Unter ergebenster Bezugnahme auf meinen Bericht vom 5. August 19151 aus Erserum und den daraufhin erfolgten, meine Stellungnahme zur Armenierfrage anerkennenden, Erlass Euerer Excellenz, dessen Inhalt mir unter dem 28. Oktober 1915 durch die Kaiserliche Botschaft in Konstantinopel nach Mossul übermittelt wurde, erlaube ich mir ganz gehorsamst Folgendes zu unterbreiten:
Bei meinem Bestreben, noch in letzter Stunde zu versuchen, die Anbahnung eines Modus vivendi zwischen den sich mit dieser Frage befassenden Vertretern des türkischen Komités und den Armeniern herbeizuführen, ging ich von der Voraussetzung aus, dass ich in dem mit mir nach Asserbeidschan und dem Ost-Kaukasus gehenden General-Inspector des türkischen Komités für Einheit und Fortschritt, Omer Nadji, den ich persönlich gut kannte, Unterstützung finden würde, da ich wusste, dass er die rigorosen Massnahmen der übrigen Komité-Mitglieder nicht billigte. Mit Recht befürchtete er, dass dieses Vorgehen eine ungünstige Wirkung auch auf die Führer der kaukasischen Partei Fidai ausüben würde.
Ich hoffte ihn bei unserer gemeinschaftlichen Reise von der Unsinnigkeit der Massnahmen gegen die Armenier noch weiter zu überzeugen. Ausserdem rechnete ich darauf, dass meine Anwesenheit zum Mindesten verhüten werde, dass die Omer Nadji zur Verfügung gestellten Truppen, unter dem Einfluss einiger anderer mit uns reisender Komité-Mitglieder, unter denen mir Dr. Fuad als einer der Anstifter der Armenier-Massakers im Vilajet Trapezunt bekannt war, dazu missbraucht werden würden, ähnlich wie die Truppen Halils, in Nordpersien Christen-Massakers zu inscenieren.
Diese meine Voraussetzungen haben mich, wie ich mit Befriedigung feststellen kann, nicht getäuscht.
Omer Nadji selbst war froh, in mir, als deutschem Offizier, eine Stütze für seine massvolle Haltung gegenüber den anderen Komité-Mitgliedern zu finden.
Der grauenvolle Anblick der erschlagenen Armenier in den verwüsteten Dörfern der von uns durchzogenen Gebiete bis Bitlis, verfehlte auch auf die anderen Herren seine Wirkung nicht. Es war ihnen sichtbar unangenehm, dass ich und meine deutschen Begleiter, Zeugen dieses Wirkens ihrer Gesinnungsgenossen wurden, und versuchten sie wiederholt durch Erklärungen, die alle Schuld den Kurden beimassen, den von uns empfangenen üblen Eindruck abzuschwächen.
Über das von mir auf diesem Wege Gesehene habe ich, soweit es mir erforderlich schien, durch das Kais. Konsulat in Mossul Bericht erstattet. Ich konnte in einzelnen Fällen, so z.B. in Bitlis, den noch dort Zurückgebliebenen, armenischen Frauen und Kindern, deren sich amerikanische Missionarinnen angenommen hatten, Erleichterungen verschaffen und auch den Letzteren Hilfe gewähren.
Nicht unerwähnt möchte ich folgenden charakteristischen Vorfall lassen:
Auf dem Wege nach Mossul, der uns in den neugeschaffenen Befehlsbereich der 6. Armee führte, erhielten Omer Nadjis und meine Abteilungen den Befehl, ein Armenierdorf bei Hesak, in dem sich angeblich aufständische Armenier verschanzt hatten, zu stürmen und zu bestrafen. Ich erfuhr rechtzeitig, dass die angeblich "Aufständischen" Leute waren, die sich, aus Furcht vor einem Massaker, verschanzt hatten und gern bereit wären, ihre Waffen auszuliefern, wenn ihnen nur ihr Leben zugesichert würde. Ein von dem Verweser des deutschen Konsulates in Mossul und von mir angebotener Vermittelungsversuch wurde seitens des Oberkommandos der 6. Armee, dem ich den Sachverhalt mitgeteilt hatte, abgelehnt.
Ich entzog mich dem mir drohenden Konflikt dadurch, dass ich die mir unterstellten Deutschen, Offiziere und Mannschaften, nach Mossul berief und den Befehl über die mir anvertrauten türkischen Truppen einem meiner türkischen Offiziere übergab, mit der Motivierung, dass es sich um eine "innertürkische" Angelegenheit handele, und ich es daher nicht für angebracht halte, dass Deutsche hierbei den Befehl über "Gendarmeriedienst" tuende türkische Truppen führten.
