Herr Außenminister,
Wie in meinem ergebenen Bericht Nr. CXVIII [118] vom 16. dieses Monats erwähnt, begab sich Seine Exzellenz der Kriegsminister Enver Pascha auf eine Inspektionsreise nach Smyrna und Adalia.
Diese Reise hätte ihn beinahe das Leben gekostet, denn zwei Offiziere der Garnison Konstantinopel, die ihm gefolgt waren, versuchten ihn umzubringen, als sein Zug am 9. oder 10. dieses Monats am Bahnhof in Afion Karahissar hielt.
Von diesem Geschehnis hat der Kgl. Konsul in Smyrna [Alfred van der Zee] folgendes berichtet:
Auf dem Weg nach Smyrna fand ein Mordversuch statt, der glücklicherweise fehlschlug. Als der Zug in Afion Karahissar einlief, versuchten zwei angebliche Zivilisten in sein Abteil einzudringen, wurden aber von bereitstehenden Wächtern abgefangen und überwältigt. Den Gefangenen wurden Handschellen angelegt und beim Durchsuchen Dokumente gefunden, die bewiesen, daß sie in Konstantinopel stationierte Armeeoffiziere waren. Diese Papiere wurden zusammen mit einer beachtlichen Summe Geldes, die bei ihnen gefunden wurde, einbehalten und mit den in Ketten gelegten Offizieren in die Hauptstadt zur Aburteilung gebracht.”
Der Verlust Enver Paschas hätte zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich zu einer Katastrophe in der Geschichte der Türkei geführt, zumal er der Eckpfeiler im jetzigen System ist und nicht ersetzt werden kann.
Enver Paschas Bedeutung ist besonders auf seine große Energie und unglaublichen Verwegenheit zurückzuführen, und auf das Glück, dass ihm bei allem, was er getan hat, immer gefolgt ist.
Er ist ein gutes Beispiel dafür, zu was es ein ausgesprochener Fatalist, der seinem Ruf folgt und den Willen hat, heutzutage im Orient bringen kann.
Er ist so daran gewöhnt Glück zu haben, dass ihm nichts unmöglich erscheint, und darin scheint die Erklärung für viele seiner Handlungen zu liegen.
Niemand – nicht einmal seine Freunde und eifrigsten Anhänger – kann verstehen, wie es ihm gelungen ist, die radikalen Veränderungen, die er im Heer anscheinend mit Erfolg in unglaublich kurzer Zeit durchgeführt hat, lebend zu überstehen.
Das türkische Heer erwies sich während der Balkankriegen als demoralisiert und fast wertlos. Die Offiziere dachten zu allererst daran, ihr Leben zu retten, weil sie wussten, das ihre Frauen und Kinder im Elend zugrunde gehen würden, wenn sie in der Schlacht fielen (eine türkische Offizierswitwe mit Kindern bekommt 2½ türkische Pfund Rente im Monat), aber diesen leidigen Umstand hat Enver Pascha im jetzigen Krieg beendet, indem er befahl, dass jeder Offizier, der versucht sein Leben zu schonen, auf der Stelle erschossen werden soll.
Selbst im gefahrvollsten Kampf ist der türkische Offizier deshalb weniger dem Tode nahe als wenn er an einem Ort Schutz sucht, wo ihn die Kugeln des Feindes nicht erreichen können.
Von der Haltung der Offiziere hängt der Wert der türkischen Truppen ab. Sie folgen solchen Offizieren blind in den Tod, die sie in den Kampf führen und sofort den Mann niederschießen, der ihnen nicht folgt. Aber sie flüchten, wenn sie sehen, dass den Offizier der Mut verlässt.
Ich habe einmal gesehen, wie das Glück Enver Pascha verließ, als er Ende 1914 entgegen den Warnungen der deutschen Generalstabsoffiziere einen halsbrecherischen Feldzug im Kaukasus unternahm, der zur Vernichtung des türkischen Heers führte.
Ebenfalls missglückte im Balkankrieg vollständig die von Enver Pascha persönlich geplante Expedition nach Charköj [Sarköy] (um den Bulgaren bei Tchataldja [Chataldja] in den Rücken zu fallen), aber im Anschluss daran gab es die gelungene Wiedereroberung Adrianopels, welche das Volk die erlittene Niederlage vergessen ließ. Nach der Niederlage im Kaukasus wurde das Geschehene geheimgehalten, und Enver Pascha kehrte nach all den Unbillen, die er durchgemacht hatte, nach Konstantinopel mit einem ungetrübten Glauben an seinen Glücksstern zurück.
Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster