1915-04-26-DE-014
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/168
Botschaftsjournal: A53a/1915/2744
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Das Konsulat Adana an die Botschaft Konstantinopel

Bericht




Adana, den 26. April 1915.

Anliegender Bericht des armenischen Katholikos nebst deutscher Übersetzung wird gemäß Telegramm der Botschaft vom 25. d.M. der Kaiserlichen Botschaftskanzlei ergebenst übersandt.

[Notiz Mordtmann 8.5.]


Anlage persönlich dem Patriarchen übergeben 7. d.Mts. Hierzu eine Aufzeichnung.

Anlage

Adana, den 8./21. April 1915.

An den Hochwürdigen Erzbischof Zaven, armenischen Patriarchen in Konstantinopel.

Mit meinem Schreiben vom 7. d.M. habe ich Ihnen über die Vorgänge in Zeitun schon kurze Mitteilung gemacht und will hiermit ausführlich darüber berichten mit der Gewissheit, dass dies Schreiben in Ihre Hände gelangen wird.

Zu seiner Zeit habe ich Ihnen schon über die Grausamkeiten und die unmenschlichen Taten des Müttessarifs von Marasch berichtet. Es dürfte Ihnen schon bekannt sein, wie er, anstatt die Schuldigen zu strafen, die Unschuldigen, ja sogar die Frauen und Kinder misshandelt und manche davon Repressalien und Schändungen unterworfen hat. Manche Frauen haben infolge der Misshandlungen Fehlgeburten und einige Gefangene ganze Körperteile verloren gehabt. Regierungsbeamten verhöhnen unseren Glauben und beschimpfen unsere Ehre. Es soll auch Ihnen schon bekannt sein, wie der Müttessarif nicht nur die ausgelieferten 25 Deserteure sondern auch mehrere unschuldige aus dem friedliebenden Volke nach Marasch bringen liess und alle Misshandlungen unterwarf. Dies alles ertrug damals das von der Regierung als aufständisch verrufene Volk, um seine Treue gegen das Reich nicht aufzugeben.

Die unerhörten Greueltaten und Misshandlungen des Kaimakams von Zeitun, Hüssein Hüssni, des Feldwebels Suleiman Bey, des Müfti und der Regierungsbeamten, die nur das Ansehen der Regierung in Misskredit brachten, hatten nur den Zweck, das friedliche Volk zum Äussersten zu treiben, um der Regierung Anlass zur Vernichtung zu bieten. Trotz alledem erträgt das Volk alles und versucht hie und da Klagerufe vernehmen zu lassen. Es bittet umsonst um die Entsendung von loyalen unparteiischen Inspektoren. Niemand schenkt dem armen Volk Gehör und dieser Zustand dauert fort.

Die Frauen versuchten ihre herzzerreissende Lage durch ein Telegramm der Walidé Sultan (der türkischen Kaiserin) zu schildern, um Gnade zu erhalten. Weil dies ihnen seitens der Regierung verweigert wurde, glaubten sie, dass der Gemeindevorsteher die Schuld daran trüge und demonstrierten.

Einige Deserteure, die sich ins Gebirge geflüchtet hatten, versuchten die Bevölkerung zum gemeinsamen Widerstande zu bewegen. Es wurde ihnen aber von dem friedlichen Volke keine Folge geleistet.

Im Februar beabsichtigte die Regierung die in der Stadt Zeitun lagernden Waffen und Munition nach Marasch zu transportieren. Die Deserteure vernahmen dies Vorhaben und wollten alles in Besitz nehmen. Aber durch das missbilligende Auftreten der armenischen Notabeln gelang es ihnen nicht und ihr Vorhaben scheiterte. Am 15. Februar wurde diese Absicht der Deserteure festgestellt und am nächsten Tag nach einer einstimmigen Beschlussfassung der Regierung durch den Gemeindevorsteher und den Bürgermeister amtlich mitgeteilt. Die Regierung hatte schon durch die Geheimpolizei von allen Vorgängen Kenntnis gewonnen.

Inzwischen flüchteten sich einige ins Weite, die den barbarischen Greueltaten Haidar Beys ausgesetzt und Augenzeuge des grässlichen Todes des gefangengenommenen Nazareth Nor Aschkharian gewesen waren. Sechzehn Gendarmen, die für die Festnahme der Deserteure geschickt waren, kehrten zurück, die dann in den umliegenden Ortschaften neue Greueltaten verübten. Die Gendarmen begegneten während der Rückfahrt den Deserteuren. Nach dem Zusammenstosse flüchteten sich die Gendarmen nach Verlust von 6 - 8 Mann nach Zeitun zurück.

Die Regierung und die Gendarmerie erzürnt über den Misserfolg, verlangten von den Vorgesetzten der Gemeinde die Auslieferung der Deserteure. Die Vorstehenden gaben zu verstehen, dass die Forderung nicht durchführbar sei, nachdem die Bevölkerung ihre Waffen der Regierung abgeliefert habe und machtlos sei gegen die bewaffneten Deserteure.

