1915-07-11-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/169
Botschaftsjournal: A53a/1915/4250
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J. No. 623
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Konsul in Adana (Büge) an die Botschaft in Konstantinopel

Bericht



J. No. 623
Adana, den 11. Juli 1915.

1 Anlage

Euerer Exzellenz beehre ich mich, beiliegende Eingabe des Direktors des Deutschen Waisenhauses in Harunije, B. von Dobbeler, betreffend Armenierverfolgungen, gehorsamst zu überreichen.

Ich habe Herrn von Dobbeler keinen Zweifel gelassen, dass ich nach Massgabe der diesbezüglich vorliegenden Information Euerer Exzellenz ein vermittelndes Eingreifen der Kaiserlichen Botschaft für unwahrscheinlich halte. Aus dem gleichen Grunde nehme ich auch davon Abstand, auf die traurigen Folgen dieser unsinnigen Massregelung des armenischen Elements für das Land im Allgemeinen und für die hier bereits bestehenden deutschen Interessen im Besonderen - abgesehen von der Einbusse an Ansehen - weiter einzugehen.


Büge


Anlage
Harunije im Vilajet Adana, den 10. Juli 1915.

Ew. Exzellenz

ersuche ich hiermit in tiefster Ergebenheit von Folgendem gütigst Kenntnis nehmen zu wollen.

Weitab in der Türkei, weit ab, ich bin versucht zu sagen, von menschlicher Hülfe stehen wir hier inmitten eines Volkes, inmitten der Armenier und müssen zusehen wie dieses Volk zertreten wird.

Wir Deutsche im Auslande sehen mit Bewunderung wie unser herrliches Deutschland mit seinem kraftvollen, unvergleichlichen Kaiser an der Spitze von Sieg zu Sieg schreitet, und unser Herz jubelt über jede Siegesnachricht, die hierher dringt. Es ist im letzten Grunde ein Kampf der Finsternis mit dem Licht, ein Kampf der Lüge mit der Wahrheit, und wie freuen wir uns, daß Deutschland unter den Völkern von Gott ausersehen worden ist, diesen Kampf hinauszuführen.

Wahrheit und Recht sind die größten Mächte dieser Erde, und wenn Deutschland nach dauerndem Einfluß unter den Nationen ringt, wenn das Deutschtum sich durchsetzen und gefördert werden soll, so muß Deutschland Wahrheit und Recht ohne jede weitere Rücksicht zur Richtschnur seines Handelns machen. Gott bewahre uns für alle Zeit vor dem Englischen Wahlspruch: „Right or wrong my country“. Kein Erfolg soll uns zufallen, wenn auf unser Wappenschild ein Schatten fallen muß, aber aus jeder Situation wird uns Gewinn zuteil werden, wenn wir nicht den Gewinn, sondern das Ziel im Auge haben dem Rechte Raum zu schaffen. Sollte das nicht möglich sein? Durch nichts könnte zum Beispiel jetzt deutscher Einfluß für viele Dezennien hinaus in der Türkei besser gefördert werden, als durch ein Eintreten für die Armenier. Das klingt absurd, und dennoch ist es so, denn ich meine nicht, daß man dafür eintreten soll, daß die Armenier nicht angetastet, oder die Schuldigen unter ihnen nicht bestraft werden sollen oder daß die Regierung gehindert werden soll ihre Maßnahmen zu ergreifen, die zum Schutze der Sicherheit des Landes notwendig sind, nein um dafür einzutreten müßte der Schreiber dieses nicht aus deutsch-konservativen Kreisen hervorgegangen sein. Es handelt sich nicht um ein Einmischen, sondern um ein billiges Zurechtsetzen einer, wie wohl jeder zugeben wird, in den Kinderschuhen sich befindenden Regierung. Das wäre ein, den Türken erwiesener rechter Freundschaftsdienst und würde als solcher gewertet werden, die Folgen aber, wären einfach nicht absehbar, da sie mehr als jede Propaganda nützen würden.

Ich kann wohl sagen, daß die Ausweisung der Armenier selbst den Anatolischen Türken zuviel wird, ihnen, die jetzt eine Gelegenheit haben sich zu bereichern, wie nie zuvor, und die auch nicht abgeneigt sind, sich zu bereichern, jedoch die Art wie ihnen dies jetzt in die Hand gegeben wird, widert sie an. Sie möchten am liebsten sich nicht damit besudeln, sie wundern sich nicht wenig über die ihnen unverständlichen Maßnahmen und denken dazu ihr Teil über die deutsche Regierung. Daß Deutschland die Vertreterin einer höheren Zivilisation ist, ist ihnen allen klar, sie werden aber irre daran, da sie sehen, daß Deutschland zu dem was niemand billigt, was auch ihre Beamten, trotzdem sie nur pecuniären Vorteil daran haben, gezwungen und widerwillig ausführen, schweigt. Ja sie gehen einen Schritt weiter, sie sagen, das ist nicht die Arbeit unserer Regierung, sondern jene hat nur den Willen der deutschen Machthaber hinauszuführen. Aus diesen Gedankengängen heraus trösten im Innern des Landes die Türken die Armenier, indem sie sagen, jetzt verjagt man euch, und später werden wir folgen, denn dies ist so deutsche Art und jene wollen das Land haben. Wir aber stehen dabei und schämen uns. Ist das nicht ein Jammer? Das stolze Wort: „Civis germanus sum“ wird in einer stolzen, gewaltigen Zeit fast zum Grunde einer Entschuldigung. Nicht nur einmal ist aus deutschem Munde das „Wir schämen uns Deutsche zu sein“, an mein Ohr gedrungen, sondern des öfteren und auch mich beschlich schon diese Empfindung. Das erste Mal, als ich es hörte bin ich aufgebracht und habe mich entrüstet und habe gedacht, wie kann man nur, nachher habe ich gesehen, daß man nicht nur kann, sonder daß man muß. Die Armenier werden ohne irgend welche Rücksicht gelten zu lassen gezwungen Haus, Hof und Besitz stehen und liegen zu lassen, um hinweggetrieben zu werden. Wohin weiß niemand, in eine ungewisse Zukunft hinaus. So ziehen sie zu Tausend und aber Tausenden auf den Landstraßen Anatoliens dahin, überall das größte Mitleid erregend, denn viele schwangere Frauen, viele Säuglinge, viele Kinder, viele Kranke und Elende, auch Blinde sind unter ihnen, viele, die nur notdürftig gekleidet, barfuß mit wunden Füßen auf den heißen, oft steinigen Wegen dahin gehen. Viele von ihnen waren reich, sie hatten ihre Felder und Gärten mit Fleiß bestellt, sie hatten große Herden, sie hatten Hausrat aller Art, sie hatten auch wohl Kapitalien angelegt, alles mußte plötzlich liegen bleiben, und während auf den Feldern die Ernte auf die Schnitter wartet, müssen diese davon, um Monate lang untätig herumzuliegen und zu sehen, wie Frau und Kind verkommen. Ganz abgesehen von dem rein menschlichen Standpunkte, muß sich jeder eingestehen, daß hier volkswirtschaftlich ein Verbrechen begangen wird, daß hier ein Staat auf dem besten Wege ist, sich selbst schwer und dauernd zu schädigen.

