Chiffrierte Depesche vom 16. August 1331 (29. August 1915).

An das Vilajet Konia.

Für die in Eregli befindlichen armenischen Auswanderer müssen Brot und Oliven besorgt und verteilt, sowie Zwieback bereitgestellt werden. Die erforderlichen Spesen bekanntgeben, damit die nötige Summe von hier aus abgeschickt wird.


Anlage 3

III Chiffrierte Depesche.

An die Provinzialbehörden zu:

Ismit, Eskischehir, Kutahia, Karahissar, Hudavendigiar, Konia, Angora, Adana, Aleppo

Hierdurch sind Sie beauftragt für die Armenier, welche sich bereits in den Haltestellen befinden und für solche, die von den weiteren Haltestellen hingeführt werden sollen, auf drei oder vier Tage Brot zu besorgen und alle Massregeln zu treffen, damit sie auf dem Wege nicht Not leiden.


[Aufzeichnung Mordtmann 4. 9. (abgeschlossen am 7. 9.)]

Zu No. 5118 in A 53 a (Telegramme der Pforte in der Armenierfrage)

A) Auf dem Ministerium des Innern erklärte mir heute Aziz bej, Vertreter des Djanbulad bej folgendes:

1) das erste Telegramm ist tatsächlich nur an die an der Spitze genannten Provinzialregierungen abgegangen, also z.B. nicht nach Trapezunt, außerdem fehlen Katamuni, Bitlis Van, wo nach Bergfeld's Telegramm 27. v.Mts. (No. 4996) Ende August Metzeleien stattgefunden haben sollen. Von letzteren Vorfällen war dem Aziz bej Nichts bekannt;

2) dagegen wußte derselbe, daß bei der Deportierung der Armenier aus Angora ein "Zusammenstoß" stattgefunden hat; Einzelheiten fehlen;

3) wenn in dem Telegramme von dem Rücktransporte der bereits abgeschobenen Katholiken und Protestanten nichts gesagt wird, so ist der Grund der, daß man diese nur teilweise will zurückgehen lassen, um sie nicht wieder in größeren Mengen in einzelnen Ortschaften anzusammeln;

B) Einfache Abschriften der fraglichen Telegramme habe ich heute 4. Sept. mit kurzem Anschreiben "im Auftrage Seiner Durchlaucht" dem Msgr. Dolci und dem Msgr. Naslian vom Armenisch kath. Patriarchat für Msgr. Terzian übergeben.

C) Der hiesige Greg. Armenische Patriarch bittet dringend, daß wir uns wenn tunlich, für folgende Punkte verwenden:

1. daß die aus den westlichen Provinzen abgeschobenen Armenier nicht über Bozanti hinaus verschickt werden;

2. daß die Angehörigen von solchen Armeniern, die zum Militär eingezogen sind, von der Verschickung befreit werden;

3. daß die Hilfsaktion der geistlichen Behörden und anderer nichtamtlicher Personen und Vereine von der Regierung gestattet werde;

4. daß die Korrespondenz zwischen den Verschickten und ihren anderwärts verbliebenen Angehörigen gestattet werde.


[Notiz Neurath 7. 9.]

Die Punkte können gelegentlich zur Sprache gebracht werden; eine allzu häufige u. detaillierte Intervention schwächt die Wirkung.


[Telegramm an Konsulat Erzerum (No. 36), Konsulat Adana (No. 37) und Konsulat Aleppo (No. 64)]

Pforte hat der Botschaft den Wortlaut der telegraphischen Instruktionen mitgeteilt die (angeblich am 29. August) an verschiedene Provinzialregierungen, darunter auch dorthin, in Sachen der Armenierverfolgungen ergangen sind. Ihr wesentlicher Inhalt ist: die Massenaussiedlungen bezwecken nicht die Vernichtung der Armenier sondern nur die Unschädlichmachung gewisser regierungsfeindlicher Elemente; die Deportierten sind während des Transportes zu schützen und zu ernähren; die noch nicht Deportierten, ferner wie bereits früher angeordnet die Soldatenfamilien, die Katholiken und Protestanten sowie Handwerker soweit unentbehrlich sind nicht mehr zu verschicken; Ausschreitungen gegen die Deportierten werden gerichtlich geahndet und im Wiederholungsfalle die höheren Behörden zur Rechenschaft gezogen.


[Notiz Mordtmann]

NB. Trapezunt ist erledigt durch Vfg. auf 4996.

Der Vali von Adana hat sich auch in diesem Falle nicht um die offiziellen Befehle der Pforte gekümmert, vgl. auch noch 7216 in A 12 Bl. 142.



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