1915-07-28-DE-015
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/170
Botschaftsjournal: A53a/1915/4674
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J.No. 552/B.No. 21
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Verweser in Erzerum (Scheubner-Richter) an den Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim)

Bericht



J.No. 552 / B.No. 21
Erserum, den 28. Juli 1915

Geheim-Bericht

Wie ich Euerer Excellenz bereits in meinem Bericht No. 20 vom 9. ds. [des Monats] zu unterbreiten die Ehre hatte, machte sich hier bedauerlicherweise in letzter Zeit der Einfluss einer Nebenregierung bemerkbar.

Abgesehen davon, hat nun auch der Oberkommandierende der III. Armee, Mahmud Kiamel Pascha, der sein Hauptquartier hierher verlegt hat, in scharfer Weise in die Regierung der Vilajets eingegriffen.

Bisher ist in Erserum, im Gegensatz zu den anderen Staedten, einigermassen mild gegen die Ausgewiesenen vorgegangen worden. So stellte, z.B. die Regierung vielen mittellosen Familien Ochsenkarren bis Ersindjan und Siwas zur Verfuegung. Der Wali erlaubte ferner, dass Kranke, Familien ohne maennliche Mitglieder, alleinstehende Frauen in Erserum bleiben duerfen.

Diesem humanen Vorgehen für das auch ich eingetreten bin, wurde ploetzlich durch irgendwelche Komiteeeinfluesse ein Ende bereitet. Nunmehr hat auch noch Mahmud Kiamel Pascha die sofortige und ruecksichtslose Ausweisung aller Armenier angeordnet.

Den noch in der Stadt gebliebenen Frauen und Kranken wurden die bereits erteilten Aufenthaltsscheine wieder abgenommen und sie auf die Landstrasse getrieben - einem sichern Tode entgegen.

Es geschah das, waehrend der Wali und ich in Ersindjan waren.

Mir scheint hierbei, dass der hiesige Wali, Tahsim Bey, der in der Behandlung der Armenierfrage eine etwas humanere Auffassung wie die andern haben duerfte, gegen die schroffe Richtung machtlos ist.

Von den Anhaengern letzterer wird uebrigens unumwunden zugegeben, dass das Endziel ihres Vorgehens gegen die Armenier die gaenzliche Ausrottung derselben in der Tuerkei ist. Nach dem Kriege werden wir "keine Armenier mehr in der Türkei haben" ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden Persoenlichkeit.

Soweit sich dieses Ziel nicht durch die verschiedenen Massakers erreichen lässt, hofft man, dass Entbehrungen der langen Wanderung bis Mesopotamien und das ungewohnte Klima dort ein Uebriges tun werden. Diese Loesung der Armenierfrage scheint den Anhaengern der schroffen Richtung, zu der fast alle Militär- und Regierungsbeamte gehoeren, eine ideale zu sein. Das tuerkische Volk selbst ist mit dieser Loesung der Armenierfrage keineswegs einverstanden und empfindet schon jetzt schwer die infolge der Vertreibung der Armenier ueber das Land hier hereinbrechenden wirtschaftlichen Not.


Scheubner-Richter


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