Der Vortrag, den Herr Dr. Armin Wegner am 19. d.M. in der Urania über die Austreibung der Armenier in die Wüste gehalten hat, ist im wesentlichen eine Wiederholung seines „Offenen Briefes“ an den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er ging davon aus, seine Rede sei ein Vermächtnis, das er den Sterbenden und Toten gegeben, die er in der Wüste gesehen habe. Deutschland als Verbündeter der Türkei könne eine moralische Mitverantwortung nicht ablehnen. Die Deutsche Regierung habe wiederholt dagegen protestiert, aber es bliebe die Schuld, daß sie in Unkenntnis der türkischen Psyche dieses nicht in der richtigen Weise getan und zu viel menschliche Rücksicht auf die Zukunft des eigenen Volkes genommen habe.
Das deutsche Volk sei über die Vorgänge in Unkenntnis gehalten und auf das schändlichste belogen worden. Deutsche Offiziere hätten den Rat zur Räumung der Kriegsgebiete gegeben, wie solche Räumung ja auch anderwärts geschehen sei. Aber was sei unter den Händen der Türken daraus geworden!
Eine Veröffentlichung über die Haltung der Deutschen Regierung stände bevor. Bis dahin wolle er in seinem Urteil zurückhalten. Die gekennzeichnete moralische Mitverantwortung würde aber wohl bestehen bleiben.
Ehe der Vortragende zur Vorführung der Lichtbilder überging, die den größten Teil des Abends einnahmen, erklärte er, daß ihm seine eigenen Photographien größtenteils verdorben seien und daß er dafür solche von früheren Massakres zeigen werde. Des Publikums, unter dem eine ganze Anzahl Türken und Armenier waren, bemächtigte sich bei der Vorführung der zum Teil recht grausigen Bilder eine steigende Erregung, die wohl auch dadurch genährt wurde, daß es an einigen scharfen Urteilen über die Türken nicht fehlte. So führte der Vortragende ein Sprichwort an, das, wenn ich recht verstanden habe, etwa lautete: „Der Türke kann vielleicht klug werden, aber er kann nie ein Mensch werden“. Als der Vortragende von der Folterung der Armenier durch die Türken sprach, dabei aber ein Lichtbild zeigte, auf dem die Bastonnade durch Perser dargestellt wurde, machte sich die Erregung in stürmischen Protesten Luft, die zu Prügeleien zwischen Armeniern und Türken führten. Der Vortrag mußte für einige Zeit unterbrochen werden. Nach der Unterbrechung wies Dr. Wegner auf seine einleitenden Worte über sein photographisches Material hin und erklärte, daß er selbst die Absicht gehabt habe, eine erläuternde Bemerkung zu dem Bilde zu machen, das die Proteste hervorgerufen habe. Er fügte hinzu, daß er nicht das türkische Volk für die beklagenswerten Ereignisse verantwortlich mache, sondern die Führenden, seien sie in der Regierung oder im Komitee zu suchen.
Auf Wunsch des Direktors der Urania ließ der Vortragende im zweiten Teil eines der aufregendsten Greuelbilder aus. Der Vortrag konnte zu Ende geführt werden.
Nach dem Vortrag machte ich Herrn Dr. Wegner darauf aufmerksam, daß seine Behauptung, deutsche Offiziere hätten den Rat zur Verschickung gegeben, nicht zutreffe. Er erklärte, er habe nur sagen wollen, die Türken hätten behauptet, der Rat sei von deutschen Offizieren gegeben worden.
Herr Dr. Wegner hatte im Laufe des Vortrags unter anderem auch gesagt, die Armenier hätten an den Türken für die Greuel dadurch Rache genommen, daß der unter ihnen ausgebrochene Flecktyphus auf die türkische Armee übergegangen sei und auch den Feldmarschall von der Goltz dahin gerafft habe. Auch hierzu erklärte mir der Vortragende, daß es ihm fern gelegen habe, den Feldmarschall mit der Rache der Armenier in Verbindung zu bringen. Er habe nur sagen wollen, daß der Feldmarschall ein Opfer der Seuche geworden sei.
[Anmerkung Göppert]
„Berliner Abendzeitung“ (20.3.1919)
Ein stürmischer Vortragsabend in der Urania.
Türkisch-armenische Konflikte in der Urania.
Bald aber gab es bei einem Bilde wieder erregte Zwischenrufe. Einige Türken schrieen: Das Bild sei gefälscht und gerieten mit den anwesenden Armeniern in heftige Auseinandersetzungen. Ein Logenbesucher rief in den Saal: Die türkische Kolonie wird sich diese Verleumdung nicht bieten lassen und dazu Stellung nehmen.
Im Parterre kam es zwischen Vertretern der beiden Nationalitäten zu einer regelrechten Prügelei. Nur mit größter Mühe gelang es, die Ruhestörer zu entfernen und den Vortrag zu Ende zu führen. Aber in der Garderobe ging die Schlägerei von neuem wieder los.
Die Streithähne wurden von den Theaterdienern auf die Straße befördert. Aber auch auf der Straße setzten sie das Handgemenge fort. Ein Armenier, der mit dem Revolver herumfuchtelte, wurde Schutzleuten übergeben und abgeführt.
[Ein weiterer Artikel der Vossischen Zeitung ist bis auf den Eingangssatz „in dem sonst so friedlichen“ identisch]