1915-04-20-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/168
Botschaftsjournal: A53a/1915/2445
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Die Deutsch-Armenische Gesellschaft an die Botschaft Konstantinopel

Schreiben



20. April 19151

Die Lage der Armenier in der Türkei nach den uns vom 25. März bis zum 10. April A.S. zugegangenen Nachrichten.

Wir beehren uns Ihnen als Ergänzung zu dem zweiten Ihnen bereits zugegangenen Berichte noch die folgenden Ereignisse und Vorfälle aus dem Inneren des Landes zu unterbreiten.

1. Bitlis: Anzeichen einer allgemeinen Gährung unter den Kurden dieser Gegend, sowie gegen die Regierung als auch gegen das Armenische Element, sind zu verzeichnen. So haben z.B. in Gargar Kämpfe zwischen Kurden und Armenier stattgefunden; eine für die Kurden willkommene Gelegenheit, sich dem Militärdienst zu entziehen und gegen die Armenier loszuziehen. Unter anderem sind die beiden Kurdenhäuptlinge Mussa und Kassim von der Front zurückberufen.

2. Erzerum: Die gerichtliche Untersuchung des Mordes Setrak Pastermadjian ist eingestellt worden; der türkische Mörder ist auf freien Fuss gesetzt worden, während der zweite Mörder überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen worden ist.

Aus zuverlässigen Quellen erfahren wir, dass das jungtürkische Komité in Erzerum einen Beschluss zu einem allgemeinen Armeniermassacer gefasst hätte, dass aber dieses Vorhaben von dem dortigen Vali Tahsin Bey und dem Platzkommandanten verhindert worden sei.

3. Musch: Neue Einzelheiten zu den schon in unserem zweiten Berichte erwähnten Ereignissen in dem Dorfe Zeronk. Dorthin sandte der Mütessarif von Musch einige hundert Kurden, die 240 Häuser ausplünderten, vierzig ganz in Brand stellten und nachdem auch das Hab und Gut der armenischen Deserteure des Dorfes beschlagnahmt wurde, wurden ohne weiteres achtzehn unschuldige Armenier niedergemetzelt.

Fernerhin ist der berüchtigte Verbrecher Mehmed Emin mit einigen Gendarmen mit dem Müdir des benachbarten Bezirkes in das Dorf Goms eingedrungen, um die Dorfbewohner zu zwingen, Lastträgerdienste zum Transport von Kriegsmunition zu verrichten; dabei wurden zahlreiche Armenier misshandelt und geprügelt; auch kam es dabei zu einem Zusammenstoss, bei welchem einige Gendarmen und Armenier ums Leben kamen. Wiederum war es der Mütessarif von Musch der unter dem Vorwande einer gerichtlichen Untersuchung über die Vorfälle drei hundert Baschibozuks ebendahin sandte, welche das ganze Dorf ausplünderten. Überhaupt wird erwähnter Mütessarif von Musch als fanatischer und erbitterter Feind der Armenier von diesen allgemein gefürchtet.

Fernerhin ist zu berichten, dass die Kurden das Kloster Arakeloz überfallen haben. Es wurden daraufhin ein Offizier mit 25 Gendarmen hingeschickt, die sich in den dem Kloster benachbarten Dörfern niederliessen, infolgedessen es zu blutigen Zusammenstössen zwischen Armeniern einerseits und Kurden und Türken andererseits gekommen wäre, wenn nicht der dortige Mütessarif mit dem armenischen Bischof des Klosters dazwischengetreten wären und so das Unglück vereitelt hätten.

Einige einflussreiche Mitglieder des jungktürkischen Komités von Musch setzen ihren ganzen Einfluss darauf ein, um die Mohamedaner der Gegend gegen die Armenier aufzuhetzen.