Mein Verhalten fand nachträglich die Billigung des Generalfeldmarschalls v. d. Goltz. Auch von türkischer Seite wurde dasselbe als "gewandt" anerkannt. Die dabei zutage tretende Enttäuschung legt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesem mir erteilten Befehl um einen Versuch Halil Bejs handelte, mich und die mich begleitenden Deutschen, in uns kompromittierender Weise, in die Armenier-Angelegenheit hineinzuziehen.
Die später erfolgte Zuteilung meiner Abteilung zur neugeschaffenen Gruppe Mossul, und meine dadurch bedingte militärische Unterstellung unter das Kommando des Wali von Mossul, Haidar Bej, legte mir naturgemäss grosse Zurückhaltung in Bezug auf das Eingreifen in armenische Fragen auf.
Trotz der Schwierigkeit meiner Stellung, konnte ich aber auch hier bewirken, dass während der ganzen Zeit meiner Anwesenheit bei den in Nord-Persien operierenden türkischen Truppen, Fälle von Massakern oder aussergewöhnlichen Bedrückungen der dortigen orientalischen Christen nicht vorgekommen sind.
Besonders möchte ich hervorheben, dass es mir im Verein mit Omer Nadji gelungen ist, bei der Eroberung von Sautschbulag, die dortige nicht mohamedanische Bevölkerung, einschliesslich der Parteigänger Russlands, vor Niedermetzelung und Vergewaltigungen zu schützen, wie sie bei früheren Besetzungen der Stadt durch türkische Truppen bezw. Freischärler, stattgefunden hatten.
Dieses ist ausdrücklich von dem in Sautschbulag lebenden amerikanischen Missionar Fossum und der deutschen Missionarin Meta v. d. Schulenburg anerkannt worden.
Versuche zur Anbahnung einer Verständigung mit auf russischer Seite kämpfenden armenischen Führern, die ich mit Hilfe syrischer Christen zu gewinnen hoffte, wurden durch die russische Offensive und die damit verbundenen militärischen Operationen unterbrochen.
Aus Gefangenen Aussagen und anderen an mich gelangten Nachrichten, konnte ich aber feststellen, dass das diesmalige massvolle Verhalten der türkischen Truppen auf gegnerischer Seite Erstaunen hervorgerufen und somit geeignet gewesen ist, den schlechten Eindruck früherer türkischer Offensiven in Nord-Persien und Ost-Kaukasus wenigstens zum Teil zu verwischen.
Das Vordringen der russischen Truppen im Mai dieses Jahres, wodurch die schwachen türkischen Kräfte zurückgehen mussten, sowie meine anderweitige militärische Verwendung, setzten meinen diesbezüglichen Bestrebungen ein vorläufiges Ende.
Ich bitte gehorsamst im Anschluss hieran noch auf Folgendes hinweisen zu dürfen.
Die in meinem Bericht aus Erserum ausgesprochene Befürchtung, dass die Aussiedelung der Armenier ihrer Vernichtung gleichkommen werde, bezw. dieselbe bezwecken sollte, hat sich leider bewahrheitet. Was von den Ausgesiedelten dieses Volksstammes noch in Mesopotamien lebt, befindet sich in einem trostlosen Zustande. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man ausspricht, dass die türkischen Armenier mit Ausnahme einiger Hundert Tausenden in Konstantinopel und anderen grösseren Städten Lebender, so gut wie ausgerottet sind.
Es würde zu weit führen, wollte ich auf die Ursachen der Ausrottung der Armenier und die politischen und wirtschaftlichen Folgen dieser Massnahme für die Türkei eingehen.
Dieses Kapitel ist fürs Erste leider abgeschlossen, und kann sich unsere Fürsorge und unser Interesse nur noch auf die Erleichterung der Lage der sich in Mesopotamien befindenden Überlebenden erstrecken.
Ich halte mich aber andererseits für verpflichtet, die Aufmerksamkeit Euerer Excellenz noch auf Nachstehendes zu lenken: Eine Reihe von Gesprächen mit massgebenden türkischen Persönlichkeiten, hinterliess bei mir folgende Eindrücke:
Ein grosser Teil des Jungtürkischen Komités steht auf dem Standpunkt, dass das Türkische Reich nur auf rein mohamedanischer, pantürkistischer Grundlage aufgebaut werden muss. Die nicht mohamedanischen und nicht türkischen Bewohner desselben, müssen gewaltsam mohamedanisiert und türkisiert, wo das nicht angängig, vernichtet werden.
Zur Verwirklichung dieses Planes scheint diesen Herren die jetzige Zeit die Geeignetste.
Als erster Punkt ihres Programms kam die Erledigung der Armenier.
Für die mit der Türkei im Bündniss stehenden Mächte wurde eine angeblich vorbereitete Revolution der Partei der Daschnakzagan vorgeschützt. Lokale Unruhen und Selbstschutz-Bestrebungen der Armenier wurden ausserdem aufgebauscht und zum Vorwand genommen, die Aussiedelung der Armenier aus bedrohten Grenzgebieten zu motivieren. Unterwegs wurden die Armenier auf Anstiften des Komités, von kurdischen und türkischen Banden, stellenweise auch von Gendarmen, ermordet.
