1914-06-19-DK-002
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Quelle: DK/RA-UM/UM, 2-0355, ”Konstantinopel/Istanbul, diplomatisk repræsentation”, ”Noter og indberetninger om den politiske udvikling, 1914-1922”, ”Verdenskrigen. Rapporter fra Smyrna. Nov. 1914-marts 1916”
Botschaftsjournal: 1914/184
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 72/No. 5
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 07/06/2013


Der Konsul in Smyrna (Alfred van der Zee) an den Gesandten in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel)

Bericht


No. 72 / No. 5 Smyrna, den 19. Juni 1914.

Sir,

Ich habe die Ehre, meinen Brief vom 15. d.M. zu bestätigen und Euer Exzellenz folgendes zu berichten:

Vor etwa drei Monaten unternahm der Generalgouverneur von Smyrna [Rahmi Bey], meines Wissens nach auf Anweisung des Ministeriums, eine Inspektionsreise zu den kleinen Städten der Küste dieser Provinz. Anscheinend gab er während dieser offiziellen Tournee den Präfekten halboffizielle Anweisungen, die einheimische griechische Bevölkerung zu zwingen, diese Städte zu verlassen. Ein Ausweisungsbefehl wurde nicht erteilt, aber die türkischen Beamten sollten mit den ihnen bestens bekannten krummen und schikanösen Maßnahmen vorgehen.

So weit ich weiß, wurden die gleichen Anweisungen auch den Gouverneuren der anderen am Meer gelegenen Provinzen erteilt.

Der Grund für diese Maßnahme war, nehme ich an, daß man glaubte, so lange die Griechen im Besitz von Chios & Mytilene wären, würde die Anwesenheit einer ethnisch gleichen Bevölkerung an der gegenüberliegenden Küste eine Gefahrenquelle für das Reich darstellen. Auf Grund dieser Anweisungen wurde kurz darauf ein harter Boykott verkündet und diverses Maßnahmen wurden ergriffen, um diese Bevölkerung zu zwingen, Herd und Heim aufzugeben.

Da die griechischen Rajahs jedoch sehr an ihren Feldern hingen, beschloss man härter vorzugehen.

Die Einwanderung von thrakischen & makedonischen Flüchtlingen gab den örtlichen Behörden die Möglichkeit zu noch schlimmeren Maßnahmen.

Um die Flüchtlinge unterzubringen wurde angeordnet, ihnen in den Wohnungen der griechischer Rajahs einen von drei Räumen zur Verfügung zu stellen; die Ortsbehörden sollten die Durchführung dieses Befehls überwachen.

Die Folgen sind leicht zu erraten. Da sie mit ihren Gästen nicht zusammenleben wollten, begannen die griechischen Rajahs auszuwandern, verkauften ihren Besitz so gut es ging und sahen sich nach neuen Feldern um, auf denen sie arbeiten konnten. Aber das ging nur langsam voran, denn in einem Land, in dem die Bauern nur wenig Geld haben, war es natürlich schwierig, innerhalb von Tagen Eigentum zu erwerben.

Die Ortsbehörden beschlossen sodann, die Sache zu beschleunigen, und das Hauptquartier erließ noch strengere Befehle.

Als direkte Folge davon brachen Unruhen in Adramyt aus, das an der Küste direkt gegenüber dem nördlichen Teil von Mytilene liegt.

Nach anfänglich offenen Hinweisen, es wäre für sie ratsam, den Ort zu verlassen, kamen sodann Drohungen, sie würden den Tod erleiden, was schließlich darin gipfelte, daß Städtern aufgelauert wurde und Dorfbewohnern ermordet wurden, als die von ihren Feldern zurückkehrten.

Es herrschte regelrechter Terror, und die von panischem Schrecken ergriffenen Griechen flüchteten so schnell sie konnten auf die Nachbarinsel Mytilene.

Die Bewegung dehnte sich schnell auf die Orte Kemer, Kilissekeuy, Kinick, Pergamos und Soma aus. Bewaffnete Banden von Bashibozuks [Freischärlern] griffen die dort wohnenden Leute an, trieben ihr Vieh von den Bauernhöfen und nahmen alles gewaltsam in Besitz.

