1915-11-03-DK-001
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Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1, ”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 1, til 31 Dec. 1916
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 11/03/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 160
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/02/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 160

Konstantinopel, 3. November 1915.

Vertraulich.

Herr Außenminister,

Die Ernennung des einflussreichen und deutschfreundlichen Halil Bey zum türkischen Außenminister muss wohl als ein deutscher diplomatischer Erfolg angesehen werden.

Die hiesige deutsche Botschaft hatte es schwer, ihren Einfluss geltend zu machen, solange der nominelle Chef der Regierung, Großwesir Prinz Said Halim, der nur wenig zu sagen hat, amtierender Außenminister war, und sie musste sich oft, wenn sie etwas durchsetzen wollte, direkt an Talaat Bey zu wenden, welcher in der letzten Zeit nicht immer so gefügig war, wie die Deutschen sich das wünschten.

Sowohl Bethmann Hollweg [Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg] als auch von Jagow [deutscher Außenminister Gottlieb von Jagow] haben denn auch schnellstens seiner Exzellenz Halil Bey sehr herzliche Glückwunschtelegramme aus Anlass seines Regierungsantritts gesandt. Inwieweit der deutsche Einfluss hier jetzt zunehmen wird, ist noch schwer zu beurteilen; es wird u.a. davon abhängen, mit wie viel Takt dieser ausgeübt wird.

Der mächtige und unbestechliche Talaat Bey ist, wie oben erwähnt, kein unbedingter Freund der Deutschen; er wurde in letzter Zeit offenbar immer chauvinistischer, und obwohl er zurzeit anscheinend auf sehr freundschaftlichem Fuß mit Halil Bey steht, wird die deutsche Diplomatie gut daran tun, an ihn nicht zu große Erwartungen zu knüpfen.

Talaat und Halil sind beide ehrgeizig; sie trachten beide danach, Großwesir zu werden, und um bei diesem Wettbewerb als erster ins Ziel zu gelangen, vertraut Halil offenbar auf die Hilfe Deutschlands.

Obwohl Talaat im Augenblick Enver und Halil am nächsten steht und sie unterstützt, ist er gleichzeitig um ein gutes Verhältnis zu dem moderaten und fast gleich mächtigen Gouverneur des Vilajets Aidin (Smyrna), Rahmy Bey, bemüht, der sich zum wiederholten Mal den Befehlen des Komitees und Envers widersetzt hat, und den er als seinesgleichen behandelt; insgesamt scheint er der klügste Politiker im Triumvirat und der unberechenbarste zu sein.

Zwischen dem moderaten Rahmy Bey in Smyrna und dem französisch-freundlichen Djemal Pascha in Damaskus herrscht wahrscheinlich Einvernehmen darin, einem allzu großen deutschen Einfluss in der Türkei entgegenzuwirken.

Djemal Pascha fühlt seine Stellung von den Deutschen bedroht, die es am liebsten sehen würden, wenn ihm das Oberkommando der Ägypten-Expedition entzogen und einem Deutschen übertragen würde. Und es ist sehr gut möglich, dass der in meinem Bericht Nr. CLIX [159] vom 1. d. M. erwähnte Konflikt, in den er jetzt verwickelt ist, durch zielgerichtete Intrigen verursacht ist.

Mein holländischer Kollege [Jonkheer van der Does de Willebois], der seinen Posten hier seit 1908 innehat und davor 20 Jahre lang diplomatischer Agent und Generalkonsul im Kairo war, kennt die Verhältnisse hier und in Ägypten gut und steht auf sehr gutem Fuß mit den führenden Männern der hiesigen deutschen Militärmission. Ich lege großen Wert auf seine Meinung, was die wirklichen Ziele der Deutschen für Ägypten anbelangt, und ich hatte heute ein Gespräch mit ihm zu diesem Thema.

Der Gesandte sagte mir, er glaube nicht, dass trotz all der Versprechen, die die Deutschen den Türken eventuell hatten machen müssen, die Deutschen wirklich beabsichtigen, den Türken zu helfen, Herr über Ägypten zu werden.

„Die Deutschen sehen sehr klar“, sagte er, „dass sie selbst im günstigsten Fall die Engländer nicht aus Ägypten verdrängen können, und dass in jedem Fall die Engländer unter keinen Umständen Frieden schließen werden, ohne dass Ägypten ihnen zurückgegeben wird. Sie werden darum, sollten die Türken Kairo erobern, nach dem Krieg in die unangenehme Situation kommen, ihre türkischen Freunde bitten zu müssen, Ägypten zu räumen, welches einen Konflikt mit sich bringen könnte, der die deutsch-türkische Freundschaft gänzlich kompromittiert.“

„Deshalb glaube ich,“ fügte der Gesandte hinzu, „dass die Deutschen es am liebsten sähen, wenn die Türken nicht allzu erfolgreich in Ägypten wären, und dass ihre Pläne vielleicht zurzeit nur darauf hinauslaufen, schwere Artillerie auf der neuen Eisenbahnlinie, die sie in der Wüste in Richtung Suezkanal bauen, zu transportieren, um aus einem Abstand von 10 – 12 Kilometern den Kanal zu beschießen und jeglichen englischen Verkehr durch diesen zu verhindern.

Die deutschen Soldaten, die die schwere deutsche Artillerie bedienen sollen, die - wenn der Weg durch Serbien frei ist - zu den Dardanellen und zum Suezkanal in Stellung gebracht wird, befinden sich schon hier in Konstantinopel.

Djemal Pascha hat allerdings viele Anhänger im Heer unter den jüngeren Offizieren, also wird die Regierung wahrscheinlich versuchen, Streit mit ihm zu vermeiden.

Die Regierung scheint nämlich zurzeit in solchen Fällen recht vorsichtig zu Werke zu gehen. Sie hat sich zum Beispiel darum bemüht, dass Prinz Said Halim weiterhin Großwesir blieb, als er sich aus Verdruss darüber, den Geschäftsbereich des Außenministers verloren zu haben, ganz aus der Regierung zurückziehen wollte.

Said Halim hat zwar nicht viele Anhänger, aber er ist reich, und die Regierung war darauf bedacht, nicht zu riskieren, dass er sich der Opposition anschließt.

Es liegt jedoch nahe anzunehmen, dass Said Halim, der weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann er sein Amt als Großwesir verliert oder er auf bloßes Repräsentieren reduziert wird, jetzt den Anschluss an Djemal Pascha, Rahmy Bey, Djavid Bey und deren Freunde suchen wird.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich Ihr ergebenster


[Wandel]



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