2.) Etwa zu gleicher Zeit wurden die Nestorianer im östlichen Kurdistan durch den Wali von Mossul, Haidar Bej, nach tapferer Gegenwehr aus ihren Wohnsitzen vertrieben und zum Teil vernichtet. Ihre Felder und Wohnstätten wurden verwüstet. Die Überlebenden flüchteten zu den Russen und kämpfen jetzt in deren Reihen gegen die Türkei.
3.) Der Feldzug Halil Bej's nach Nord-Persien hatte Massakrierung seiner armenischen und syrischen Bataillone und Vertreibung der armenischen, syrischen und persischen Bevölkerung aus Nord-Persien zur Folge und hinterliess eine grosse Erbitterung gegen die Türken.
4.) An eine Abrechnung mit den Arabern wird ebenfalls gedacht, doch die im Augenblick ungünstige militärische Lage liess den Zeitpunkt dafür noch nicht für gekommen erscheinen. Inzwischen versuchte man durch starke Rekrutierung der Araber und Entsendung arabischer Truppen in mangelhaftester Ausrüstung in klimatisch ungünstige Gegenden (Winterfeldzug 1914 Erserum, 1915 Nord-Persien) einen geeigneten Ersatz zu finden.
5.) In lächerlicher Überschätzung der Kraft und der Fernwirkung pantürkischer Ideen, und in Unterschätzung des Einflusses der kaukasischen Armenier, glaubt man die Mohamedaner des Kaukasus für einen Anschluss an die Türkei und zu einem Aufstand gegen Russland gewinnen zu können, und nur langsam dämmert die Erkenntnis, dass durch das Vorgehen gegen die Armenier und das Verhalten türkischerkurdischer Freischärler in den kaukasischen Grenzgebieten, dieser Plan stark an Wahrscheinlichkeit eingebüsst hat. Die deutsche Propaganda-Arbeit unter den Kaukasiern wird ungern gesehen und vielfach gehindert.
Meine Eindrücke in Bezug auf die Frage des Verhältnisses der Türken zu den anderen dort lebenden Nationen zusammenfassend, (die ich bis Ende August 1916 gewonnen habe,) möchte ich, im Hinblick auf die Zukunft, Folgendes ausführen:
Es erscheint mir nicht ausgeschlossen, dass im Bereich der 6. Armee der Versuch gemacht werden wird, zur Hebung der Stimmung der auf türkischer Seite kämpfenden Kurden, ihren Fanatismus erneut anzufachen, und ihnen freie Hand gegen die dortige christliche Bevölkerung zu geben.
Ein ähnliches Ausspielen der sunnitischen Kurden gegen die schiitischen Perser könnte, unter Umständen, in Nord- und Mittel-Persien stattfinden und dadurch, abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen, einen dauernden Gegensatz zwischen den Beteiligten hervorrufen, der auch unsere Interessen aufs Schwerste schädigen würde.
Die Auffassung, dass allzu grosse Zurückhaltung in der Armenierfrage unserem Ansehen auch bei den jungtürkischen Machthabern abträglich sein würde, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein, und uns die Sympatien, nicht nur der Nicht-Mohamedaner und Araber, sondern auch der Alt-Türken und der derzeitigen Minderheit der Jungtürken eintragen.
Bei der Unsicherheit der türkischen politischen Verhältnisse, erscheint es mir nicht unangebracht, auch die Stimmung dieser in der Provinz Einfluss habenden Kreise in Rechnung zu ziehen.
"Wenn wir, die Türken, in diesem Kampf um die Existenz des Osmanischen Reiches verbluten, so soll es auch keine anderen Nationen in demselben mehr geben." Dieser Ausspruch eines jungtürkischen Politikers kennzeichnet am besten den Standpunkt der jungtürkischen Komitékreise. Und die, meist aus Mangel an Organisation und Voraussicht immer mehr auftretende Schwächung des reinen Türkentums (der Anatolier) zieht in logischer Konsequenz auch die gewaltsame Vernichtung der anderen in der Türkei lebenden Nationen nach sich.
Diesem Vernichtungsprozess unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden und ihm, wo es möglich, entgegenzuwirken, scheint mir in unserem politischen und wirtschaftlichen Interesse geboten.
[Antwort Zimmermann 18.12.]
[Zimmermann an Botschaft Konstantinopel]
zur gfl. Kenntnisnahme erg. übersandt.
Die Auffassung, dass allzu grosse Zurückhaltung in der Armenierfrage unserem Ansehen auch bei den jungtürkischen Machthabern abträglich sein würde, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein.