1916-03-14-DK-002
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Quelle: DK/RA-UM, /2-0355, Konstantinopel/Istanbul, diplomatisk repræsentation, 1914-1921. Kopibog, 1916 03 06 – 1919 09 22”
Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 05/14/1916
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 25
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht



Nr. 25

Konstantinopel, 14. März 1916

Werter Herr Außenminister!

Als ich beim gestrigen Empfang auf Ahmed Riza Beys Anfragen im Parlament zu sprechen kam, sagte der Außenminister [Halil Bey], dass die Regierung ihn toleriere und aufgrund seiner früheren Verdienste keine disziplinären Maßnahmen gegen ihn ergreifen wolle. „Ahmed Riza sieht sich selbst als Jungtürke“, sagte der Minister, „und meint, dass wir anderen dies nicht sind.“ Die Regierungsmitglieder wirken in den letzten Tagen besorgt und verstimmt, und sie haben sich seit Sonntag nicht im „Cercle d’Orient“ sehen lassen, wo sie sonst tägliche Stammgäste sind.

Die innere politische Situation und die Ambitionen Deutschlands hier, die militärische Situation in Asien und die Haltung Rumäniens, die Angst vor einem Bruch zwischen Deutschland und Amerika, die Anwesenheit von französischen und englischen Landungstruppen auf Mytilene und Samos und die einer englischen Transportflotte bei Rhodos, sowie die Position Griechenlands in der Vurlafrage usw. lässt sie an anderes denken, und je mehr Territorium sie in Armenien und Mesopotamien verlieren, desto stärker schwelt auch der angeborene Hass gegenüber den Bulgaren, an die sie den Distrikt Demotica abtraten in der Hoffnung, Ausgleich im Kaukasus, in Georgien und in Ägypten zu bekommen. Gestern ist der hiesige bulgarische Gesandte nach Sofia gereist, und gleichzeitig ist der türkische Gesandte aus Sofia hier angekommen.

Die deutsche Botschaft hofiert den griechischen Gesandten. „Es geht Deutschland offenbar schlecht“, sagte mir der Gesandte heute, nachdem er zum Mittagessen beim Botschafter war, „sie sind so liebenswürdig und wollen uns unbedingt unterstützen in der Vurlafrage, was ein schlechtes Zeichen ist.“.

Die Sache ist die, dass man in der deutschen Botschaft besorgt ist über die vielen politischen Fehler, die die hiesige Regierung begeht, und man empfindet es als höchst unpassend, dass die Türkei jetzt Griechenland provoziert, indem sie die griechische Bevölkerung aus Vurla fortjagt.

Enver Pascha und die deutschen Offiziere sehen nur die „militärischen Notwendigkeiten“, aber der deutsche Botschafter Graf Metternich sieht die politischen Dummheiten, die sie oft machen, und will sie davor bewahren, wenn auch mit weniger Energie als sein Vorgänger Freiherr von Wangenheim, welcher größere Autorität besaß und es in kritischen Momenten oft verstand, so energisch einzugreifen, dass sowohl die türkische Regierung, das Komitee, als auch die deutschen Offizieren vor Ort sich seiner größeren Einsicht in die Erfordernisse der politischen Situation beugten.

Daher ist die allgemeine Meinung, dass Graf Metternich nicht der richtige Mann ist, und dass die Botschaft nur aufgrund der guten Organisation einigermaßen funktioniert. Die Zentralmächte senden jetzt etliche muslimische Kriegsgefangene hierher – französische und englische Soldaten aus Algier, Marokko, Tunis und Indien usw.– die man hier als Untertanen des Kalifen betrachtet und in das türkische Heer aufnimmt.

Der griechische Gesandte hat sich letztlich bei mir bitter darüber beklagt, dass die türkischen und bulgarischen Behörden die Kuriere der hiesigen Gesandtschaft, die ihre Post von und nach Athen befördern, nicht durchlasse, und dass sie sie aufhielten und durchsuchten, so dass er längere Zeit ohne Postverbindung mit seiner Regierung gewesen sei.

Der Gesandte hat mir jedoch nicht den Grund für die merkwürdige Behandlung der Griechen genannt, aber aus sicherer Quelle erfahre ich jetzt, dass die Ursache dafür eine „Affäre“ ist, die der Gesandte, der selbst nichts davon wusste, nicht erwähnen will und deren er sich verständlicherweise schämt. Die griechischen Kuriere und einige in der Gesandtschaft angestellte untere Funktionäre haben ihre Stellung missbraucht, um ein umfassendes und einträgliches Geschäft zu betreiben, indem sie gegen Bezahlung Briefe aus Konstantinopel an die Länder, mit denen die Türkei im Krieg liegt, entgegennahmen, und via Athen weiterleiteten und vice versa.

Jeder griechische Kurier transportierte eine große Anzahl solcher Briefe, und es endete vor kurzem damit, dass sie entdeckt und festgenommen wurden. Über 25 Personen von hier, die in diese Affäre verwickelt waren, sind nun verhaftet, und ich verstehe jetzt besser, woher die vielen seltsamen Meldungen stammen, die ständig via Athen den englischen und französischen Zeitungen zugehen.

Der [dänische] Kammersänger Erik Schwedes [Schmedes] aus Wien kam hier am Sonnabend an, um am Abend ein Konzert zu geben. Er besuchte mich gleich nach seiner Ankunft und bewog mich dazu am Hof zu erwirken, dass er schon Montag nachmittag auf dem Schloss für den Sultan singen dürfe. Er erklärte mir nämlich, dass sein Engagement in Wien ihn dazu zwingt, schon am Dienstag Konstantinopel wieder zu verlassen, und dass er somit nur drei Tage hier bleiben könne. Am Tag nachdem er auf dem Schloss gesungen hatte, las ich jedoch in den Zeitungen, dass Herr Schwedes seine Abreise verschieben musste, „weil der Sultan nach ihm geschickt hatte“ und dass er deshalb am Freitag noch ein Konzert geben wird.

Ihr ergebener


C. F. Wandel



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