1916-05-30-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14092
Zentraljournal: 1916-A-16612
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 06/23/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J. Nr. 384/.
Zustand: B
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Konsul in Damaskus (Loytved Hardegg) an die Botschaft Konstantinopel

Bericht



J. Nr. 384

Damaskus, den 30. Mai 1916

Abschrift1

Wie ich im März dies. Js. telegraphisch zu melden die Ehre hatte, hat Dschemal Pascha ein Hilfswerk für die hierher ausgewiesenen Armenier organisiert, das seit etwa sechs Wochen an der Arbeit ist. An der Spitze dieser Organisation steht der ehemalige Wali von Salonik und Aleppo, Hussein Kasim Bey, der allgemein als gediegener Charakter und rührig geschätzt wird. Ihm zur Seite stehen zwei höhere außer Dienst befindliche Beamte und der stellvertretende Wali von Damaskus. Auch diese drei Kommissionsmitglieder genießen einen guten Ruf.

Hussein Kasim Bey bereiste seit vorigem Monat die im Hauran und südlich davon gelegenen Gebiete, in denen sich Armenier befinden. In Dera hat er zunächst Brot an die Armenier verteilen lassen und eine Entlausungs- und Badeanstalt mit Krankenhaus errichtet. Von dort aus wurden nach erfolgter Reinigung viele Armenier nach verschiedenen Orten verschickt, in denen sie Arbeit finden konnten. Gegen siebenhundert Witwen und Waisen kamen nach Hama, wo sie in einer Wirkfabrik arbeiten.

Vorgestern traf ich gelegentlich eines Essens, das Dschemal Pascha gab, den Hussein Kasim Bey. Als er mich sah, sagte er mir, daß er mich dringend sprechen möchte. Er erklärte mir in sehr erregtem Tone, daß er sein Amt als Vorsitzender der Armenierkommission niederlegen wolle, da er nicht mehr arbeiten könne. Seine Maßregeln werden nicht nur nicht ausgeführt, sondern die Behörden handeln ihnen entgegen. Die Armenier, die er programmäßig von Dera nach Damaskus schicke, werden von den hiesigen Stadtbehörden wieder zurückgeschickt. Die Regierung stelle ihm viel zu wenig Geldmittel zur Verfügung, um wirksam der großen Not der Armenier entgegentreten zu können. Er sei ganz verzagt und glaube überhaupt nicht mehr an den ernsten Willen der türkischen Regierung, den ausgewiesenen Armeniern helfen zu wollen. Er fürchte sogar, daß man sie systematisch ausrotten wolle. Er höre, daß die nach Aleppo geleiteten Armenier wieder nach dem Osten in der Richtung nach Mossul und Deir es Sor gebracht würden, wahrscheinlich um den Beduinen zum Opfer zu fallen. Diese grausame Vernichtungspolitik sei eine Schmach für die Türkei und würde nach dem Frieden der Türkei sehr schaden und auch Deutschland in Verlegenheit bringen, weil es von der Welt beschuldigt würde, nicht wirkungsvoller für die Armenier eingetreten zu sein. Er finde keinen anderen Ausweg, als daß Deutschland dahin wirke, daß alle Armenier nach irgend einem Land - er meinte Südamerika - baldigst verschickt würden. Auf diese Weise würde man der Türkei und den Armeniern am besten helfen.

Ich wies ihn auf die armenischfeindliche Stimmung bei den maßgebenden Komiteemitgliedern in Konstantinopel hin, gegen die selbst Dschemal Pascha scheinbar nicht aufkommen könne. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß Deutschland soweit die gegenwärtige Lage es erlaube, den Armeniern nach Möglichkeit helfe, und bat ihn, im Interesse der Sache sein gedachtes Amt nicht niederzulegen und trotz aller Gegenströmungen weiterzuarbeiten. Er wird, sobald Dschemal Pascha in einigen Tagen von Aleppo zurückkommt, mit ihm weiter verhandeln und, wenn ihm nicht mehr Machtvollkommenheit und Geldmittel zur Verfügung gestellt werden, auf sein Ehrenamt verzichten. Nach seiner Schätzung befinden sich zwischen Aleppo und dem Hedschas 60000 Armenier. Falls das Schweizerische Hilfswerk Geldmittel für die hiesigen Armenier zur Verfügung stellen will, würde ich empfehlen, durch das Konsulat unter der Hand dem Hussein Kasim Bey, zu dem ich volles Vertrauen habe, Geld für den gedachten Zweck zu geben. Es scheint Eile dringend geboten, weil die Not groß ist.

Hussein Kasim Bey bat mich seine Unterredung als streng vertraulich zu behandeln.


[Loytved Hardegg]

1 Abschriftlich von Metternich am 19. Juni (Nr. 311) dem Reichskanzler vorgelegt.



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