4. Van: Am 25. Februar d.J. kam es zu blutigen Zusammenstössen zwischen der kurdischen Miliz und den armenischen Bauern von Azen in Aldjeras, nachdem erstere in den Dörfern Ardzge und Godjer alle möglichen Schandtaten verrichtet hatten. Bei dem Zusammenstosse wurden im ganzen fünf Kurden und zwei Armenier getötet und zwei wurden schwer verwundet. Die telegraphische Meldung von allen solchen Fällen nach der Reichshauptstadt ist von der Zensur strengstens untersucht, selbst ein Telegramm des Bischofs an das hiesige Patriarchat, worin nichts anderes als um Versendung von Hilfsgeldern für die notleidende Bevölkerung gebeten wurde, ist einfach nicht zugelassen worden.

5. Sivas: In dem Bezirke von Schabinkarahissar haben türkische Banden die armenischen Dörfer Dürk und Mischagnoz ausgeplündert, die Dorfbewohner misshandelt und unter Prügeln zur Übergabe von Waffen gezwungen; ebenso erging es den Armeniern in Ulaseh bei Sivas.

Die christlichen Soldaten wurden hier entwaffnet. Fernerhin hat der Typhus in der Stadt Sivas grosse Dimensionen angenommen. Die Kranken wurden fast nur im armenischen Viertel untergebracht, so dass eine grosse Anzahl von Armenierhäusern in Krankenhäuser umgewandelt sind. (Die hiesige Centralregierung hat nicht allein über die wahre Ausdehnung dieser Krankheit im Innern zu berichten verboten, sondern es wurde der Presse strengstens untersagt, hygienische Massnahmen gegen die Krankheit vorzuschlagen.)

6. Marasch: Die bereits im zweiten Berichte erwähnten Unruhen von Zeitun haben auf Marasch übergegriffen. Hier haben die Gendarmen sogar zehn bis zwölfjährige Kinder verprügelt, um sie zum Verrat eines etwaigen Verstecks von Waffen zu zwingen.

Dem Bischof von Marasch wurde es streng untersagt, sich mit dem Bischof von Sis in Verbindung zu setzen, auch dann, wenn es sich um Armenunterstützung handeln sollte.

7. Kirchendiener: Wiewohl nach dem Militärgesetze die Diakosen der Kirchen vom Militärdienst befreit sind, so werden diese doch im Vilajet Musch eingezogen, eine Gesetzwidrigkeit, die allmählich auch in den benachbarten Bezirken üblich geworden ist.

8. An der Grenze: In Baschkalé, Achbak, Alaschgert und Bassen sind die armenischen Dörfer vollkommen vernichtet worden. Der eine Teil der Bevölkerung ist niedergemetzelt worden, der zweite Teil ist zerstreut und endlich eine grosse Anzahl hat sich auf russischen Boden geflüchtet.

Alle uns aus dem Inneren zulaufenden Meldungen von Seiten einiger Abgeordneter, Klöstern und Privatpersonen enthalten immer wieder die dringende Bitte um Hilfeleistung für das unterdrückte und hungernde Armenische Volk, das ja im Grunde nichts anderes wünscht als mit den Mohamedanern die freundlichsten Beziehungen anzuknüpfen und mit ihnen im Frieden zu leben.

Infolge der strengen Handhabe der Censur können viele Nachrichten uns nicht gelangen; deshalb geben nun die eben erwähnten Ereignisse und Vorfälle nur ein sehr schwaches und ganz unvollständiges Bild von der wahren Lage der Armenier im Inneren des Landes.

Die Deutsch-Armenische Gesellschaft macht es sich zur Pflicht, die Kaiserlich-Deutsche Botschaft auch diesmal auf die überaus traurigen Zustände des Landes aufmerksam zu machen und sie dringend zu bitten, doch ihren ganzen Einfluss auf die Leiter der jetzigen Regierung energisch geltend zu machen.


1Notiz Botschaft Konstantinopel: am 21. unter neuerer Adr. hier abgegeben. Das Schriftstück ist handschriftlich, eine Ergänzung zum Bericht von Liparit (Dok. 1915-04-02-DE-002) und hat als Überschrift: An die Kaiserlich-Deutsche Botschaft Von Seiten der Deutsch-Armenischen Gesellschaft.



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