Am 5. März versammelten sich die Notabeln um die verheerenden Folgen dieser Spannung zu vermeiden. Die Deserteure drangen in die Stadt ein, um der Gendarmerie und der Regierung Herr zu werden. Während dieses Zusammenstosses, wo die Armenier der Regierung Beistand leisteten, haben die Deserteure einen Verwundeten, aber die Bürger und die Gendarmen 9 Tote gehabt.

Der Müttessarif von Marasch, und der Gendarmerie-Kommandant eilten mit zwei Kompagnien nach Zeitun und forderten von der Stadt die Auslieferung der von den getöteten Gendarmen eroberten Gewehre. Nach einer Beratung begaben sich der katholische Gemeindevorsteher und der Stadtarzt nach dem Kloster, wohin die Deserteure geflüchtet hatten, um sie zur Ablieferung der Gewehre zu überreden, mit dem Versprechen des Kaimakams, ihre Begnadigung zu erwirken.

Anstatt dieses Versprechen zu halten und Friede herbeizuführen, machte der Kaimakam die folgende Deklaration: "Dies ist das 35ste Mal, dass die Bewohner von Zeitun sich empören. Die bisherigen Unruhen waren nicht so gefährlich wie jetzt. Die früheren waren wie Familienstreitigkeiten. Jetzt ist das Land von allen Seiten bedroht und jeder muss der Regierung beistehen." Diese Forderung ist an und für sich gerecht, aber sie gilt nicht für die Bewohner von Zeitun, weil diese sich niemals empört haben. Möglich ist, dass sie sich gegen die Irregulären gewehrt und die Überfälle derselben abgewiesen haben. Auch damals hat die Regierung, unter dem Vorwand, den Aufstand niederzuringen, Truppen entsandt. Auch diesmal hat die ungerechte Handlung der böswilligen Regierungsbeamten die jetzige traurige Situation herbeigeführt.

Der Mütessarif von Marasch und der Kaimakam von Zeitun haben nicht einmal ihr Ehrenwort gehalten, welches sie für die Schonung des Volkes gegeben hatten. In 8 - 10 Tagen hat man mit einer militärischen Kraft von 4000 Mann und einem rücksichtslosen Kommandanten die Bewohner einschüchtern wollen. An demselben Tage begaben sich auch einige Notabeln aus Marasch nach Zeitun, um die Deserteure zur Ergebenheit zu überreden. Nach einer gemeinsamen Beratung wandten sich die Armenier an den Kommandanten mit dem Ersuchen, die Deserteure, weil sie sich nicht ergeben wollten, durch Gewalt niederzuringen. Der Kommandant verlangte wieder von dem Volke die bedingungslose Auslieferung und Übergabe der Deserteure.

Die Notabeln aus Marasch kehrten heim. Die Regierung liess dann die Vorräte aus der Stadt in die Kaserne schaffen. Sobald die Nachricht von der Wegschaffung von Regierungspapieren u. Büchern in der Stadt zirkulierte, schloss man die Schulen, und die Panik wurde grösser. Inzwischen flüchteten die Deserteure in das naheliegende Kloster, wo sie vom Militär belagert wurden. Am 12. März beginnt das Bombardement mittels 2 Kanonen. Trotz zahlreicher Schüsse hat man auf diese Weise dem Kloster keinen Schaden zufügen können. Nachdem die Regierung sich überzeugt hatte, dass das Volk sich ruhig verhalte, verengte sie den Umzingelungsgürtel. Die Deserteure erwiderten dann das Feuer und die Zahl der gefallenen Soldaten war beträchtlich. Der Oberst (Bimbachi) näherte sich dem Klosterthor und in dem Moment, wo die Soldaten das Kloster niederbrennen wollten, fiel der Oberst nebst einigen Soldaten. Bis Abend dauerte der Kampf.

An demselben Tage, ersuchten die Stadtbewohner die Regierung, dass sie, um den Deserteuren keine Möglichkeit zur Flucht zu geben, die Umzingelung nicht aufgeben solle; sonst würden sie wieder den Bürgern und dem Militär lästig werden. Trotz des gegebenen Versprechens hob die Regierung die Belagerung des Klosters auf, und gab den Deserteuren die Gelegenheit, zu entfliehen. Es ist uns nicht begreiflich, wie es 15 - 20 Deserteuren gelang, den Belagerungsgürtel von 4000 zu durchbrechen. Wir haben den Verdacht, dass die Regierung absichtlich einige Deserteure frei laufen lässt, damit sie die friedliche Bevölkerung als Mitschuldige der Deserteure angeben und die Verbannungsaktion (expatriation) weiter fortsetzen könne.

