1915-11-04-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/171
Botschaftsjournal: A53a/1915/6381
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Telegramm-Abgang: 11/04/1915 07:00 AM
Telegramm-Ankunft: 11/06/1915 10:45 AM
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 60
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Vizekonsul in Mossul (Holstein) an die Botschaft Konstantinopel

Telegraphischer Bericht



No. 60
Mossul, den 4. November 1915

Wie ich höre hat Freiherr v. d. Goltz der 4t. Armee Befehl erteilt, Truppen zur Unterdrückung des Aufstands nach Midiat zu entsenden. Ich mache darauf aufmerksam, daß es den Tatsachen nicht entspreche, wollte man die zwischen Midiat und Mardin (bei Azik) sich verschanzt habenden Christen (Syrier und ein kleiner Teil Armenier), gegen welche obige Truppen vorgehen sollen, als Rebellen ansprechen und behandeln. Es sind jene vielmehr Christen, die sich vor den Massacres haben flüchten können und nun ihr Leben verteidigen anstatt sich wie Hammel abschlachten zu lassen. Es ist anzunehmen, daß, wenn die türkischen Truppen Azik gestürmt haben werden, keiner von den dortigen Christen am Leben bleiben wird. Andererseits könnte noch jetzt die Angelegenheit ohne Blutvergießen erledigt werden, wenn man mit den Belagerten in Unterhandlungen eintrete und ihnen gegen Waffenablieferung Abzug und Ansiedlung in Mesopotamien zubilligen würde. Da nach den bisherigen Erfahrungen die Christen dem Worte der türkischen Regierung kein Vertrauen mehr schenken können, wäre es erforderlich, dass den Verhandlungen ein deutscher Offizier oder Konsulatsbeamter beiwohnte. Ich schlage Herrn von Scheubner-Richter vor, dessen Truppen ebenfalls gegen Azik gesandt werden sollen und der daher nicht vor Erledigung jener Angelegenheit weiter kann. Auch ich selber wäre bereit weiter nach Azik zu gehen. Zu den Verhandlungen mit den Belagerten müsste auch hiesiger syrischer Bischof zugezogen werden. D. hiesige Wali, der meiner Ansicht ist, wäre ebenfalls bereit uns zu begleiten. Er hat in dieser Sache bei seinem Ministerium keine Anträge gestellt, es könnte ihm dies als Intrigenspiel gegen den Wali von Diarbekir ausgelegt werden. Würde Angelegenheit in vorgeschlagener Weise angefasst, so glaube ich für einen raschen und befriedigenden Erfolg garantieren zu können. Stelle gehorsamst anheim, Generalfeldmarschall Frhr. v. d. Goltz vorstehendes zu unterbreiten.

[Holstein]

[Aufzeichnung des Militär-Attachés (Lossow) (B. No. 59) 6.11.]

Feldmarschall Goltz hat mir heute folgende Aufklärung gegeben:

1.) Türkische oberste Heeresleitung hat schon vor längerer Zeit an die 4. Armee (Djemal Pascha) Befehl gegeben, Ruhe und Ordnung in dem Gebiet zwischen Mardin und Midiad wieder herzustellen. Dieser Befehl kam nicht zur Ausführung, weil die Truppen der 4. Armee zu weit entfernt waren.

2.) Inzwischen ist die Sache an Feldmarschall Goltz übergegangen. Er hat, um die Truppen der 51. und 52. Division, die möglichst rasch nach Bagdad rücken sollen, nicht aufzuhalten, einem Detachement der 3. Armee unter Oberst Nadschi Bey, der vermutlich auf dem Wege nach dem östlichen Kaukasus ist (Parallelunternehmen zu Scheubner-Richter), den Auftrag gegeben, die Ordnung dort herzustellen. Nadschi Bey meldet, die Aufständigen hätten sich im Gebirge an einer unzugänglichen Stelle verschanzt.

Nadschi Bey ist Feldmarschall Goltz und auch mir persönlich als ein durchaus zivilisierter Offizier bekannt, sehr verständig, war lange in Deutschland, spricht fliessend deutsch. Feldmarschall Goltz weiß nicht den genauen Standpunkt des Detachements Nadschi Bey. Feldmarschall Goltz ist sehr einverstanden, wenn sich [unleserlich korrigiert], sowie der dortige Wali zu Nadschi Bey begeben würden um die Angelegenheit in der vorgeschlagenen Weise zu erledigen. Nadschi Bey wird entsprechend Nachricht erhalten.

An Scheubner-Richter ist heute schon Befehl ergangen, wonach Feldmarschall Goltz nicht wünscht, daß sich ein deutscher Offizier in diese Dinge einmischt.

Es wäre also von der Botschaft an den Konsul entsprechendes Telegramm zu schicken. Schließlich bittet der Feldmarschall Goltz um eine Abschrift der an die Konsuln ergangenen Instruktion, wie sie sich zu der Armenierfrage zu stellen haben und wie überhaupt der Standpunkt des deutschen Auswärtigen Amtes und der Botschaft zu dieser Frage ist.1


v. Lossow

[Botschaft telegraphisch an Konsulat Mossul (No. 71) 7.11.]

