Schon am 26. August trat unser Vorstand, der während der Kriegszeit die Arbeit der Gesellschaft allein hat führen müssen, ohne sich mit den Mitgliedern beraten zu können, zu einer Sitzung zusammen und beschloß, die Hilfsarbeit für die in Deutschland weilenden Armenier zu übernehmen. Der größte Teil von ihnen stammte aus Rußland und war mit Beginn des Krieges den für die feindlichen Ausländer geltenden Bestimmungen unterworfen. Wir haben versucht, bei den zuständigen Behörden eine Sonderung der Armenier von den übrigen russischen Untertanen zu erreichen, wie das ja für die Balten und andere Fremdstämmige gelungen war. Wir machten eine Eingabe an das Auswärtige Amt, es möchte den in Deutschland befindlichen Armeniern, die in die Heimat abzureisen wünschten, die Erlaubnis dazu gegeben werden und die im Lande Verbleibenden möglichst wenig polizeilich belästigt werden. Wir baten fernerhin das preußische Kultusministerium und später die entsprechenden Ministerien der anderen deutschen Staaten, die Armenier auch dann auf den Universitäten weiterstudieren zu lassen, wenn dies den russischen Untertanen sonst nicht mehr gestattet würde. Wir haben in beiden Fällen Erfolg gehabt. Eine recht erhebliche Anzahl von russischen Armeniern hat durch unsere Vermittlung Reisepässe für das Ausland erhalten; wir haben sämtliche deutschen Armenier vor der Verbringung in Konzentrationslager bewahren oder, wenn sie dorthin verbracht waren, wieder daraus befreien können. Betreffs des weiteren Besuchs der deutschen Hochschulen durch armenische Studenten hatte das preußische Kultusministerium geantwortet: Eine grundsätzliche Regelung könne zur Zeit noch nicht erfolgen, doch sei das Ministerium bereit, jeden einzelnen ihm vorgelegten Fall zu prüfen und nach Lage der Dinge zu entscheiden. Dabei bestehe zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Kultusministerium Uebereinstimmung darüber, daß gegenüber den russischen Armeniern im allgemeinen ein wohlwollendes Verhalten möglich sein werde. So weit uns bekannt geworden ist, ist kein armenischer Student von einer preußischen Hochschule verwiesen worden, auch bei den nichtpreußischen Instituten fanden wir das gleiche Entgegenkommen mit einziger Ausnahme derer des Königreichs Sachsen, wo alle unsere Bemühungen fruchtlos waren. In einem Falle gelang es aber, einen in Sachsen abgewiesenen Studenten an einer preußischen Hochschule anzubringen.
Wir haben, um das gleich hier mit anzufügen, auch sonst Hilfsarbeit an den im Lande befindlichen Armeniern getan. Verschiedentlich haben wir in Not geratene Armenier mit Geldmitteln unterstützt. Wir haben die Adressen der armenischen Kriegsgefangenen gesammelt und die Zusendung von Liebesgaben durch ihre Volksgenossen in Deutschland und der Schweiz vermittelt: ein Mitglied unserer Gesellschaft, das fließend armenisch spricht, Oberlehrer Sommer aus Uchtenhagen, hatte die Erlaubnis erhalten, die armenischen Kriegsgefangenen zu besuchen und ihnen religiöse Vorträge zu halten, die mit großem Dank aufgenommen wurden. Leider gelang es uns trotz mehrfacher Bemühungen nicht, die Sammlung aller armenischen Kriegsgefangenen in einem bestimmten Lager zu erreichen,1 wie z. B. für die Ukrainer geschehen ist.
