Abschriftlich Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg im Anschluß an Telegramm Nr. 44 gehorsamst überreicht.
Oberkommando der 5. Armee.
Unzählige kleine Unternehmungen gegen die kleinasiatische Küste sind zurückgeschlagen. Die Blockade durch die feindlichen Kriegsschiffe ist derart beschränkt worden, daß diese Schiffe gezwungen sind, an allen wichtigen Punkten von der Küste in erheblicher Entfernung abzubleiben, und nur aus großer Entfernung mit geringer Wirkung offene Ortschaften beschießen können.
Weniger günstig ist die Lage an der Ostfront. Trotz aller - über die Gebühr gefärbten - Erfolge besteht die Tatsache, daß die Russen 4 türkische Provinzen - Van, Bitlis, Erzerum und Trapezunt - in Besitz haben.
Die Operationen der III. und II. türkischen Armee leiden an dem Fehler, daß sie nicht einheitlich und zielbewußt geleitet werden. Die einheitliche Leitung ist lediglich eine ganz äußere. Im Grund verfolgen Wehib Pascha mit der III. Armee und der durch Mustafa Kemal Pascha beeinflußte sehr gutmütige Izzet Pascha ihre eigenen Pläne.
Daher ist auch wenig Aussicht vorhanden, daß eine einheitliche große Aktion, zu der alle verfügbaren Kräfte zusammengefaßt werden, dort zustande kommt, und die Russen durch einen entscheidenden Stoß gezwungen werden, das türkische Gebiet zu räumen.
Jeder der beiden Führer will für sich Teilerfolge erringen, Wehib Pascha mit größerer Energie, Izzet Pascha mit größerer Vorsicht.
Bei der VI. Armee im Irak scheint jede klar Führung zu fehlen. Halil Pascha ist alles andere als ein Armeeführer. Anstatt daß nach dem Erfolge von Kut-el-Amara die Engländer bei Fellalieh angegriffen wurden, und gezwungen wurden, einen Teil des Irak zu räumen, ließ Halil Pascha den sehr einflußreichen, klugen, aber sehr intriganten und wenig deutschfreundlichen Ichsan Pascha über Hanikin auf Kermanschan vorgehen und sich die billigen und von der türkischen Presse weit aufgebauschten Lorbeeren gegen einige russische Kavallerie-Regimenter (ca. 5) mit wenigen Bataillonen (2-3) erwerben.
Diese ganze Bewegung nach Persien ist als ein Luftstoß anzusehen, denn ernstlich kann der Erfolg dort nicht von Bestand sein, und zweitens hat der beabsichtigte Druck mit seiner unzuverlässigen und unmilitärischen - zum größten Teil feigen - Bevölkerung nicht den geringsten Einfluß auf die Entscheidung des Weltkrieges.
Sehr ungünstig ist für die Türkei die Lage im Hedjas. Diese Lage ist viel ernster zu beurteilen als es für uns Deutsche den Anschein hat. Die dort zusammentreffenden religiösen Interessen aller Mohammedaner, welche durch den Verrat des sehr klugen und einflußreichen Emir von Mekka und den großen Araberaufstand auf das ernsteste erschüttert sind, können die jetzige Regierung sogar in ihrer Stellung gefährden.
Ein Rückschlag für die arabische Bevölkerung von Syrien kann eintreten, wenn die Unternehmung des 1. Expeditionskorps gegen den Suezkanal - wie leider anzunehmen ist - scheitert.
Die militärische Anspannung der Türkei auf ihren überaus ausgedehnten Kampffronten und Küstenschutzfronten ist eine so große, daß ich es für einen großen politischen und militärischen Fehler erachten muß, daß jetzt - wie befohlen - das XV. türkische Armeekorps nach Galizien entsandt werden soll.
Die militärische Lage der Türkei, die ich vorstehend gestreift habe, verbietet diese Entsendung absolut. Das XV. Armeekorps ist die einzige noch in der Provinz Thrazien stehende Truppe. Solange die Ententetruppen in Salonik sind, von wo aus sie leicht ein Expeditionskorps nach dem Golf von Saros (Nordseite), Dragodina und Enos entsenden können, darf der südliche Teil von Thrazien niemals - wie jetzt beabsichtigt - von Truppen entblößt werden. Der Weg zur großen Eisenbahn in Richtung Usunköpri, wie der Weg nach Constantinopel wird sonst dem Feinde frei gegeben.
Sobald der Vorstoß des 1. Expeditionskorps gegen den Kanal erledigt sein wird, stehen für den genannten Zweck auch noch reichliche englische Truppen aus Egypten zur Verfügung.
Es ist dabei zu beachten, daß das XV. Armeekorps die einzige Reserve bei einem neuen Angriff auf die Dardanellen war.
Die überaus zahlreichen Desertionen in den türkischen Truppen - im Vilajet Aidin zur Zeit. über 8000 Deserteure, und fortgesetzt in hoher Zahl bei allen türkischen Truppenverbänden sollten zur Vorsicht gegen eine Überanspannung des türkischen Staats mahnen.
Ein Staat, von dem große Teile vom Feinde besetzt sind und der fast seinen letzten Mann zum Waffendienst herangezogen hat, darf nicht Truppen nach auswärts abgeben.
Bei der bereits erschütterten Stellung von Enver Pascha kann diese Abgabe - wenn hier irgend welche Rückschläge eintreten - zu seinem Sturz führen.
Nur eine gänzlich unrichtige Berichterstattung über die inneren Verhältnisse der türkischen Armee konnte diese Entsendung als angängig bezeichnen.
Anlage I zu Bericht Nr. 376 vom 12.7.1916.
Abschrift.
Militär-Mission Geheim.
Euer Exzellenz überreiche ich in der Anlage sehr ergebenst mein Urteil über die heutige Kriegslage der Türkei, anläßlich der befohlenen Entsendung des XV. türkischen Armeekorps an die Galizisische Front. Ich habe die Schrift in demselben Wortlauf an Seine Exzellenz den Herrn Chef des Militär-Kabinetts nach dem Großen Hauptquartier abgesandt.