Die Einzelheiten dessen, was dort stattfand, sind grauenhaft. Frauen wurden entehrt, Mädchen vergewaltigt, einige starben an den erlittenen Misshandlungen, Kinder wurden an der Brust ihrer Mütter erschossen oder zusammen mit ihnen niedergemacht.

Nicht zufrieden damit, die Rajahs zu vertreiben, vergriffen sich diese blutrünstigen Abgesandten einer sogenannten „verfassungsgemäßen Regierung" sodann am Eigentum der Fremden, vertrieben deren Angestellte, stahlen das Vieh und plünderten die Bauernhöfe aus. Auf Beschwerden antworteten die Behörden: „Die Ausländer sollen verschwinden und sich Bauernhöfe in ihrem eigenen Land kaufen.“

Von Pergamos aus zogen die Banden nach Dikili, vertrieben die Leute dort und plünderten die Stadt. Dann teilten sie sich auf, einige Banden gingen in Richtung Menemen und die anderen nach Phocea.

Im Bezirk Menemen leerten sich teilweise die Dörfer von Ali-Agha und Gerenkieuy, nachdem sie geplündert worden und die verschreckten Einwohner in alle Richtungen geflohen waren.

In Serekieuy, einem Dorf im selben Bezirk, entschlossen sich die Bewohner zum Widerstand und es fand ein gewaltiger Kampf statt zwischen halb neun abends und ein Uhr morgens, bis den Dorfbewohnern die Munition ausging. Sie gingen zum Nahkampf über, in dem die meisten der Verteidiger, die weit in der Minderheit waren, nach heldenhaftem Kampf um ihr Leben und die Ehre ihrer Frauen fielen.

Die wenigen entkommenen Überlebenden suchten Zuflucht in Menemen, das die Banden nunmehr bedrohten, aber da dies eine Stadt mit ca. 20000 Einwohnern ist, trauten sie sich nicht, direkt anzugreifen, sondern gaben sich damit zufrieden, auf jene Einwohner zu schießen, die in der Nachbarschaft herumirrten.

Die Einwohner entschieden sich daraufhin die Stadt zu verlassen, doch zuvor und vielleicht gegen alle Hoffnung beschlossen sie, ihre Frauen und Töchter wegzuschicken.

Am 13. d.Mts kamen etwa 700 Frauen und 300 bis 400 Kinder zum Bahnhof mit der Absicht, den Zug nach Smyrna zu nehmen, aber auf Befehl der Regierung wurden ihnen keine Karten verkauft, und der Zug fuhr vorbei ohne anzuhalten.

Die Szenen, die folgten, sind unbeschreiblich, die Tränen und Schreie der Frauen, das Weinen der Kinder; die Versuche der Männer, den Zug in ihre Gewalt zu bekommen, alles nützte nichts. Die hinzugekommene Gendarmerie trieb sie zurück und in großer Verzweiflung zogen sie erneut in Richtung ihrer Heimat, die sie verlassen hatten. Einige Meilen weiter, im Dorf Ouloujak [Ulucak], trieben die Bashibozuks alles Vieh der Griechen weg und befahlen den Einwohnern unter Todesdrohungen, den Ort zu verlassen. Die unglückseligen Dorfbewohner waren nur zu bereit, diesen willkürlichen Befehlen nachzukommen, aber wieder war es auf Anordnung des Valis dem Stationsvorsteher verboten, Tickets auszustellen und abermals fuhren die Züge ohne Stop durch den Bahnhof.

Aus Furcht zurückzukehren, lagerten sie zwei Tage und Nächte in der Nachbarschaft des Bahnhofs, und baten die Passagiere der durchfahrenden Züge vergeblich, ihnen Hilfe zu schicken.

Ich werde mir erlauben, in einigen Tagen meinen Bericht fortzusetzen, sobald ich einige zuverlässige Einzelheiten aus den verhängnisvollen Lagern erhalten habe.

Bis dahin verbleibe ich Euer Exzellenz gehorsamer Diener.


Alfred van der Zee



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