Durch die Rechtsverträge zwischen Deutschland und der Türkei, die an die Stelle der Kapitulationen getreten waren, war auch die gegenseitige Auslieferung der militärpflichtigen Untertanen gewährleistet. Die türkischen Armenier hatten mit Recht große Bedenken, sich zum türkischen Militärdienst zu stellen, nachdem fast alle waffenfähigen armenischen Männer meist von ihren türkischen oder kurdischen Kameraden abgeschlachtet worden waren. Wir erhielten auch sichere Kunde von der barbarischen Mißhandlung eines aus Deutschland gekommenen Armeniers, der zur Ableistung seiner militärischen Dienstpflicht nach Konstantinopel gegangen war. Mehrfache Verhandlungen mit den Ressortbehörden, bei denen wir besonders von Herrn Missionsdirektor D. Schreiber unterstützt wurden, führten zu der Lösung, daß die dienstpflichtigen türkischen Armenier sich zum Zivildienst in den deutschen Munitionsfabriken stellten und deswegen von der deutschen Regierung reklamiert wurden. Auch als dies nicht mehr durchgeführt werden konnte, fand sich ein Weg, die Armenier vor den Gefahren des türkischen Kriegsdienstes zu bewahren.
Sehr bald aber traten an unsere Gesellschaft größere politische Aufgaben heran. Schon im November 1914 wurde uns eine Bitte der deutschen Botschaft in Konstantinopel übermittelt, beim Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und der Türkei auf die türkischen Armenier dahin einzuwirken, daß sie loyal blieben. Wir glaubten uns dem nicht entziehen zu können. Wir forderten freilich vom Auswärtigen Amt eine Erklärung, daß Deutschland nach Beendigung des Krieges sich für die Wiedereinsetzung des von der Türkei eben für ungültig erklärten Gesetzes über die Reformen in Armenien einsetzen werde. Eine von uns aufgesetzte Zusage wurde von dem Unterstaatssekretär Zimmermann unterschrieben; wir waren nun in der Lage, eins unserer Vorstandsmitglieder, Dr. Liparit Nasariantz, mit dem erwähnten Auftrage und entsprechenden Schreiben an das armenische Patriarchat und den Vorstand der Partei Daschnakzutiun zu entsenden. Die Armenier haben sich denn auch nicht gegen die türkische Regierung aufgelehnt, obwohl sie von Anfang des Krieges an argen Bedrückungen ausgesetzt waren. Wir erhielten darüber von unserem Abgesandten im Februar 1915 einen Bericht; ebenso das Auswärtige Amt. Wir geben aus dem an uns gesandten Bericht die nachstehenden Stellen wieder, die das kommende Unheil schon ahnen lassen:
1. Die Requisitionen haben eine Höhe erreicht, die zur gänzlichen Aussaugung der Bevölkerung dienen muß.
2. Auch die Einquartierungen sind zu einem folgenschweren Übelstand für die Armenier geworden. Es sind nur armenische Dörfer und armenische Häuser, die für die Truppen evakuiert werden.
3. Der Militärdienst ist zu einer Plage für die armenische Bevölkerung geworden. Die Armenier sind gern bereit zum ehrenvollen Dienst an der Front. Aber die Behörden suchen in der Heranziehung der armenischen Jugend ein Mittel, sie zu terrorisieren. Ursachen der Desertion sind:
a) Die Verletzung der religiösen Empfindungen der Armenier.
b) Die gänzliche Entwaffnung der armenischen Soldaten und ihre Preisgabe an die Feindseligkeiten ihrer bewaffneten mohammedanischen Kameraden.
c) Die Bewaffnung aller Kurden im Alter von 16 bis 60 Jahren, die zügellos über die Armenier herfallen und die Ortschaften brandschatzen. In einem Dorf wurden 20 Frauen und Mädchen vergewaltigt und dann getötet.
d) Die Bewaffnung und Indienststellung der berüchtigten Räuberbanden der Kurden Musa Bey, Kasim Bey und Mehmed Emin.
e) Die Hamidietruppen sind in armenischen Dörfern untergebracht und haben Armeniermetzeleien veranstaltet. Nur die Armenier werden angehalten, als Träger für Proviant und Munition zu dienen. Ständig kommen Greueltaten der Kurden vor (über die eine Menge Einzelheiten berichtet werden).
