1915-09-04-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20192
Zentraljournal: 1915-A-27839
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 09/24/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 89
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Militärattaché in Athen (Falkenhausen) an das preußische (und deutsche) Kriegsministerium

Militärbericht


Athen, den 4. September 1915

Betr, Militärpolitischer Bericht

Im Anschluß und in Ergänzung der telegraphischen Berichterstattung melde ich ganz gehorsamst:

Das griechisch-serbische Bündnis war aus den Gedanken hervorgegangen, ein Gegengewicht gegen Bulgarien zu bilden, welchem Griechenland sich damals allein nicht gewachsen glaubte. Griechenland hat dabei die zwischen den beiden slawischen Balkanstaaten bestehenden Interessen-Gegensätze geschickt benutzt, um Slawen gegen Slawen auszuspielen. Das Bündnis hat seinen Zweck erfüllt, solange es sich nur um Balkanfragen handelte. In dem Augenblick aber, wo europäische Fragen auftraten, wurde es, je nach den politischen Plänen der einen oder anderen Partei, nach der einen oder anderen Richtung hin ausgelegt.

Venizelos hat von jeher gegen eine Auflösung des Bündnisses mit Serbien gekämpft und tut es auch jetzt, weil er in diesem Bündnis eine der Möglichkeiten sieht, sein Ziel - den offenen Anschluß an die Entente - zu erreichen (vergleiche: Artikel des krassen venizelistischen Blattes, der Patrie, vom 31. August n.St.).

Nach der Meinung des Generalstabs hat Serbien bereits vor Ausbruch des Krieges das Bündnis gebrochen, da Serbien sich über die Beantwortung des von Österreich-Ungarn gestellten Ultimatums nicht mit der griechischen Regierung verständigt, sich überhaupt nicht mit Griechenland wegen dieser Frage in Verbindung gesetzt hat. Griechenland habe sich auch nicht verpflichtet, sich für Serbien zu opfern, indem es für Serbien und gegen die Zentralmächte Partei ergreift; und selbst Venizelos habe bei Ausbruch des Krieges den Bündnisfall nicht für gegeben erachtet. Schliesslich stosse Serbien, wenn es den Forderungen der Entente auf Gebietsabtretungen an Bulgarien nachgibt, das Bündnis selbst um, da Serbien dadurch helfe, das Gleichgewicht auf dem Balkan, welches durch das Bündnis gesichert werden sollte, zu verschieben.

Wohl alle diese Erwägungen haben Seine Majestät den König veranlasst, sich mit der Möglichkeit vertraut zu machen, dieses allmählich drückend und gefährlich gewordene Band zu lösen, um volle Freiheit für die Fortsetzung der seit Beginn des Krieges von Ihm verfolgten und durch seinen Generalstab stets unterstützten Politik zu haben, welche schliesslich auf einen engeren Anschluss an die Zentralmächte hinausläuft.

Eine Durchsetzung dieser Politik mit dem Kabinett Venizelos scheint aber bei der Denkensart des Ministerpräsidenten so gut wie ausgeschlossen. Seine Majestät der König sieht sich daher - ähnlich wie vor dem Sturz des Ministeriums Venizelos im März d.J. - bei Rückkehr dieses grossen Abenteurers wiederum gezwungen, unter Hinzuziehung einiger Vertrauenspersonen Seine Pläne im geheimen zu fördern, um sich die nötigen Grundlagen zu schaffen für den mit Sicherheit zu erwartenden Fall, daß Venizelos von Neuem versucht, das Land an der Seite der Entente in den Krieg zu stürzen.

Die Forderungen, welche Seine Majestät - abgesehen von dem erstrebten Besitz von Teilen Albaniens, des Dodekanes und einer für Griechenland günstigen Lösung der Inselfrage - im Interesse seines Landes stellen zu müssen glaubt, haben sich allmählich aus den über das Verhalten Bulgariens eingegangenen Nachrichten entwickelt.

Zunächst handelt es sich nur um das oft erwähnte Gebiet von Doiran und Gevgjeli, welches man nach dem zweiten Balkankrieg nur widerwillig den Serben überlassen hat. Um aber so weit wie möglich gegen ein Vordringen Bulgariens in das nach Saloniki führende Wardar-Tal gesichert zu sein, wurde auf Betreiben Griechenlands bereits in den serbisch-griechischen Vertrag ein Paragraph aufgenommen, in welchem Serbien sich verpflichtet, dieses Gebiet gegebenenfalls nur an einen befreundeten Staat abzutreten.

