1915-10-18-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 98/Bl. 25-27
Botschaftsjournal: 10-12/1915/8963
Erste Internetveröffentlichung: 2010 April
Edition: Deportationsbestimmungen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der deutsche Lehrer in Eski-Schehir, Richard Müller, an die Botschaft Konstantinopel

Schreiben


Eski-Schehir, den 18. Oktober 1915.

Der ergebenst Unterzeichnete gestattet sich, die Hohe Kaiserlich Deutsche Botschaft zu bitten, bei der Kaiserlich Türkischen Regierung vorstellig zu werden, daß sie einen Schein für meine armenischen Schwiegereltern nebst Kindern ausstellt, der besagt, daß vorgenannte Personen von der Verschickung befreit sind.

Begründung:

Niedere Polizeiorgane haben schon zum zweitenmale meinen Schwiegervater, obwohl er protestantisch ist, die Abreise anbefohlen. Nachdem sowohl Herr Pastor Strahl als auch ich bei den vorgesetzten Stellen vorstellig geworden sind, war die Gefahr beseitigt. Bei Überbringung des letzten Befehles erklärten die niederen Polizeiorgane meiner Frau, daß auch die Katholiken und Protestanten abreisen müßten, was natürlich nicht wahr war. Da wir die Anordnungen der Polizei nie nach ihrer Berechtigung prüfen können, da ferner im Ernstfalle ein Aufschub der Verschickung bis zum Entscheid einer höheren Behörde nicht zu erlangen ist, so leben meine Frau und ich in ständiger Aufregung. Dadurch wird nicht nur meine Gesundheit geschwächt, sondern auch meine Leistungsfähigkeit im Dienst stark vermindert; denn ich muß leider während meines Dienstes oft an die erneute Möglichkeit eines solchen Befehles denken, der meist von recht unwissenden Polizisten überbracht wird.

Ich halte es für meine Pflicht als Mensch und Christ, alle nur Mögliche für die Befreiung von der Verschickung zu tun.

Die Namen meiner Angehörigen sind:

1. Rupen Nergararian (türk. Bojadschian)

2. Isguhi

3. Perusik

4. Digranuhi

5. Aschagruhi

Als Beweis der Zugehörigkeit zum Protestantismus gestatte ich mir, in Abschrift folgendes Zeugnis zu überreichen.


Konfessionsbestätigung
Hierdurch bestätige ich, daß Herr Rupen Nergararian, wohnhaft in Eski-Schehir, sich, solange ich ihn kenne, zum protestantischen Bekenntnis hält und daß seine Tochter Perusig Nergararian nach Teilnahme am hiesigen deutschen evangelischen Religionsunterricht am 31. März 1912 in der hiesigen deutschen evangelischen Gemeinde konfirmiert worden ist.
Eski Schehir, den 15. August 1915.
gez. Strahl, Pfarrer an der deutschen evangelischen Bagdad-Diaspora.
J. No. 352/15

Auffällig war, daß man die in Eski-Schehir wohnenden Protestanten, die alle keinen Grundbesitz haben, am 17. Oktober in Ruhe ließ. Das Rätsel löste sich heute am 18. Oktober. Am Nachmittag erschien ein Beamter des Bürgermeisteramtes und forderte, daß mein Schwiegervater die Papiere für sein Grundstück und sein Haus sofort auf der Bürgermeisterei abgeben solle, da wahrscheinlich der Garten zu weit vorgebaut sei. Nach meiner Erfahrung bedeutet aber das Übergeben von Papieren den Verlust der daraufstehenden Werte. Die Papiere sind aber seit mehr als zwei Jahren in meiner Hand. An meinem Hochzeitstage (16. August 1913) übergab mir mein Schwiegervater sein Haus und Grundstück als Hochzeitsgabe unter der Bedingung, daß ich, wenn es nötig sei, für ihn und seine Familie eintrete. Seit zwei Jahren hat er nun keine Arbeit, und ich unterhalte seit dieser Zeit die ganze Familie. Von der Übertragung auf meinen Namen sahen wir ab, um der Schwierigkeit zu entgehen, die bei meiner voraussichtlichen Übersiedlung nach Deutschland entstehen müßten. Da ich das Haus mit Recht als mein Eigentum betrachten kann, so bewohne ich es auch gemeinsam mit meinen Angehörigen seit längerer Zeit. Ein Verlust des Hauses mit Grundstück würde also nicht meinen Schwiegervater, sondern mich treffen. Eine bestimmte Bescheinigung der türkischen Regierung die Nichtsverschickung meiner Schwiegereltern betr. würde mir sofort zu meinem Recht verhelfen.

Die Kaiserlich Türkische Regierung hat den armenischen Eisenbahnbeamten und Soldaten weitgehende Zugeständnisse gemacht. Sie alle dürfen ihre Schwiegereltern behalten. Nun verstehe ich aber nicht, warum man meine Verwandten, obwohl ich doch auch Beamter der Eisenbahn und dazu noch Deutscher bin, nicht in Ruhe läßt. Ein besonderes Teskere der Regierung zu Konstantinopel würde mir und meinen Angehörigen sofort Ruhe verschaffen.

Ich glaube, daß die Ausstellung eines solchen Scheines auf keine Schwierigkeiten stößt; denn

1. ist mein Schwiegervater Protestant,

2. er ist noch nicht verschickt worden und

3. ich kann als Deutscher, der ich mit ihm zusammen wohne, für sein Verhalten garantieren.

Auf einen recht baldigen günstigen Bescheid hofft


erherbietigst
Richard Müller
Lehrer an der Eisenbahnschule Eski Schehir.


[Antwort Botschaft 25.10.]

Der Inhalt Ihrer Eingabe vom 18. v.Mts. ist, soweit es sich um die angedrohte Verschickung Ihrer Schwiegereltern und deren Angehörige handelt, zur Kenntnis der Pforte gelangt worden. Hierzu bemerke ich, daß nach einem Zirkularerlass des Ministeriums des Innern von Ende August n. St. d. Js., der auch an die Regierung der Provinz Brussa ergangen ist, die protestantischen und katholischen Armenier, die bis dahin noch nicht ausgesiedelt waren, an ihren Wohnsitzen belassen werden sollten, allerdings mit dem Vorbehalte, das diese Vergünstigung nur auf politisch unverdächtige Personen angewendet werde.

Was hingegen Ihre Ansprüche auf das unbewegliche Eigentum Ihres Schwiegervaters anbetrifft, so dürfte es, da hierüber anscheinend keine schriftlichen Abmachungen bestehen, kaum möglich sein, sie gegebenenfalls mit Erfolg geltend zu machen.


N[eurath]


[Notiz Mordtmann 14.11.]

Die Sache ist an die ……gegangen; wie mir neulich Aziz bej sagte, hat der Minister es abgelehnt, unserem Gesuche Folge zu geben.

Verg. die Notiz auf 9828 [Dok. 1915-11-13-DE-001]



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