Von Herrn Dr. Weber und dem früheren Generalkonsul Dr. Mordtmann, die mit der Bearbeitung der armenischen Frage betraut sind, wurde die oben dargestellte kritische Lage der Armenier bestätigt. Ich berichtete darüber an den Botschafter; vieles war ihm nicht bekannt und erregte sein Erstaunen. Bei meiner Unterredung mit dem deutschen Botschafter erhielt ich die Versicherung, daß eine allgemeine Christenmetzelei ganz unwahrscheinlich sei. Nur in dem Falle, daß die Engländer die Dardanellen nehmen und die Russen in Armenien eindringen würden, könnten vielleicht in Konstantinopel und den Provinzen Christenmetzeleien stattfinden. Die Türken würden dann nichts mehr zu verlieren haben und so vielleicht sich zu rächen suchen. Dr. Weber meint, daß diese Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht bestehe, denn ohne Befehl der Regierung könnten keine Metzeleien stattfinden, und die Regierung würde davon Abstand nehmen aus Furcht, sich gänzlich zu kompromittieren. Sie hat die Kapitulationen aufgehoben um zu zeigen, daß sie in der Lage ist, selbständig das Land zu regieren. Wenn sie aber zu Metzeleien ihre Zustimmung gibt, so werden wir Deutsche sie ihrem Schicksal überlassen. Der deutsche Botschafter sagte ferner, es sei zweckmäßig, daß die Armenier ihre Beschwerden an ihn richten sollten, weil die Türken äußerst empfindlich geworden seien und jeden Wunsch, selbst deutscherseits, als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten und Verletzung ihrer Selbständigkeit ansähen.
Es fand dann eine Sitzung mit Aknuni, Weber und Mordtmann statt, in der als vorbeugende Mittel festgestellt wurden:
1. Die Ernennung deutscher Konsuln in den wichtigeren Zentren Armeniens. Wo Konsuln sind, da verhalten sich die Türken ruhig und die Armenier fühlen sich sicher. Es sollten sofort deutsche Konsuln für Wan und Musch ernannt werden.2
2. Eine Anweisung an die in Armenien beschäftigten deutschen Beamten und Offiziere, über die Sicherheit der armenischen Bevölkerung zu wachen.
2. daß wirkliche und wirksame Maßregeln getroffen werden, um die deportierten Frauen und Kinder in den mesopotamischen Steppen am Leben zu erhalten und weitere Grausamkeiten an den noch übrigen Armeniern zu verhindern;
3. daß Christen anderer Länder es ermöglich werde, vielleicht unter der Mitwirkung deutscher und neutraler Vertrauensleute, den notleidenden Deportierten Hilfsdienste zu erweisen und Unterstützungen zukommen zu lassen. Endlich möchte beim Friedenschluß darauf Bedacht genommen werden, daß den jetzt zwangsweise islamisierten Christen die Rückkehr zum Christentum ermöglicht und für eine künftige friedliche und loyale Weiterentwicklung der christlichen Minderheiten in der Türkei und für die ungehinderte Fortführung der christlichen Liebes- und Kulturarbeit im Orient die nötige Bürgschaft gegeben werde.
Aus der erwähnten Orientkonferenz entstand als ständige Einrichtung die Deutsche Orient- und Islamkommission als Fortsetzung der Moslem Selection des Continental Comittee. Die Kommission, der unser Vorsitzender D. Lepsius eine Zeitlang angehörte, berief von Zeit zu Zeit eine Orientkonferenz, zu der unsere Gesellschaft ständig geladen wurde und auf der sie fast regelmäßig sich vertreten ließ. Die Konferenz beschloß bei ihrer nächsten Sitzung am 1. März 1916 einen öffentlichen Aufruf zu Gaben für die notleidenden Armenier unter der Ueberschrift: ”Eine außerordentliche einmalige Bitte um Hilfe für unbeschreibliches Elend.” Durch diesen Aufruf, der auch von dem Schriftführer der Gesellschaft Pfarrer Stier unterzeichnet worden war, waren bis zum Mai 1917 40959,81 Mk. eingegangen, die an die im Orient arbeitenden Missionsgesellschaften je nach dem Verhältnis verteilt wurden, in dem sie in der Lage waren, den notleidenden Armeniern Unterstützungen zukommen lassen zu können. Wir haben außerdem selbst Aufrufe für den Notstand versandt, auf den bis heute 5227,50 Mk. eingegangen sind, die wir zum Teil an die Kasse des erwähnten Liebeswerks, zum größeren Teil an das Notstandswerk unseres Vorsitzenden abgeführt haben. Das letztgenannte Werk, das zeitweise bis zu 3000 Waisenkinder und eine Anzahl armenischer Witwen in Urfa unterstützte, hatte bis zum 31. Dezember 1917 eine Einnahme von 249377,95 Mk. Auf Wunsch seines Leiters haben wir die Abrechnung des Werks in unserem letzten Flugblatt veröffentlicht, nachdem der Generalsekretär Einsicht in die Bücher hatte nehmen können.