Nach der Flucht der Deserteure setzte man die Regierung davon in Kenntnis mit dem Ersuchen des Klosters zu schonen, welches Eigentum des ganzen armenischen Volkes sei und wo viele Kostbarkeiten und Heiligtümer aufbewahrt seien. Der Kaimakam, der Müfti und andere Beamte versprachen es, aber das Militär beachtete es nicht und setzte das Kloster in Brand. Trotz der Bitte des Gemeindevorstehers wurden sogar die naheliegenden Wohnstätten der Bauern nicht geschont und wurden niedergebrannt. Angesichts dieser Vernichtung weinte und klagte das Volk um sein Schicksal und sogar die Steine gaben den Widerhall.

Den nächsten Tag kam ein Hauptmann aus der Kaserne in die Stadt und begann die Untersuchung, um die verwundeten Deserteure und Waffen zu finden. Er fand einige wertlose Waffen und beim Tschakrian Betros, dessen Sohn ebenfalls desertiert war, ein blutiges Hemd. Er nahm Betros und andere Personen als verdächtig fest und führte sie ins Gefängnis.

Am 25. März wurden etwa 30 Notabeln nach der Kaserne gerufen und dort vom Kaimakam Churschid Pascha zurückbehalten. Ohne ihnen Zeit zu geben, um die allernotwendigsten Reisevorbereitungen zu treffen, schickte man sie samt Frauen u. Kindern zunächst nach Marasch. Dort wurden sie in einen Han interniert, wo die herzzerreissenden Klagerufe der Weiber und der Kinder zum Himmel stiegen.

Auf dem Weitertransport kamen die Armen nach dreitägiger Fahrt in Osmanie an, von wo aus sie mit vielen anderen Gefangenen nach Adana transportiert wurden. Man hat sie von hier sofort nach Tarsus geschickt.

Alle diese Verbannten sind treue Untertanen und haben der Regierung in jeder Hinsicht Beistand geleistet. Die Regierung sollte eigentlich diese treuen Untertanen auszeichnen und anstatt dessen gab sie ihnen die härteste Strafe, die Verbannung. Wohin werden diese verschickt? Wovon sollen sie leben? Was wird aus dem Hab und Gut der Verbannten? Was wird aus den Daheimgebliebenen? Wird man auch diese so herdenweise in alle Richtungen der Erde verschicken?

Auch ich habe als Katholikos den Bewohnern von Zeitun immer den Rat gegeben, dem osmanischen Reich treu zu bleiben und den staatsbürgerlichen Pflichten nachzukommen. Sie haben mir Gehorsam gezeigt und jetzt müssen sie mittellos und nackt herumirren! Das ist der Lohn meiner aufrichtigen Bemühungen und meine Strafe ist noch schwerer. Ich bekomme immer neue Gewissensbisse. Gern möchte ich sterben weil ich nur im Tode so viele Schmerzen vergessen kann.

Ich kann mich teilweise nur dadurch trösten dass Dschemal Pascha an welchen ich telegraphiert hatte, sein Wort gehalten hat und keine Metzelei stattfand.

Nach dem Brand des Klosters ergaben sich ohne Widerstand 190 Deserteure. Diese wurden greulichen Misshandlungen ausgesetzt, gebunden wie Tiere und unter Knutenhieben nach Damaskus geschickt. Einer von ihnen fand unterwegs den Tod. Was aus den anderen werden wird, weiss ich nicht.

Soviel habe ich bis jetzt erfahren und Ihnen berichten können. Gott soll uns vor den kommenden Übeln schützen! Ich bin jetzt moralisch und physisch ganz machtlos.

Meine 12jährige Dienstzeit ist mir eine ewige Zeit des Kummers und der Trauer geworden. Wäre ich kein Christ, würde ich dem Tag fluchen, wo ich zur Welt kam, oder vielmehr, wo ich zu diesem schweren verantwortungsvollen Amt berufen wurde!


[Sahak]

Katholikos von Cilicien.


Für richtige Übersetzung Simon Agabalian.

[Aufzeichnung Mordtmann 7. 5.]


Der Patriarch teilte mir heute noch folgende Einzelheiten mit:

1) Bombenfunde in Kaissarié:

Es handelt sich vielmehr um Everek bei Kaissarié. Am 29. Januar a. St. fand in dem Hause eines aus Amerika zugewanderten Armeniers eine Explosion statt. Die herbeigeeilten Nachbarn fanden den Mann schwer verwundet durch die Explosion einer Granate vor; er konnte ihnen noch bedeuten, daß drei andere ähnliche Bomben vorhanden waren, die sie dann auf seine Anweisung versteckten. Die Polizei bekam Wind von der Sache und fand außer diesen drei Bomben noch 24 noch nicht geladene Bomben unter dem Ziegeldache der armenischen Kirche, ferner einige 62 Gewehre in Everek und Umgebung.

2. in Everek war damals eine Deutsche namens Honegger als "Missionarin" tätig; sie wollte nach diesen Ereignissen abreisen, wurde aber von den Behörden gehindert;

3. von den von hier ausgewiesenen Armeniern sind 125 in Tchangri (Kattemuni), der Rest in Ajasek bei Angora, letztere anscheinend in Haft;

4) von den Armeniern aus Zeitun sind 800 in Konia angekommen.



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