Gantschews Kommen ist ihm im gegenwärtigen Moment sichtlich unbequem, doch sieht er in Kenntnis der Telegramme Nr. 249 und Nr. 250 die Notwendigkeit ein, mit Bulgarien zu verhandeln und abzuschließen. Ernste Schwierigkeiten befürchtet er von Österreich. Aus gesamtem Verhalten Conrads schließt er mit Bestimmtheit, daß Österreich sich mit Serbien verständigt habe. Er versichert, daß Österreich bis auf geringe Landwehrstämme alle Truppen von der serbischen Grenze abgezogen habe.
Als Inhalt der Militärkonvention denkt er sich Abmachungen über Zeit, Ort und Stärke der beiderseitigen gegen Serbien einzusetzenden Truppen und Verpflichtungen Bulgariens, mit uns gemeinschaftlich Druck auf Rumänien wegen Munitionsdurchfuhr auszuüben.
Nach dem Eindruck des Herrn Reichskanzlers überzeugt er sich mehr und mehr von der absoluten Notwendigkeit der serbischen Aktion.
Prinz Hohenlohe erzählte mir vertraulich nach seiner Rückkehr aus Wien, daß er mit Kaiser Franz Joseph über das Projekt einer Bedrohung Rumäniens gesprochen habe. Der Kaiser sei dagegen und sehr bestimmt für eine Aktion gegen Serbien gewesen. Schon dies läßt darauf schließen, daß keinerlei Verständigung zwischen Österreich und Serbien stattgefunden hat. Ebenso spricht dagegen die Ablehnung der Vermittelungsvorschläge von Strauß seitens Tiszas und Burians. Baron Burian hat mir bei unserem Besuch erklärt, daß er keinerlei Demarchen betr. Serbien tun, sondern alle eventuellen Schritte ganz uns überlassen werde. Unsere Versuche einer Fühlungnahme mit Serbien sind bisher resultatlos gewesen. Strauß hat sich als unzuverlässig erwiesen. Serbien, welches der Entente die Zession Macedoniens an Bulgarien abgeschlagen hat, wird sie uns noch weniger gewähren, zumal es die Kompensation in Albanien sich erst selbst erobern müßte. Erhält aber Bulgarien von uns nicht Macedonien, so wird es sein Heil bei der Entente suchen. Eine Verständigung zwischen Serbien und Österreich-Ungarn wird auch dadurch erschwert, daß letzteres die Abtretung des Nigotiner Kreises (an Ungarn oder Bulgarien) wünscht behuft Herstellung einer direkten Angrenzung an Bulgarien, seinerseits aber jede Abtretung eines Teils von Bosnien an Serbien ablehnt. Verweise im übrigen auch auf dortiges Telegramm Nr. 211.
Wenn wir durch Bedrohung Rumäniens den Munitionstransit dort auch durchsetzen sollten, bleibt immer die Gefahr, daß Bulgarien die Durchfuhr dann verweigert, weil es vermuten würde, daß - wenn der Munitionstransport einmal gesichert ist - unser Interesse an einer Aktion gegen Serbien schwindet. Bulgarien wird aber nur so lange geneigt sein, mit uns zu gehen, als es hoffen kann, von uns Macedonien zu erhalten. Das einzige wirklich probate Mittel, die Frage im Balkan zu unseren Gunsten zu lösen und die Verbindung mit Türkei (eventuell auch für Geschütze und Mannschaften) zu sichern, scheint mir daher die Aktion gegen Serbien zu sein.
Ob wirklich Schwierigkeiten von Österreich zu erwarten sind, läßt sich vielleicht am besten auf diplomatischem Wege feststellen. Baron Burian hat bis in die jüngste Zeit wiederholt schleunige Aktion gegen Serbien zur Regelung der Balkanlage als dringend wünschenswert bezeichnet. Da der Kaiser und Burian jedenfalls für die serbische Aktion sind, würden sie davon nur abgehen, wenn General von Conrad ernste militärische Bedenken äußerst. Jedenfalls müßte Conrad auf diese Weise bestimmte Erklärungen bezw. Zusicherungen geben.
Eine Rückenstärkung der Türkei in ihrem schweren Kampf erscheint mir auch dringend erwünscht.