Die schon seit dem Hamidischen Massakers im Orient bestehenden deutschen Liebeswerke haben, so viel sie konnten, zur Unterstützung der deportierten Armenier getan. Neben dem Werk der deutschen Orientmission in Urfa, dessen Beamte das erst während des Krieges ins Leben gerufene Hilfswerk von D. Lepsius ebenfalls geleitet haben, sind vor allem die Stationen des deutschen Hilfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient, das Blindenheim in Malatia und die Anstalten des Kaiserswerter Diakonissenhauses in Aleppo zu nennen. In Aleppo hatten wir den tatkräftigen Förderer des Unterstützungswerks in dem dortigen deutschen Konsul Rößler. Aus den Nachrichten, die wir aus dem Orient erhielten, ging aber hervor, daß es allen den genannten Stellen nur gelegentlich gelang, einzelne Deportationslager zu erreichen, während andere ohne jede Unterstützung blieben. Es war uns darum ein ernstes Anliegen, eine eigene Kommission nach Anatolien zu entsenden, die alle Deportationslager besuchen und in großzügiger Weise die Unterstützung betreiben sollte: Am 2. März 1916 richteten wir deshalb eine Eingabe an den Reichskanzler und baten, für die Entsendung einer aus Aerzten, Krankenschwestern und solchen Herren, die der Landesverhältnisse kundig sind, bestehenden Expedition bei der türkischen Regierung die Reiseerlaubnis zu erwirken. Das Gesuch wurde trotz warmer Befürwortung von deutscher Seite durch die Pforte abgeschlagen. Wieder und wieder haben wir versucht, den angestrebten Zweck zu erreichen. In Verbindung mit der Orient- und Islamkommission, die ihren Vorsitzenden D. Axenfeld und den Direktor des deutschen Hilfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient Direktor Schuchardt dafür gleichfalls anbot, haben wir uns erneut an das Auswärtige Amt gewendet, das unser Gesuch bei der Botschaft befürwortete. Diesmal war es die Botschaft, die mit folgender eigentümlicher Begründung ablehnte:
Somit war es uns positiv unmöglich gemacht, den Unglücklichen durch eine eigene Tat zu helfen. Um so mehr haben wir uns verpflichtet gefühlt, auf literarischem Wege für die gerechte Sache der Armenier einzutreten. Wir haben uns dabei nicht auf die spärlichen Flugblätter beschränkt, die wir unseren Mitgliedern bei dem Obwalten der Zensur nur zugehen lassen konnten und in denen wir je länger je weniger offen von unserer Sache sprechen durften: die Zensur verbot uns sogar eine nur mit der Schreibmaschine zu vervielfältigende kurze Darstellung der Vorgänge bei der Deportation, die sich jeden Angriffs auf die Türkei enthielt. Unser Vorsitzender D. Lepsius wagte es unter seiner eigenen Verantwortung einen ausführlichen Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei drucken zu lassen - es gelang das nur unter größten Schwierigkeiten und nachdem zwei Druckereien die Übernahme des Druckes abgelehnt hatten - und ihn an 20000 Adressen in Deutschland unter Umschlag zu versenden, wobei wir ihm nach Kräften behilflich waren. Dieser Bericht, ein Buch von über 300 Seiten, hat vor allem geholfen, die deutschen Kreise von den furchtbaren Vorkommnissen in Armenien zu unterrichten; er ist auch in das Holländische und Französische, letzteres gegen den Willen des Autors, übersetzt worden und ist vielleicht das größte Aktivum auf deutscher Seite in dieser den deutschen Interessen so unendlich schädlichen Sache. Daneben haben wir die ergreifende kürzere Schrift des Oberlehrers Dr. Niepage aus Aleppo, die ursprünglich für die Mitglieder des deutschen Reichstags bestimmt war, ebenfalls verbreiten helfen. Sofort nach Aufhebung der Zensur haben wir begonnen, eine