Durch den offenbaren Anschluß Bulgariens an die Zentralmächte, welcher in der Hauptsache nur auf Kosten Serbiens erfolgt sein konnte, wurde zunächst die Doiran-Gevgjeli-Frage aufgerollt. Als dann Anzeichen eintraten, aus denen Seine Majestät der König und der griechische Generalstab schliessen mussten, dass die bulgarischen Wünsche sich weit über den Wardar hinaus nach Westen erstreckten, rückte auch die Monastir-Frage in den Vordergrund, da bei Monastir die Grenzverhältnisse ähnlich liegen wie bei Doiran und Gevgjeli. Auf Veranlassung Seiner Majestät des Königs wurde im Generalstabe die in Anlage 2 beigefügte Ausarbeitung angefertigt, in welcher die einzelnen Möglichkeiten der strategischen Grenzregulierung unter für Griechenland günstig ausgelegter Berücksichtigung der Rassenfrage angeführt sind. Die in der Anlage 2 angegebenen Fälle 1, 2 und 3 gehen dabei wohl zu weit über das Ziel hinaus, zumal es sich hierbei zum Teil um Gebiete handelt, die nach der vom griechischen Generalstabe angefertigten Aufstellung von überwiegend bulgarischer Bevölkerung bewohnt sind. Eine solche Grenzregulierung würde also nicht dem so oft herangezogenen Nationalitäten-Prinzip entsprechen.

Die Linie, welche sowohl den strategischen Forderungen , wie dem Nationalitäten-Prinzip gleichmässig gerecht zu werden scheint, ist wohl in Fall 4 der Anlage 2 genannt; sie umschliesst die Gebiete von Doiran, Gevgjeli, Monastir und Ochrida. Ein weiterer Grund für die Erwerbung von Monastir und Ochrida ist der Wunsch eines Bahnanschlusses an „Europa“, der östlich des Presba- und Ochrida-Sees und durch das östliche Albanien gedacht ist. Abgesehen von strategischen, wirtschaftlichen und nationalen Gesichtspunkten müsse aber - wieder nach Ansicht des Generalstabs - Griechenland auch versuchen, mit einer Vergrösserung Bulgariens gleichen Schritt zu halten. Ein Gross-Bulgarien würde - nach Meinung des griechischen Generalstabs - das Gleichgewicht auf dem Balkan illusorisch machen, nach immer weiteren Ausdehnungen drängen und eine Quelle neuer Verwickelungen werden, weil es die unbedingte Hegemonie auf dem Balkan erstreben werde, während Griechenlands Wunsch, nach Befestigung auf dem Kontinent, nur auf die Beherrschung des Ägäischen Meeres, des alten griechischen Meeres, hinauslaufe. In dem Augenblick nun, wo Bulgarien sähe, dass es von den Zentralmächten all das erreicht habe, was sie ihm geben können, werde es sich plötzlich wieder bewußt werden, dass es ein slawischer Staat sei und werde bei Russland sicher wieder freundliche Aufnahme finden. Und dies um so eher, je stärker Bulgarien unterdessen geworden und je mehr Russland in diesem Krieg geschwächt worden sei. Die Tendenz Bulgariens werde also auf die Dauer immer der Politik der Zentralmächte entgegenlaufen, während die Interessen der Zentralmächte und Griechenlands - nach Ansicht Seiner Majestät des Königs und des Generalstabs - vollkommen identisch seien.

In Bulgarien sieht Griechenland den Feind. Immerhin können sich doch Verhältnisse ergeben, die eine gewisse Annäherung zwischen den beiden Staaten ermöglichen. Hierauf kam Oberst Stratigos heute in einem vertraulichen Gespräche, in welchem er diesmal teilweise vielleicht nur seine eigenen Anschauungen wiedergab.

Stratigos betonte zu Beginn des Gespräches nochmals die ausserordentlich schwierige Lage des Königs, dessen Schritte unbedingt geheim bleiben müssten und führte dann aus, dass die Verhandlungen mit Bulgarien infolgedessen nur durch Deutschland geführt werden könnten und zwar mit der Begründung, dass man Griechenland, um es neutral zu halten, gewisse Kompensationen zubilligen müsse; von einer Anregung zu diesen Verhandlungen von Seiten des Königs dürfe jedoch auch in Sofia keinesfalls irgend etwas verlauten, da Seine Majestät der König sonst in die allerschlimmsten Schwierigkeiten kommen würde. Die Gründe welche Deutschland für die Griechenland zu gewährenden Kompensationen ins Feld führen könne, seien immerhin schwerwiegend. Denn dass Griechenland, wenn es auf die Seite der Entente träte, weitgehendste Unterstützung bei den Mächten der Entente finden würde, sei wohl sicher. Bulgarien würde in diesem Falle einen harten Kampf um die erstrebten Gebiete führen müssen, den es bei einer friedlichen Einigung mit Griechenland vermeiden könne. Deutschland könne so die für die Politik Seiner Majestät des Königs notwendigen Unterlagen in die Hand bekommen, von denen Seine Majestät der König natürlich öffentlich erst Gebrauch machen könne, wenn hier die Entscheidung gefallen, d.h. wenn Venizelos, der sich wohl nie zu den Anschauungen des Königs durchringen werde, zum zweiten Male vom Schauplatz abgetreten ist. Dann sei es, trotz des tief eingewurzelten Misstrauens der Griechen gegen die Bulgaren, auch sehr wohl möglich, dass unter der Führung Deutschlands engere Beziehungen zwischen Griechenland und Bulgarien hergestellt werden, da sich Deutschland ja genügenden Einfluss auf Haltung Bulgariens wahren werde.


von Falkenhausen


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