Anders als auf dem Lande wird die Sache nun noch in den Städten. Was für enorme Werte sind in den verschiedensten kaufmännischen Betrieben und Unternehmungen angelegt und wieviele Beamte gibt es, die schlechterdings unersetzlich sind. So werden Betriebe wie die Bagdad-Bahn und kleinere wie größere Bankinstitute nach Durchführung der Regierungsmaßnahmen betr. Ausweisung der Armenier gezwungen sein zuzumachen. Die Türkische Regierung ist nicht im Stande für jene Arbeitskräfte einen Ersatz zu liefern, und die Kräfte, die sie achtlos von sich wirft, entzieht sie dem Staatskörper. Aber dies soll ihre Sache sein, wir protestieren nur gegen Maßnahmen, die aller Gesittung und Menschlichkeit Hohn sprechen. Oder ist es nicht unsittlich, die gebildete Bevölkerung einer Stadt mit Weib und Kind in Sonnenglut und Hitze, in Wind und Wetter, ohne Aussicht auf Unterkunft auf die Landstraße zu werfen, und vor eine völlig ungewisse Zukunft zu stellen? Es ist die Pflicht der Nationen gegen ein solches Unrecht Einspruch zu erheben, und da nun zur Zeit nur Deutschland in Betracht kommt, so muß der deutschen Regierung dies zugeschoben werden. Man wird einwenden, daß das was geschieht eine innere Angelegenheit der Türkei ist, in die sich niemand zu mischen hat, und daß es Sache der Türkei ist, was sie mit ihrem Lande macht; aber diese Einwände sind ebenso alt, wie sie verbraucht sind. Es handelt sich in diesem Falle in erster Linie darum, daß Deutschland für die jammervolle Lage der hiesigen Christen eine Verantwortung zukommt, und in zweiter Linie handelt es sich um die Wahrung deutscher Ehre und die Mehrung deutschen Einflusses. Es ist ohne Frage, daß ein kraftvolles Eintreten für gerechte Maßnahmen, die eventuell darin bestehen könnten, alle irgend verdächtigen armenischen Männer während der Zeit des Krieges zu internieren, ohne sie zu expropriieren, den besten Eindruck bei den Türken machen würde und daß die Sympathien der Armenier für alle Zeit damit gewonnen sein würden, was in Anbetracht dessen, daß die Armenier in überwiegender Mehrheit Intellektuelle sind, schwer ins Gewicht fallen wird.

Was mich zu diesen Ausführungen bewogen hat ist erstens die Liebe zu den Bedrückten, die keineswegs lauter Halunken sind, wie man leicht über solche, die daniederliegen zu denken bereit ist, sondern unter denen es Charaktere gibt, die uns Achtung abnötigen. Gefaßt und ruhig, voll Vertrauen nehmen die meisten das Schwere, was über sie gekommen ist ohne einen Laut der Klage oder Anklage hin, ohne ein Wort der Bitterkeit zu haben sehen sie wie ihnen alles genommen wird, und gefaßt ergreifen sie mit den Ihrigen den Wanderstab. Jedoch in den Nächten und stillen Stunden werden die Thränen fließen und die Größe des Verlustes wird ihnen offenbar und bewußt werden. Was mich zu diesen Ausführungen bewogen hat ist zweitens die Liebe zum deutschen Vaterland und die Gewißheit, daß keinem Volke besseres widerfahren kann als, daß es von deutschem Wesen durchdrungen wird, und daß auch in diesem Lande der deutsche Einfluß zum Heile desselben dominieren muß, denn am deutschen Wesen wird noch einmal die Welt genesen.

Zum Schluß bitte ich Ew. Exzellenz unter Hinweis auf obige Ausführungen Maßnahmen zu ergreifen wodurch die türkische Regierung bewogen wird in diese jetzt bestehenden Zustände eine Aenderung zu bringen und die Härten zu mildern.

Ich zeichne in größter Ehrfurcht als Ew. Exzellenz gehorsamster Diener


B. von Dobbeler
Leiter des deutschen Waisenhauses in Harunije im Vilajet Adana.


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