Deutsch-Armenische Korrespondenz herauszugeben, von der bis heute acht Nummern erschienen sind. Wir haben hier in längeren Artikeln das Schicksal Armeniens, die Stellung der deutschen Regierung zur armenischen Frage, die Ursache der Armeniermetzeleien, die Staatsfähigkeit Armeniens, die Wiederherstellung Armeniens und andere Fragen behandelt, die neuesten Nachrichten aus Armenien der Presse übermittelt und zu der Behandlung der armenischen Frage in der Presse Stellung genommen; einer Nummer konnten wir den Offenen Brief unseres Mitglieds Dr. Armin T. Wegner an Wilson beilegen, der großes Aufsehen in der deutschen Presse gemacht hat. Die Korrespondenz ist außer an unsere Mitglieder an eine Reihe Parlamentarier und die wichtigsten Organe der deutschen Presse versandt worden. Soeben erscheint unter dem Titel ”Armenien” ein von unserer Gesellschaft herausgegebenes umfangreiches, mit reichem Bildmaterial ausgestattetes Sammelwerk über Land und Volk unter der Redaktion unseres stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Paul Rohrbach, unter der Presse ist eine Broschüre unseres Vorstandsmitgliedes Professor Dr. Marquart über die Herkunft der Armenier und das große 500 Seiten umfassende Aktenwerk unseres Vorsitzenden D. Lepsius: Deutschland und Armenien 1914 - 1918. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, das den gesamten Schriftwechsel des deutschen Auswärtigen Amtes über die armenische Frage mit einer Einleitung des Verfassers enthält. Außerdem sind wir bemüht gewesen, die periodische Presse mit aufklärenden Artikeln zu versorgen, was infolge der Zensur freilich nur in sehr unzureichendem Maße gelang. Wir waren deshalb lange Zeit gezwungen, uns mit der Versendung von aufklärenden Schriften unter Kuvert an bestimmte Adressen zu begnügen. Durch die freundliche Unterstützung von Herrn Missionsdirektor D. Schreiber glückte es, eine von unserem Vorsitzenden verfaßte Widerlegung der von türkischer Seite verbreiteten Sammlung von Photographien, die den behaupteten Aufstand der Armenier aktenmäßig belegen sollten, in größerer Auflage zu verbreiten. Eine Denkschrift Das armenische Problem ist ebenfalls in größerer Auflage hergestellt und versandt worden. Außerdem haben wir mit der Schreibmaschine vervielfältigte längere Aufsätze über die Verschickung des armenischen Volkes, die Lage der verbannten Armenier in Mesopotamien, die Stellung der verschiedenen Regierungen zur armenischen Frage, die Lage im Kaukasus, die ökonomische Bedeutung des Transkaukasus und eine Beleuchtung der Rede Talaats vom 24. September 1917 auf dem Kongreß des Komitees für Einheit und Fortschritt führenden Persönlichkeiten zugehen lassen.
Neben das geschriebene Wort trat die mündliche Rede. So oft sich uns Gelegenheit bot, haben wir in geschlossenem Kreise - anders war es ja nicht möglich - über die Lage der Armenier Bericht erstattet. Erst nach der Revolution konnten wir öffentliche Versammlungen veranstalten. Unser Mitglied Dr. Armin T. Wegner hat in Berlin und Breslau Aufsehen erregende Lichtbildervorträge über die Deportation gehalten, von denen der erstere durch Türken, die sich zu diesem Zwecke eingefunden hatten, zu stören versucht wurde; noch in den letzten Tagen ist am 14. Mai in der Hedwigskirche ein von uns im Einvernehmen mit der Berliner armenischen Gemeinde veranstaltetes feierliches Hochamt für die im Weltkriege ermordeten Armenier durch die hierher berufenen Patres des Wiener Mechitharistenordens abgehalten worden, dem Vertreter der Regierung, auswärtiger Botschaften und eine zahlreiche andächtige Gemeinde beiwohnten.
Unsere literarische und Vortragstätigkeit während des Krieges hatte trotz ihres bescheidenen Umfangs das Aufsehen der türkischen Botschaft erregt, die ja in Deutschland einen ausgebreiteten Erkundungsdienst unterhielt und fast restlos über die deutsche Presse verfügte. Auf ihre Beschwerde hin wurden wir von einer dem Auswärtigem Amt nahestehenden Persönlichkeit ersucht, diese unsere Tätigkeit einzustellen, die angeblich nur Unruhe schaffe ohne den Armeniern auch etwas Positives bringen zu können, und uns bei Entgegenkommen in dieser Sache Unterstützung bei praktischer Liebestätigkeit zugesagt. Es wurde uns die Vermittlung von bedeutenden Geldsummen, wie wir sie bei der Unmöglichkeit öffentlich zu sammeln niemals hätten zusammenbringen können, und die Erwirkung der Reiseerlaubnis für eine von uns zur Unterstützung der Armenier in den Deportationslagern zu entsendende Kommission - beides konnte freilich nachher nicht gehalten werden - und die Erlaubnis zur Anknüpfung von Verbindungen mit den Armenierfreunden im neutralen Auslande zugesagt. Da wir bei den Machtmitteln der Regierung sowieso fürchten mußten, daß unsere Propagandatätigkeit unterbunden werden würde, nahmen wir unter Festhaltung unseres grundsätzlichen Standpunktes das Angebot an. Der Generalsekretär konnte infolgedessen im Oktober 1916, der stellvertretende armenische Vorsitzende im Juni 1917 nach der Schweiz reisen und dort Konferenzen mit den Armeniern in Genf und den Schweizer Komitees für die Armenier in Basel, Genf, Bern und Zürich abhalten. Das Ergebnis dieser Reisen war eine Umfrage bei den deutschen Konsuln nach der Lage der deportierten Armenier, die uns wertvolle Auskünfte brachte, die weitere Belebung der Sammlungen für die Opfer der Deportation in der Schweiz und durch deren Vermittlung in Skandinavien - in Holland hatte unser Vorsitzender bei seinem dortigen längeren Aufenthalt ein Hilfskomitee begründet - und die Verständigung der Schweizer Freunde über die Lage in Deutschland. Das vornehmste Ziel, die Entsendung einer Hilfsexpedition, konnte, wie bereits ausgeführt ist, leider nicht erreicht werden.
Die erwähnte Vereinbarung brachte uns auch die Zusage, auf die deutsche Presse dahin einzuwirken, daß sie keine armenierfeindlichen Artikel mehr bringen sollte. Tatsächlich ist bei den Berliner Pressebesprechungen mit der Oberzensurbehörde unter dem 29. September 1916 der Wunsch ausgesprochen worden, daß die Presse sich in dieser Hinsicht Beschränkungen auferlegen solle, nachdem die deutschen Armenierfreunde auf Vertretung ihres Standpunktes in der Presse verzichtet hätten. Leider hat diese Verfügung keinen Erfolg gehabt, da die türkische Botschaft immer wieder durch die Agence Milli armenierfeindliche Nachrichten bringen ließ und das Auswärtige Amt, obwohl es durch die Botschaft in Konstantinopel über die Unglaubwürdigkeit dieser Berichte informiert war, den Türken die Rücksicht schuldig zu sein glaubte, diese von ihm selbst für unwahr gehaltenen Berichte durch das Wolffsche Bureau verbreiten zu lassen. Auch sonst legten sich die deutschen nationalistischen Zeitungen und Zeitschriften in der Armeniersache, über die es ihnen an der richtigen Information fehlte, keine Reserve auf. Wir haben mehrfach bei den Generalkommandos dagegen Protest erhoben und dabei auch die Unterstützung der Orient- und Islamkommission gefunden. Genützt hat es nichts. Die deutsche Regierung hat sich gerade hier ein wirksames Mittel zum Druck auf die türkische Regierung entwinden lassen, worauf auch die Botschaft sie mehrmals aufmerksam gemacht hat.
Ein neues Tätigkeitsfeld war unserer Gesellschaft eröffnet, als die Türken seit dem Frieden von Brest-Litowsk nach dem Rückzug der Russen die kaukasische Grenze überschritten. Die Agence Milli berichtete sofort von angeblichen Greueltaten armenischer Banden. Wer türkische Ausdrucksweise kennt, mußte fürchten, daß damit ein legitimer Vorwand zu neuen Metzeleien unter den Armeniern geschaffen werden sollte. Wir wandten uns deshalb am 1. März 1918 an den Unterstaatssekretär, gleichzeitig geschah das von unseren Schweizer Freunden. Herr v. d. Bussche-Haddenhausen antwortete unter dem 3. März:
2. Daß bei der endgültigen Ordnung der Verhältnisse in den Bezirken von Batum, Kars und Ardahan das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung ernstlich geachtet wird.
3. Gewähr dafür, daß die Türken in keinem Falle auch Landschaften von Russisch-Armenien besetzen.
Ohne solche von der deutschen Regierung zu garantierende Zusagen sind wir zu einer Einwirkung auf die kämpfenden Armenier, daß sie die Waffen niederlegen möchten, nicht in der Lage, ebensowenig können wir uns an die Armenier in Genf wenden, wenn nur der Rat zur Waffenniederlegung gegeben werden kann. Anders stände es, wenn einem Mitglied der Deutsch-Armenischen Gesellschaft die Möglichkeit zur Reise nach der Türkei erwirkt werden könnte.3 Es erscheint als ausgeschlossen, mit bloßen Begütigungsversuchen ohne tragfähige Unterlagen etwas bei den zur Verzweiflung getriebenen Armeniern zu erreichen. Das Schicksal muß dann eben weiter seinen Gang gehen und die deutsche Politik wird dauernd darunter leiden, daß die Feinde Deutschlands die Ausrottung eines entwicklungsfähigen, dem christlichen Bekenntnis angehörenden Volkes durch die Bundesgenossen Deutschlands, die mohammedanischen Türken, Deutschland in die Schuhe schieben werden. Die tatsächliche Mühe, die sich die deutsche Regierung für die Armenier bei den Türken gegeben hat, wird zur Entlastung Deutschlands, wie die Dinge nun einmal liegen, nur mangelhaft geltend gemacht werden können. Wie groß der imponderable Schaden sein wird, den die Sache und das Ansehen Deutschlands durch die Ausrottung der Armenier erleiden würde, das wird sich, falls kein Ausweg in dem von uns vorgeschlagenen Sinne gefunden werden kann, in nur zu peinlicher Schärfe zeigen, sobald bei den Friedensverhandlungen und dem Friedenszustand wieder unbehinderter Verkehr der öffentlichen Meinung von Land zu Land stattfindet. Wir können sicher sein, daß unsere Feinde auch nach dem Friedensschlusse nichts unversucht lassen werden, um auch dieses Argument zum Angriff und, wie wir überzeugt sind, zum wirksamen und gefährlichen Angriff auf den Ruf Deutschlands zu benutzen.
Deutschland allein ist imstande, dem verhängnisvollen Vorgehen der Türken Halt zu gebieten. Es sollte sie veranlassen, in den von Rußland abgetretenen Gebieten das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu achten. Es sollte sie hindern, die durch den Friedensvertrag gezogenen Grenzen zu überschreiten. Es sollte fordern, daß die Türken sich jeder Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Kaukasus enthalten, wo soeben eine friedliche Auseinandersetzung der einzelnen Nationen über die Grenzen ihres Volkstums auf dem Wege war vollzogen zu werden. Es sind dies alles Punkte, die mit den Bestimmungen des Brester Friedensvertrags übereinstimmen. Deutschland hat den Vertrag unterzeichnet und damit eine Verantwortung für die Innehaltung aller seiner Bestimmungen übernommen. Es sollte sich durch keinerlei Einwände der Türken davon abhalten lassen, auf der strikten Ausführung dieser Bestimmungen zu bestehen. Eine deutsche Kommission müßte an Ort und Stelle die Innehaltung der Punkte überwachen.
Da die Türken andauernd vorrücken und mit ihrem Eindringen in das am stärksten von Armeniern bewohnte Gouvernement Eriwan in allernächster Zeit zu rechnen ist, darf keine Zeit verloren werden. Es handelt sich um Leben und Sterben einer begabten christlichen Nation, es handelt sich um unersetzliche Kulturwerte. Es geht aber zugleich um die Zukunftsinteressen des deutschen Volkes und um seinen Beruf als christliche Nation.
Die politischen Aufgaben unserer Gesellschaft sind vorläufig erledigt. Wir können nunmehr unsere ganze Kraft den kulturellen Zielen zuwenden, die wir von Anfang an vornehmlich erstrebt haben. Wir hoffen, daß die Verbindung, die zwischen unserer Gesellschaft und den Kreisen der armenischen Nation von Anfang an bestanden hat und in der schwersten Zeit des armenischen Volkes nur noch fester geknüpft worden ist, uns die Möglichkeit geben wird, diese Ziele zu erreichen. Was uns bisher noch fehlt, ist die tätige Teilnahme von deutscher Seite in größerem Umfange. Wir hegen die Hoffnung, daß das große Leid, das jetzt über das deutsche Volk gekommen ist, in ihm die Sympathie mit dem in noch größeres Leid versenkten armenischen Volke immer lebendiger werden läßt und ein immer festeres Band sich schlingt um diese beiden vor anderen so arbeitsamen Völker im Occident und Orient, beiden zur Hilfe bei der Wiederaufrichtung aus schwerster Niederlage. Dazu mitzuhelfen soll die künftige vornehmliche Aufgabe unserer Gesellschaft sein.
Bericht über die Generalversammlung.
Die Generalversammlung der Deutsch-Armenischen Gesellschaft am 21. Mai im Hotel Esplanade wurde von dem 1. Vorsitzenden D. Lepsius geleitet. Der Generalsekretär erstattete den vorstehenden Geschäftsbericht und den Kassenbericht. Die Prüfung der Rechnung wurde den Herren Konsul Avedikian und Direktor Iplicjian übertragen. Sodann wurde beschlossen, die Gesellschaft in das Vereinsregister eintragen zu lassen; die deshalb umgearbeiteten Satzungen wurden einstimmig angenommen. Nach erfolgter Eintragung sollen die Satzungen neu gedruckt und mit dem Kassenbericht allen Mitgliedern zugestellt werden. In den geschäftsführenden Ausschuß wurden gewählt bezw. wiedergewählt als 1. Vorsitzender D. Lepsius, als stellvertretende Vorsitzende Dr. Rohrbach und Dr. Greenfield, als Schriftführer Pfarrer Stier und Herr Wahan Zachariantz, als Schatzmeister Herr Direktor Iplicjian, als Beisitzer die Herren Professor Marquart-Berlin, Professor Rade-Marburg, Professor Guthe-Leipzig, Professor Ehrentraut-Dresden, Dr. Armin T. Wegner-Berlin, Oberlehrer Niepage-Malchin, Konsul Avedikian und M. Piranian-Berlin, Tschilinghiryan-Hamburg, Dr. Krischtschjan-München, Gudénian-Leipzig und Frau Dr. Dorth-Berlin. In den Vorstand im Sinne des BGB wurden die Herren Dr. Greenfield, Iplicjian und Stier gewählt. Die geschäftliche Vertretung der Gesellschaft wurde Herrn Iplicjian übertragen. Im Anschluß an die Generalversammlung hielt D. Lepsius einen mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag über seine Erlebnisse in Konstantinopel im Juli-August 1915.