Euerer Exzellenz beehre ich mich, in der Anlage eine von dem diesem Konsulat beigegebenen armenischen Hilfsbeamten Simon Agabalian verfasste Darstellung armenischer Umtriebe in Dörtjol gehorsamst zu überreichen.
Irgendwelche Haftung für die Zuverlässigkeit des Berichtes vermag ich nicht zu übernehmen, glaube aber, dass die Sache im Ganzen zutreffend geschildert ist.
Die gegen den Schluss des Berichtes von Herrn Agabalian geäusserte Ansicht über den Schutzwert der gegenwärtigen deutsch-türkischen Beziehungen für die ottomanischen Christen entspricht schwerlich seiner persönlichen Ueberzeugung, noch viel weniger aber der allgemein erkennbaren Anschauung, dass Deutschland als Schutzmacht gar nicht in Betracht kommt.
Die Unruhen in Dörtjol.
Dieser Umstand und das Mißtrauen der in der Umgebung wohnenden Türken den Armeniern gegenüber haben die Aufmerksamkeit der Regierung auf dieselben gelenkt, umsomehr, weil die Bewohner von Dörtjol sich während der letzten Massaker gegen die Türken verteidigt haben.
Nach der Beschießung der türkischen Häfen seitens der englischen Kriegsschiffe sind öfters Engländer ungestört auf das Land gekommen, haben sich nach Dörtjol zu den Armeniern begeben und haben dort Einkäufe gemacht. Aus Gewinnsucht haben manche Armenier mit den Engländern Geschäftsverkehr gehabt, zur Unzufriedenheit anderer, welche merkten, daß die Regierung alles beobachtete und einmal für das Vorgehen einzelner Personen alle verantwortlich machen werde.
Vor einigen Wochen begibt sich ein früherer Deserteur namens Saldschian, der seine Erziehung bei den hiesigen Jesuiten genossen hat und an der armenischen Schule als Lehrer der französischen Sprache angestellt war nach Dörtjol. Seit zwei Jahren befindet er sich in Cypern und ist jetzt wahrscheinlich in den englischen Dienst eingetreten. Er geht in Begleitung eines Armeniers aus Alexandrette nach Dörtjol und bleibt dort 6 7 Tage. Man kann fast bestimmt sagen, daß er die Bewohner für den fremden Dienst zu gewinnen versucht hat. In welchem Maße es gelungen ist kann man nicht genau feststellen, und einige Kaufleute behaupten, daß die Mission Saldschians privater Natur sei und mit der Allgemeinheit nichts zu tun habe. Die Notabeln der Ortschaft haben von dem ganzen Vorgang keine Kenntnis gehabt und manche sind nicht einmal dort gewesen.
Saldschian hat sich Ausweispapiere angeschafft und sich als Kaufmann vorgestellt. Sogar die Polizei hat von seiner Anwesenheit Kenntnis gehabt. Nach der Rückkehr Saldschians auf das englische Kriegsschiff wird die Polizei durch reinen Zufall auf den falschen Kaufmann aufmerksam und hat nur den Begleiter festnehmen können.
Wenige Tage nachher begibt sich wieder ein Armenier namens Köschkerian aus der Ortschaft Odschakli vom Kriegsschiff auf das Land. Dieser befand sich, nachdem seine Frau während der Massaker seitens der Türken ermordet war im Ausland. Dieser soll auch einen Betrag von 40 Ltq. mit sich geführt haben.
Aus allen Vorgängen und Erscheinungen kann man nicht den Schluß ziehen, daß die Armenier irgendeine Organisation zwecks Verschwörung oder Revolution gehabt haben. Aber sicher ist es schon, daß das Erscheinen der Kriegsschiffe und das agressive Vorgehen derselben seitens der Mehrzahl der gesamten christlichen Bevölkerung im allgemeinen und speziell von den Armeniern mit Freude begrüßt werden, und wenn es einmal den Engländern oder Franzosen gelingt auf das Land zu kommen, dann werden sie von allen Christen mit Jubel empfangen werden.
Auf das dringende Verlangen der türkischen Bevölkerung der benachbarten Wohnstätten um die Abschaffung der Armenier aus Dörtjol, zwecks Vermeidung irgendeiner Eventualität, sowie wegen Festnahme der Deserteure hat die Regierung alle Bewohner männlichen Geschlechts in einer Nacht festgenommen und aus der Gegend entfernt. Man hat sie unter strenger Aufsicht nach Aleppo geschickt und verwendet sie für Straßenbau. Während der Festnahme haben die Armenier volle Ergebenheit gezeigt und haben sich gegen die Regierung gar nicht gewehrt. Drei Leute sind bei der Flucht erschossen worden. Auch diese sollen von Waffen keinen Gebrauch gemacht haben.
Über die Bewaffnung der Armenier weiß man nichts genaues. Näheres wird die angestellte Untersuchung zeigen.
Man sagt auch, daß der Wali von Adana seine Zufriedenheit ausgesprochen habe, weil die Armenier sich ohne Widerstand ergeben haben, und die Befürchtungen seiner Kritiker (unter anderem Akiah Bey, in Osmanié) sich ganz grundlos bewiesen haben.
Das Vorgehen der Militärbehörden während der Festnahme hat ohne irgendeine Missetat und Exzesse stattgefunden. Die Lage der in Dörtjol gebliebenen Bevölkerung, meistens Frauen und Kinder, gibt zur Zeit zu Besorgnissen keinen Anlaß. Die Armut ist eine gewöhnliche Erscheinung im Lande.
Die armenische Gemeinde und ihre Vertretung, sowie der Gemeindevorsteher und der Katholikos sind einfache Zuschauer und mißbilligen jede unvorsichtige Tat der einzelnen. Sie tun das ihrige bloß um den armen hilflosen Frauen und Kindern zur Hilfe zu kommen; sonst verhalten sie sich zurückhaltend und warten den Beschluß des Kriegsgerichts ab.
Es wird hie und da auch von Massaker geredet. Man meint aber daß es ein glücklicher Zufall sei, daß die Türken sich mit den Deutschen alliiert haben. Diese würden jedes brutale und ungerechte Vorgehen mißbilligen und es unmöglich machen.
Von fremder Propaganda ist nichts zu erfahren. Mr. Chambers treibt nur kirchliche Propaganda und wird von den Armeniern gregorianischer Konfession nicht nur nicht geduldet, weil er während und nach dem Massaker zu Ungunsten der Armenier gesprochen und berichtet hat, sondern auch wegen seines fanatisch protestantischen Auftretens einfach vermieden. Er hat mehr auf die protestantischen Armenier Einfluß und hat nicht einmal gesellschaftlichen Verkehr mit dem armenischen Gemeindevorsteher.
Adana, den 12. März 1915.