Antwort auf Tel. No. 60.

Feldmarschall Frh. v. d. Goltz hat dem Mil. Att. folgende Aufklärung gegeben:2

[1.) Türkische oberste Heeresleitung hat schon vor längerer Zeit an die 4. Armee (Djemal Pascha) Befehl gegeben, Ruhe und Ordnung in dem Gebiet zwischen Mardin und Midiad wieder herzustellen. Dieser Befehl kam nicht zur Ausführung, weil die Truppen der 4. Armee zu weit entfernt waren.

2.) Inzwischen hat der Feldmarschall einem Detachement der 3. Armee unter Oberst Nadschi Bey den Auftrag gegeben, die Ordnung dort herzustellen. Nadschi Bey meldet, die Aufständigen hätten sich im Gebirge an einer unzugänglichen Stelle verschanzt.]

Nadschi ist ein gut deutsch sprechender, sehr verständiger Offizier; Frh. v. d. Goltz3 (ist sehr einverstanden, wenn sich der deutsche Konsul von Mossul, sowie der dortige Wali zu Nadschi Bey begeben würden um die Angelegenheit in der vom Konsul vorgeschlagenen Weise zu erledigen. Nadschi Bey wird entsprechend Nachricht erhalten.) Ew. Ex. anheimstelle ich danach Weiteres im Benehmen mit Wali und Nadschi Bey, ev. unter Beteiligung syrischen Bischofs. Drahtbericht.


[Botschaft telegraphische an Konsulat Mossul (No. 72) 8.11.]

Auf Tel. No. 60 und im Anschluß an No. 71.

Ich habe Zustimmung dazu gegeben, daß Detachement Nadji Bey zum Schutz mohammedanischer Einwohner abrückt, über Scheubners Truppe nicht verfügt. IV. Armee wird von Djemal Pascha kommandiert und hat auf Befehl aus großem Hauptquartier stärkeres Detachement gemischter Waffen nach Gegend Midiat entsendet. Großes Hauptquartier ist von mir benachrichtigt. Scheubner-Richters Einmischung bei Midiat unzulässig. Goltz.

Zusatz des Militär-Attachés:

1.) Wie ich höre ist Detachementsführer Nadji Bey nicht identisch mit dem Oberst gleichen Namens, der dem Feldmarschall Goltz und mir persönlich bekannt ist.
2.) Nach Mitteilung Großen Hauptquartier will dieses den bei Midiat befindlichen Detachementführern Anweisung geben, womöglich die Angelegenheit in Verbindung mit Wali gütlich zu regeln.

Lossow. Nr. 78.
[Holstein telegraphisch an Botschaft (No. 63) 10.11.]
Dringend. Antw. auf Tel. 71.
Wali ablehnt jetzt meine Teilnahme an der Erledigung fraglicher Angelegenheit entschieden, da er es mit seinem Prestige für unvereinbar hält dass ich, in meiner Eigenschaft als Konsul, bei Durchführung von Massnahmen mitwirke die "ganz interne" Angelegenheiten der türkischen Regierung betreffen. Ich führe neue Haltung Walis auf den Einfluss Chalil Beys und dessen Leute zurück. Wali ist indessen nach wie vor bereit mit Nadschi Bey und den in Betracht kommenden hiesigen Geistlichen (ohne mich) die Angelegenheit in der vorgeschlagenen Weise durchzuführen und ist eines Erfolges sicher. Er stellt Feldmarschall Frhr. v.d.Goltz anheim entsprechende Weisungen des Ministers des Innern an ihn (Wali) zu erwirken, bittet aber auf den in dieser Beziehung zwischen Konsulat und Botschaft stattgefundenen Meinungsaustausch nicht Bezug zu nehmen.

Der Wali von Diarbekir ist inzwischen nach Constantinopel zitiert worden; dieses erleichtert es d. hiesigen Wali mit der Durchführung fraglicher Angelegenheit zu betrauen.

[Botschaft telegraphisch an Konsulat Mossul (No. 76) 12.11.]

Mit Bez. auf Tel. No. 63 v. 9 [Irrtum: 10.]/XI.
Kriegsminister wünscht friedliche Beilegung mit den Aufständigen bei Hazik gegen sofortige Waffenniederlegung, lehnt jedoch Beteiligung von deutschen Offizieren und Beamten ab. IV. Armee und Vali von Diarbekir in gleichem Sinne benachrichtigt. Ich werde Weisung für Vali bei Minister des Innern befürworten.
Goltz.



1Diese Frage wird in den Instruktionen an die Konsulate behandelt, die sich als Anlage in Dokument 1915-11-12-DE-013 befindet.
2Die eckige Klammer umfaßt Punkt 1.) und 2.) der Lossow’schen Aufzeichnung, in nachfolgender gekürzter Fassung:
3Die runde Klammer umfaßt folgenden Teil der Lossow’schen Aufzeichnung.




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