Ueber den gesamten Zusammenhang gibt eine erschöpfende Uebersicht einer Rede die der Generalgouverneur den 12 hervorragendsten Mitgliedern der Armeniergemeinde in seinem Hause am Abend des 9. gehalten hat. Als ihr Inhalt ist mir folgendes vertraulich mitgeteilt worden.
Schon vor 5 Monaten meldete die Polizei, es seien im Armenischen Friedhof Bomben und Revolver versteckt. Ich lehnte damals Oeffnung der Gräber ab, weil ich diese nicht gestört wünschte, solange Zweifel an der Richtigkeit der Meldung bestehen konnte. Sie wissen, dass die Bomben inzwischen zum Vorschein gekommen sind und dass weitere Untersuchungen dazu führten, dass man im Vorhof der armenischen Kirche in Karatasch Revolver in einem wasserdichten Behälter im Brunnen aufgehängt vorgefunden hat. Ich hatte Sie gebeten, die Schuldigen oder Urheber festzustellen um mich von dieser Last zu befreien und damit Sie in Sicherheit wären. Sie erklärten, das nicht zu können, es sei das Aufgabe der Polizei. Ich machte Sie darauf aufmerksam, dass die Polizei dazu nicht geeignet sei und wenn sie die Sache in die Hand nähme, müssten viele Unschuldige mitbüssen; Sie bestanden auf Ihrem Standpunkt, auf diese Weise sind wir zu dem Beginn von Abtransport gekommen, und es wird mir leid tun, die Sache bis zum Schlusse durchzuführen. Heute sind 250 Personen die fast alle Freunde oder Verwandte hier haben fortgebracht worden, sie machen mir neue Feinde die ich wegschicken muss, worauf noch grössere Zahl von Feinden entsteht, die ebenfalls wieder fortzubringen sind usw. bis selbst die angesehendsten wie die hier Anwesenden fortmüssen. Nicht allein hat mir die Zentralregierung immer wieder Vorwürfe gemacht wegen meiner Nachsicht gegen die Armenier, sondern auch ein nicht geringer Teil der Bewohner des Vilajets ist damit unzufrieden. Freilich schneide ich diesen Leuten stets das Wort ab, sodass sie nicht wagen auf ihren Plänen zu bestehen, aber ich habe mir damit viel Feinde gemacht, die sogar behaupten, die Armenier hätten sich durch Zahlung von 30 bis 40000 Pfund ihre Ruhe bei mir erkauft. Die Unrichtigkeit dieser Nachricht können Sie ja am besten beurteilen, aber ich sage Ihnen offen, dass ich jetzt der Sache überdrüssig geworden bin, ich kann mich nicht mit Einzelheiten befassen, zu ungeheuere Arbeit lastet jetzt auf mir und ich muss von Ihnen verlangen, dass Sie in Ihrer Gemeinde selbst reinen Tisch machen. Beraten Sie, mit gutem Willen werden Sie in der Lage sein, mir die in Smyrna noch befindlichen Schuldigen zu bezeichnen, sonst muss die Allgemeinheit eben darunter leiden. Sie kennen mich und wissen wie unglücklich ich bin beim Gedanken womöglich der Mörder der heute Verschickten zu sein, aber alle Schuld für die unschuldig Weggebrachten lastet auf Ihnen. Hätten Sie den guten Willen gezeigt, wäre es nicht zum Abtransport gekommen, wenn Sie sich jetzt die Mühe geben und die Schuldigen benennen, können Sie versichert sein, dass nicht nur keine weiteren Deportationen stattfinden sondern dass auch alle Unschuldigen heute Abgeschobenen auf meine Veranlassung zurückkehren werden.“
Am Dienstag den 14. November ist dem Wali eine Liste mit gegen 30 Namen übergeben worden und zwar mit dem Bemerken, dass die Gemeinde die Namen mit grösster Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit geprüft hätte, dass sie die bezeichneten Personen als zweifelhafte betrachten müsste und diese Namen daher zwecks näherer Feststellung und weiterer Prüfung übergebe. Der Generalgouverneur wurde über diese Antwort ungehalten und bemerkte, entweder solle die Gemeinde erklären, dass sie die Leute als gefährlich ansehe oder sagen, dass sie dazu nicht im Stande sei, die Antwort, die vorgebracht sei, entspreche nicht seinen Anforderungen. Am gleichen Tag nachmittags ist die Liste mit allen Namen und mit dem Bemerken dem Wali übergeben worden, dass sich die Gemeinde nach gewissenhafter Prüfung genötigt sehe, der Wilajetregierung mitzuteilen, dass die angegebenen Personen zweifelhafte Leute seien und dass sie deshalb sich verpflichtet fühlen die Wilajetregierung zu benachrichtigen, dass die Genannten für die Gemeinde gefährlich werden könnten. Der Bischof soll dabei folgendes gesagt haben: Wenn Sie mich fragen, ob die genannten Leute Uebeltäter sind, kann ich eine bündige Erklärung darauf nicht geben. Die Vergangenheit der Leute ist zwar unrein aber ich muss hinzufügen, dass sie fast alle im letzten Jahr in grösster Ruhe gelebt haben.
Der Wali scheint mit diesem Ergebnis zufrieden gewesen zu sein. Mir gegenüber hat der Wali heute mitgeteilt, dass er zum ersten Mal erreicht hätte, dass die Armenier selbst die gefährlichen Personen bezeichneten, diese würden verschickt werden und die übrigen Unbeteiligten bereits Abgeschobenen würden zurückgebracht werden.
Vertraulich habe ich erfahren, dass die Zentralregierung den Weitertransport der am 9. Abgeschobenen befohlen hatte, dass aber der Generalgouverneur entgegengesetzte Ordre gegeben und es der Zentralregierung gemeldet hat.
Die Armenierfrage dürfte somit vorläufig für Smyrna erledigt sein.
Die Verhältnisse am Anfang dieses Monats waren deshalb besonders bedenklich für das deutsche Ansehen, weil die höchsten militärischen Kommandogewalten, die der 5. Armee und die des 17. Korps in deutschen Händen sind, und beide Inhaber sich bei der Abschiebung in Smyrna befanden. Sehr bald verbreitete sich die Nachricht, dass die Deutschen sich auf diese Weise der armenischen Handelskonkurrenz entledigen wollten. Die anderweitig bereits gemeldete Benachrichtigung des Generalgouverneurs durch den Armeeführer Marschall Liman von Sanders, dass derartige Verhaftungen und Abschiebungen die militärische Lage beeinflussten und das Militärkommando sie daher nicht dulden könnte, ist nicht in die Oeffentlichkeit gedrungen, aber die häufigen Zusammenkünfte an diesen Tagen haben doch in der Bevölkerung den festen Eindruck hervorgerufen, dass sich die Deutschen Kreise gegen das Vorgehen gegen die Armenier verwendet haben.