1910-10-14-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 13190
Zentraljournal: 1910-A-18643
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 11/09/1910 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 12/13/2014


Der österreichisch-ungarische Vizekonsul in Monastir (Zitkovszky) an den Außenminister (Aehrenthal)

Bericht



Abschrift.

Monastir, 14. Oktober 1910.

Nr. 69 geheim.

Im Monat August d.J. hielt der ottomanische Minister des Innern, Talaat Bey, im geheimen Zirkel des Saloniker jungtürkischen Komitees eine politische Rede, deren Substanz ich E.E. im folgenden ergebenst zu unterbreiten habe:

Ich habe allen Grund anzunehmen, dass der Inhalt der Rede authentisch wiedergegeben erscheint, wogegen die wörtliche Fassung bloss nach Notizen eines bei der betreffenden Versammlung anwesenden aus dem Türkischen übertragen und zusammengestellt ist. Talaat Bey sagte:

„Das Komitee für Einheit und Fortschritt muss unter allen Umständen die Herrschaft behaupten und zu diesem Zwecke auf die Kräftigung und Ausgestaltung der Provinzkomitees, die gegenwärtig stark desorganisiert sind, Gewicht legen.

Das Kabinett steht unter Kontrolle des Komitees und muss es auch bleiben; ebenso bilden dessen Parteigänger im Parlamente die Mehrheit. Daselbst muss jede ernstliche Opposition unterdrückt werden, im Notfalle beabsichtigen wir mit der Auflösung des Hauses vorzugehen.

Auch die Armee befindet sich voll und ganz unter unserem Einflusse, und es besteht keine Gefahr, dass dieser verloren gehe.

Was die christliche Bevölkerung anlangt, so hat die Konstitution die Gleichheit von Mohammedanern und Giaurs garantiert. Eine derartige Gleichstellung ist jedoch eine Unmöglichkeit. Dagegen spricht das Scheriat und die Geschichte der Vergangenheit. Dagegen sprechen die Gefühle von hunderttausenden Mohammedanern, ja sogar die der Giaurs selbst, welche sich gegen ihre Ottomanisierung sträuben. Eine wirkliche Ottomanisierung wird auch erst dann möglich sein, wenn wir der Propaganda der kleinen Balkanstaaten ein Ende bereiten. Gefahr droht jedoch auch von diesen nicht.

Griechenland flösst uns keine Furcht ein, und auch die Kretafrage wird bald eine befriedigende Lösung finden.

Montenegro ist isoliert und wird sich nie an eine auf Gebietserweiterung ausgehende, riskierte auswärtige Politik wagen können, sondern muss froh sein, seine Unabhängigkeit zu behaupten.

Serbien ist gegenwärtig - dank der intransigenten Handelspolitik Oesterreich-Ungarns - wirtschaftlich von uns abhängig.

Bulgarien bildet die einzige Gefahr in dieser Richtung. Wie müssen diesem Staate womöglich Zugeständnisse minder wichtiger Natur machen, um ihn von einer Limitierung unserer Aktionsphäre in Mazedonien abzuhalten.

In Europa geniessen wir allgemeine Wertschätzung. Wir bedürfen jedoch auch praktischer Unterstützung und wenn wir auch nicht die Absicht haben, Allianzen zu schliessen, so wollen wir doch unsere Beziehungen zum Dreibund intim gestalten, besonders zu Oesterreich-Ungarn und Deutschland.

Im gegenwärtigen Kabinett geben, wie erwähnt, die Jungtürken den Ausschlag, dank der Persönlichkeit Hakki Paschas. Auch Kütschük Said leistet uns, besonders im Verkehre mit Ausländern, die wichtigen Dienste. Schade, dass er etwas unentschlossen ist.

Das Komitee in Constantinopel selbst ist vollständig einträchtig; unsere nächste Aufgabe bleibt jedoch, wie schon gesagt, die Reorganisierung der Provinzkomitees, deren Unzulänglichkeit eine wirkliche Quelle der Gefahr bildet. Die meisten Beamten sind zwar unsere Parteigänger, aber wir müssen sie nichtsdestoweniger durch unsere Zweigkomitees kontrollieren. Diese letzteren haben Pflichten, welche ständige Beamte nicht erfüllen können. Wir müssen jedermann in der Provinz beweisen, dass das Komitee für Einheit und Fortschritt allmächtig ist, und dass eine Opposition aussichtslos wäre.“

Ich will mir nicht gestatten, in eine meritorische Kritik der Rede Talaat Beys einzugehen, und möchte nur bemerken, dass die Reorganisation der Provinzkomitees, auf die Talaat Bey besonderes Gewicht zu legen scheint, seither in Monastir, wo, wie aus dem hieramtlichen Berichte des Konsuls Freiherrn von Bornemisza vom 25. August l.J., Nr. 58 hervorgeht, eine starke Zersetzung Platz gegriffen hatte, tatsächlich versucht worden sein dürfte.

Diesem Zwecke scheint auch Djavid Paschas und Talaat Beys Besuch in Monastir (hieramtlicher Bericht des Konsuls Freiherrn von Bornemisza vom 8. August, Nr. 51 und vom 25. August, Nr. 58) gegolten zu haben.

Unter „Aktionssphäre in Mazedonien“ wird wohl die von Talaat Bey gleichfalls erwähnte Ottomanisierung der Christen zu verstehen sein. Nebenbei möchte ich hier, im Zusammenhange mit dieser Politik der Jungtürken auf einen Beschluss des im Juli in Monastir stattgehabten jungtürkischen Kongress hinweisen, der dahin ging, zwischen Monastir und Köprülü eine die christliche Einwohnerschaft trennende Kette von Ansiedlungen bosnischer Emigranten zu schaffen. Seither sind zu diesem Zwecke tatsächlich Ländereien erworben worden.

Unerwähnt möchte ich weiters nicht lassen, dass die Rede unter den hiesigen Konsularvertretern dem englischen zugänglich geworden ist, der mir in seinen bezüglichen Bericht Einsicht gewährte. Die englischen Botschaft in Constantinopel hat sich auch - wie aus einem Antwortschreiben hervorgeht - für die Rede des Ministers mit ihrem etwas kompromittieren Passus über Komiteepolitik und über die Behandlung der Christen lebhaft interessiert.

Gleichlautend berichte ich unter einem sub Nr. 64 geheim an den Herrn Geschäftsträger in Constantinopel.

Genehmigen etc.



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