1913-11-05-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 14082
Zentraljournal: 1913-A-22311
Erste Internetveröffentlichung: 2017 November
Edition: Armenische Reformen
Praesentatsdatum: 11/08/1913 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 321
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Pera, den 5. November 1913

Der Kaiserliche Vizekonsul Anders berichtet unter dem 27.v.M. aus Erzerum:

"Die gestrige Ankunft des neuen armenischen Patriarchen Zawen in Erzerum, auf der Durchreise nach Constantinopel, gab der armenischen Bevölkerung Gelegenheit zu einer friedlichen Demonstration. Schon seit Wochen bildete die Reise des Patriarchen von Diarbekir über Bitlis-Musch-Chinnis-Hassankaleh nach Erzerum das Hauptinteresse der armenischen Kreise. Von den rund 15 000 Armeniern der Stadt und der näheren Umgebung hatten sich gegen Zehntausend gestern am Hügel Dere Bojun etwa 3 km vor der Stadt versammelt. Ich war mit dem russischen, englischen und französischen Kollegen übereingekommen, den hohen Reisenden bei seiner Ankunft durch den Honorardragoman begrüßen zu lassen. Eine in den Annalen Erzerums einzig dastehende Tatsache dürfte die entgegenkommende Art sein, in der der Vali dem Patriarchen den Willkomm bot. Der Pascha fuhr den Kirchenfürsten bis vor das Stadttor, an dem die Munizipalität ein Zelt aufgeschlagen hatte, entgegen, lud ihn in seinen Wagen ein, geleitete ihn zum Regierungskonak und sodann zum Episkopat und war sichtlich bemüht, alle kleinen Nüancen orientalischer Höflichkeit spielen zu lassen. So half er ihm, obwohl er älter ist als der Patriarch, aus dem Wagen, ließ ihn rechts im Wagen sitzen u. dergl.

Die Tatsache, daß wenige Tage vor Eintreffen des hohen Gastes eine alte Streitfrage betreffend die großen Grundstücke der Sinassarian-Schule zugunsten der Armenier beigelegt wurde, erinnerte mich an das Prinzip des Ex-Sultans Abdul Hamid, welcher seinerzeit kurz vor dem Eintreffen Seiner Majestät des Kaisers die Reklamation des von Kurden bei Wan überfallenen deutschen Professors Beck regelte. Heute gibt der Vali ein Festessen, zu dem die fremden Konsuln nicht geladen sind, da der Vali anscheinend unbeabsichtigte Zusammenstöße mit dem russischen Generalkonsul vermeiden will, welcher bei solchen Anlässen stets Grund zu Beschwerden findet.

Ueber die Reise des Patriarchen höre ich, daß in Bitlis der Vali denselben nicht begrüßte, so daß derselbe vor Entrüstung direkt nach Musch weiter fuhr. Der Vali soll dann nach Musch nachgefahren sein und die Sache als ein Missverständnis hingestellt und sich entschuldigt haben. Bei Chinnis hat der berühmte Kurdenchef Guli Bey vom Stamm der Hassaranli dem Patriarchen mit 80 Bewaffneten 3 Tage lang bis Hassankale das Ehrengeleit gegeben . Es scheint, daß die türkische Lokalregierung alles aufgeboten hat, um dem Patriarchen zu schmeicheln, damit derselbe in Constantinopel keinen Grund zu Klagen oder zur Inanspruchnahme fremder Intervention findet.

Hier geht das Gerücht, die Hohe Pforte habe das Reform-Projekt der Mächte abgelehnt und wolle selbst die nötigen Reformen durchführen. Die hiesigen Armenier trauen natürlich dieser Absicht nicht recht.

Ich stattete heute Morgen im Episkopat Seiner Glückseligkeit einen Besuch ab, bei dem aber nur die üblichen Höchlichkeitsphrasen gewechselt wurden. Doch zeigte sich der Patriarch darüber informiert, daß ich im Mai d.J. den Katholikos in Sis an Bord S.M.S. Goeben in Mersina begleitete und daß ich im vorigen Monat den Katholikos in Etschmiadsin besuchte."


Wangenheim



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