1916-11-18-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R14094
Zentraljournal: 1916-A-31836
Botschaftsjournal: A53a/1916/3391
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/24/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: S. Nr. 108/Nr. 2087
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Generalkonsul in Smyrna (Spee) an den Geschäftsträger in Konstantinopel (Radowitz)

Bericht



S. Nr. 108 / Nr. 2087
Smyrna, den 18. November 1916.

Wie bereits bekannt haben am 8. November eine Reihe von Verhaftungen von Armeniern, in der folgenden Nacht auch von deren Familien stattgefunden, welche sämtlich am folgenden Morgen mit der Bahn nach dem Innern abgeschoben wurden, Abtransport der übrigen Armenier war angedroht.

Ueber den gesamten Zusammenhang gibt eine erschöpfende Uebersicht einer Rede die der Generalgouverneur den 12 hervorragendsten Mitgliedern der Armeniergemeinde in seinem Hause am Abend des 9. gehalten hat. Als ihr Inhalt ist mir folgendes vertraulich mitgeteilt worden.


Es haben eine Reihe von Beratungen der armenischen Gemeinde stattgefunden, bei der armenischen Kathedrale ist ein Kasten aufgehängt worden zum Empfang von Zetteln, auch ist an alle Armenier ein Aufruf ergangen, mit der Aufforderung, Leute die für die Gemeinde gefährlich werden könnten anonym anzugeben und diese Nennungen in den erwähnten Kasten zu legen. Der armenische Bischof der am Sonntag dies von der Kanzel verkündete hat auch bekannt gegeben, dass das Gerücht einer nordamerikanischen Intervention völlig falsch sei, wenn nicht bis Dienstag die erforderlichen Angaben vorhanden wären, müsste die ganze Gemeinde und er, der Bischof selbst, fort. Am Montag verkündete er, dass der Wali den Armeniern an sich gut gesinnt wäre und man müsse für alle Nachsicht, die sich im Verlauf der Sache ergeben, ausschliesslich der türkischen Regierung dankbar sein.

Am Dienstag den 14. November ist dem Wali eine Liste mit gegen 30 Namen übergeben worden und zwar mit dem Bemerken, dass die Gemeinde die Namen mit grösster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit geprüft hätte, dass sie die bezeichneten Personen als zweifelhafte betrachten müsste und diese Namen daher zwecks näherer Feststellung und weiterer Prüfung übergebe. Der Generalgouverneur wurde über diese Antwort ungehalten und bemerkte, entweder solle die Gemeinde erklären, dass sie die Leute als gefährlich ansehe oder sagen, dass sie dazu nicht im Stande sei, die Antwort, die vorgebracht sei, entspreche nicht seinen Anforderungen. Am gleichen Tag nachmittags ist die Liste mit allen Namen und mit dem Bemerken dem Wali übergeben worden, dass sich die Gemeinde nach gewissenhafter Prüfung genötigt sehe, der Wilajetregierung mitzuteilen, dass die angegebenen Personen zweifelhafte Leute seien und dass sie deshalb sich verpflichtet fühlen die Wilajetregierung zu benachrichtigen, dass die Genannten für die Gemeinde gefährlich werden könnten. Der Bischof soll dabei folgendes gesagt haben: Wenn Sie mich fragen, ob die genannten Leute Uebeltäter sind, kann ich eine bündige Erklärung darauf nicht geben. Die Vergangenheit der Leute ist zwar unrein aber ich muss hinzufügen, dass sie fast alle im letzten Jahr in grösster Ruhe gelebt haben.

Der Wali scheint mit diesem Ergebnis zufrieden gewesen zu sein. Mir gegenüber hat der Wali heute mitgeteilt, dass er zum ersten Mal erreicht hätte, dass die Armenier selbst die gefährlichen Personen bezeichneten, diese würden verschickt werden und die übrigen Unbeteiligten bereits Abgeschobenen würden zurückgebracht werden.

Vertraulich habe ich erfahren, dass die Zentralregierung den Weitertransport der am 9. Abgeschobenen befohlen hatte, dass aber der Generalgouverneur entgegengesetzte Ordre gegeben und es der Zentralregierung gemeldet hat.

Die Armenierfrage dürfte somit vorläufig für Smyrna erledigt sein.

Die Verhältnisse am Anfang dieses Monats waren deshalb besonders bedenklich für das deutsche Ansehen, weil die höchsten militärischen Kommandogewalten, die der 5. Armee und die des 17. Korps in deutschen Händen sind, und beide Inhaber sich bei der Abschiebung in Smyrna befanden. Sehr bald verbreitete sich die Nachricht, dass die Deutschen sich auf diese Weise der armenischen Handelskonkurrenz entledigen wollten. Die anderweitig bereits gemeldete Benachrichtigung des Generalgouverneurs durch den Armeeführer Marschall Liman von Sanders, dass derartige Verhaftungen und Abschiebungen die militärische Lage beeinflussten und das Militärkommando sie daher nicht dulden könnte, ist nicht in die Oeffentlichkeit gedrungen, aber die häufigen Zusammenkünfte an diesen Tagen haben doch in der Bevölkerung den festen Eindruck hervorgerufen, dass sich die Deutschen Kreise gegen das Vorgehen gegen die Armenier verwendet haben.


L. Spee
[Notiz Botschaft Konstantinopel 20.11.]

Urschriftlich Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst vorgelegt.



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