1912-12-31-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 1913
Zentraljournal: 1913-A-00119
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 01/03/1913
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 433
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Paris (Schoen) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 433
Pera, den 31. Dezember 1912.

Abschrift

Der bekannte frühere Präsident der türkischen Kammer, Achmed Riza, der sich zurzeit hier aufhält, hat mich aufgesucht und mir nach einigen Umschweifen dargelegt, er habe die feste Überzeugung, daß seine Partei, die der Jungtürken, bald wieder ans Ruder komme, da sie allein imstande sei, die Türkei auf dem Wege der Kultur vorwärts zu bringen. Er und einige seiner Freunde bereisten zurzeit die mitteleuropäischen Länder, um sich zu versichern, wieweit sie, die künftigen Leiter des ottomanischen Reiches, auf Verständnis und Freundschaft zu rechnen hätten. Sie seien sich für die zukünftige Türkei, die zwar ihren Kern in Kleinasien haben, zugleich aber auch eine starke Stellung in Europa bewahren müsse und in diesem Sinne jetzt Adrianopel unter keinen Umständen preisgeben könnte, der Notwendigkeit des engen Anschusses an eine befreundeten Großmacht bewußt, und diese Macht könne nur Deutschland sein. Rußland und England seien natürliche Feinde der Türkei, Frankreich habe sich nach den ersten Waffenerfolgen der Balkanstaaten in einer Weise von ihr abgewandt, die in der Türkei Entrüstung geweckt habe. In Deutschland seien allem Anschein nach die Sympathien für die Türkei und die Zuversicht in ihre Lebensfähigkeit nicht erloschen, nur dahin könne die Türkei auch in Zukunft vertrauensvoll ihre Blicke in dem Wunsche richten, womöglich zu einer Allianz zu gelangen. Ein Wort, eine Geberde Sr. Majestät des Kaisers würden genügen, die jetzt niedergeschlagenen Gemüter aller einsichtigen Osmanen mit fester Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu erfüllen und die Herzen der ganzen islamitischen Welt für den deutschen Kaiser schlagen zu lassen. Aber diese Rettung müsse bald kommen, sollte die Stellung der Türkei auch als europäische Macht erhalten werden. Nach den Nachrichten aus den Kreisen seiner Freunde wünschten diese nicht die Wiederaufnahme des Krieges; mit dem Verlust Mazedoniens, ja selbst Salonikis, trotz der Bedeutung dieser Hafenstadt als reiche Einnahmequelle würden sie sich abzufinden wissen, dagegen sei die Erhaltung genügenden Vorlandes auf der europäischen Seite der Meerengen und insbesondere Adrianopels mit seiner vorwiegend muselmanischen Bevölkerung und seinen idealen Erinnerungen unbedingtes Erfordernis.


[Schoen]



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