1914-02-16-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14083
Zentraljournal: 1914-A-04179
Botschaftsjournal: A53a/1914/0355
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J. Nr. 44
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Vizekonsul in Erzerum (Anders) an den Geschäftsträger in Konstantinopel (Mutius)

Bericht



J. Nr. 44
Erserum, den 16. Februar 19141

Heute besuchte mich der hiesige armenische Bischof Msg. Seadetian, um mir anlässlich der Annahme der Reformen im Namen seiner Gemeinde zu danken für die hartnäckige Verteidigung des Reformprojekts durch die Kaiserliche Regierung, der zum grossen Teil das Zustandekommen des so lang ersehnten Reformwerkes zu verdanken sei.

Wie mir der Bischof mitteilte, sind ihm die Einzelheiten des Reformprogramms noch unbekannt. Jedoch habe er gehört, dass die Zusammensetzung der Vilajetsräte auf eine Volkszählung basirt werden solle, die bereits nach einem Jahr abgeschlossen werden wird. Da nun sehr viele Armenier nach Russland und Amerika ausgewandert sind (etwa ein Viertel der armenisch. Bevölkerung), so meint Msg. Seadetian, dass die Volkszählung ein falsches Bild ergeben wird. Alle Ausgewanderten würden nunmehr aus Liebe zum angestammten Boden allmählich hierher zurückkehren, jedoch erst im Laufe der nächsten 4 Jahre, sodass dann nochmals eine Volkszählung nötig werden würde. Ferner bemerkte der Bischof, dass – falls Trapezunt als Sitz des einen Generalinspekteurs in Aussicht genommen sei – dies sehr unzweckmässig sein würde. Den Mittelpunkt der ostanatolischen Provinzen bilde Erserum, von wo aus die Verbindung nach Musch, Wan und Bitlis verhältnismässig leicht sei. Daher müsse Erserum der Sitz des Generalinspekteurs sein.

Weder in der Stadt noch im Vilajet Erserum liege zurzeit Grund zu Klagen vor, abgesehen von Differenzen im Kaza Narwan, wo ein Tscherkessen Stamm den Besitz der Armenier beschlagnahmt habe. Doch habe der Vali bereits Untersuchung und Abhilfe zugesagt.

Die hiesige islamische Bevölkerung hat die Nachricht von der Annahme der Reformen ohne irgendwelche feindseligen Kundgebungen aufgenommen und dürfte auch nichts unternehmen, um die Durchführung derselben zu stören.

Der Bischof sprach mir zum Schluss noch sein Bedauern aus, dass ein in Russland erscheinendes Blatt, der "Mschak" mich kürzlich als Türkenfreund angegriffen habe. Nach Ansicht des Bischofs seien die Armenier jetzt völlig ausgesöhnt und fühlen sich als treue Ottomanen. Die Schlussfolgerungen des genannten Blattes, dass ein Türkenfreund eo ipso Armenierfeind sein müsse, sei daher vollkommen falsch. Übrigens schöpfe der "Mschak" seine Nachrichten nicht aus armenischen, sondern aus russischen Quellen. Die hiesigen Armenier seien sich wohl bewusst, dass die Kaiserliche Regierung mit Wohlwollen und Interesse ihr Schicksal verfolge, und seien mir dankbar, dass ich dies bei verschiedenen Anlässen zum Ausdruck gebracht hätte.


Anders


1 Von Wangenheim urschriftlich am 26. 2. 1914 dem Reichskanzler vorgelegt.



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